Wie zur Bestätigung seiner Gedanken bat Remigio sie, nach den Frauen in der Küche zu sehen. Sie legte den Gänsekiel hin, blies über die gerade geschriebenen Worte und bedachte den Bankier mit einem verärgerten Blick, der ganz bestimmt nicht der einer Dienerin war. »Ich habe dort erst vor kurzem nach dem Rechten geschaut«, entgegnete sie. »Kann ich zuerst diesen Brief zu Ende schreiben?«
Sie schien es absichtlich zu vermeiden, in Gerardos Richtung zu blicken, stützte sich mit einem Ellenbogen auf den Tisch und hatte sich dem Bankier seitlich zugewandt.
Remigio Sensi seufzte laut. Es war wohl nicht das erste Mal, dass seine Anweisungen in Frage gestellt wurden. »Tu einfach, was ich dir gesagt habe«, meinte er leise.
Die junge Frau blickte ihn an, als wollte sie ihm widersprechen, doch dann schien sie es sich anders zu überlegen. Sie nickte, erhob sich, und als sie hinter dem Tisch hervorkam, musste sie sich ganz zu Gerardo hinüberdrehen, so dass er nun die Narbe sah, die ihre linke Gesichtshälfte verunstaltete. Gerardo war beim Anblick dieser Entstellung tief betroffen, mehr noch aber rührte ihn der Blick aus ihren tiefen, dunklen Augen, die eine unendliche Traurigkeit trübte.
Kurz darauf senkte sie die Lider, wie es sich für eine bescheidene junge Frau gehörte, und lief schnell in ihren gelben Filzpantoffeln, die gut mit dem Blond ihrer Haare harmonierten, aus dem Raum.
»Ich habe noch nie eine Frau als Schreiber gesehen«, sagte Gerardo erstaunt und setzte sich auf den mit einem purpurroten Seidenkissen gepolsterten Stuhl.
Remigio lachte. »Fiamma ist meine Adoptivtochter. Als ich sie bei mir aufgenommen habe, konnte sie bereits lesen und schreiben.«
»Seltsam für eine Frau. Ist sie von vornehmer Herkunft?« Gerardo wollte eigentlich gar nichts über Fiammas Familie wissen, doch etwas in ihm sträubte sich dagegen, dieses Thema zu verlassen.
»Ihr Vater war ein venezianischer Kaufmann, der seine Geschäfte im Königreich von Aragon betrieb, zu nah am Gebiet der Sarazenen«, erklärte Remigio. »Eines Tages wurde die Stadt angegriffen und Fiammas Familie ausgelöscht. Aber ein Tempelritter sucht mich wohl kaum in meinem Arbeitszimmer auf, um mit mir über das Schicksal meiner Adoptivtochter zu plaudern.«
»Nein, sicherlich nicht.« Gerardo holte tief Luft. »Um es kurz zu machen, Messer Remigio,«, sagte er dann, »wegen eines unglückseligen Zwischenfalls habe ich mein gesamtes Geld verloren und muss mir nun etwas leihen. Bei Ravenna besitze ich Ländereien, die ich verkaufen möchte, und mit einem Teil des Erlöses würde ich die Summe zurückzahlen.«
»Ein Zwischenfall? Welcher Art?«
»Was tut das zur Sache?«
Remigio Sensi stützte sich mit den Handflächen auf den dunklen Tisch und sah ihm direkt in die Augen. »Ihr seid ein Tempelritter. Wenn der Zwischenfall, von dem Ihr sprecht, etwas mit der Inquisition zu tun hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man Euch gefangen nimmt. Und ich muss wissen, welches Risiko ich eingehe.«
Gerardo nickte langsam. Er konnte dem Geldverleiher zwar nicht alles sagen, beschloss jedoch, ihm zumindest einen Teil der Wahrheit zu erzählen. »Die Inquisition hat damit nichts zu tun«, log er. »Das Haus, in dem ich wohnte, hat Feuer gefangen, und ich musste fliehen. Ich hatte nicht die Möglichkeit, den Hausherrn zu entschädigen.«
»Ein Brand?«, fragte Remigio und musterte ihn aufmerksam. »Es handelt sich dabei doch nicht etwa um das Haus hinter der Kirche von Sant’Antonio, in dem es letzte Nacht gebrannt hat? Ich kenne den Hausherrn; er wohnt nicht weit von hier.«
Gerardo fühlte sich ertappt. Er wollte eine Ausrede, irgendeine Lüge erfinden, doch er schwieg einen Moment zu lange. Der Bankier machte eine Geste, als wäre es nicht weiter von Bedeutung.
»Seid unbesorgt, bei mir sind Eure Geheimnisse sicher«, sagte er. »Ich werde Euch bestimmt nicht verraten. Aber kommen wir wieder auf unser Geschäft zurück.«
Er blickte auf und starrte ein großes Gemälde an, auf dem der heilige Matthäus, der Schutzpatron der Geldwechsler, abgebildet war, als wollte er dessen Beistand erbitten. Dann erklärte er Gerardo die Bedingungen für die Anleihe.
»Wie Ihr wisst, gestattet die Stadt das Verleihen von Geld, vorausgesetzt, die Zinsen liegen nicht höher als vier Denar pro Monat für eine Lira. Selbstverständlich deckt das bei jemandem, der gesucht wird, keinesfalls die Risiken ab.«
»Was schlagt Ihr also vor?«, fragte Gerardo und wusste, dass auf diese Vorbemerkung ein ungeheuerliches Angebot folgen würde.
»Das hängt von der Gesamtsumme ab, die Ihr benötigt, doch ich denke, dass ich mindestens fünfzehn Denar im Monat pro Lira ansetzen muss, wobei die gesamte Schuld ein Jahr nach Vertragsabschluss abgelöst sein muss.«
Gerardo hatte eine noch unverschämtere Forderung erwartet und war erleichtert. Doch seine Freude war nur von kurzer Dauer.
»Außerdem«, fuhr der Bankier fort, »bedarf es einer stipulatio poena für den Fall, dass die Zahlung bei Fälligkeit nicht erfolgt.« Er seufzte tief auf, als ob es ihm leidtäte, ihm dies mitzuteilen, und fügte dann hinzu: »Fünfzig Prozent des Gesamtbetrags.«
Gerardo sprang erbost auf. »Was? Aber das ist Wucher! Das ist eine schwere Sünde, die auf das Höchste verurteilt wird von der …«
»Leise, Messere, beleidigt mich nicht«, unterbrach ihn Remigio, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Seid Ihr Euch denn der Risiken nicht bewusst, die ich eingehe, wenn ich einem Flüchtling Geld leihe? Noch dazu, wenn dieser Mitglied eines Ordens ist, gegen den Beschuldigungen wegen Ketzerei und unzüchtigen Treibens erhoben werden, und wenn gleichzeitig noch ein Prozess gegen ihn im Gange ist? Und damit Ihr es wisst, ich bin noch nicht fertig.«
»Das genügt«, meinte Gerardo, hielt ihn mit der Hand auf und wandte sich zur Tür. »Ich werde anderswo nach besseren Bedingungen suchen.«
»Ihr werdet sie nicht finden. Wie Ihr auch niemanden absolut Vertrauenswürdigen finden werdet, der Eure Lage kennt und Euch dennoch nicht verrät. Das, was ich neben den bereits genannten Bedingungen von Euch verlangen wollte, waren übrigens keine weiteren Zinsen, sondern lediglich zwei Bürgen, die für Euch einstehen.«
Gerardo hatte sich so sehr erhitzt, dass er sich verstohlen Luft unter das Gewand fächeln musste, um sich ein wenig Abkühlung zu verschaffen. Dann wandte auch er sich dem heiligen Matthäus zu und bat Gott im Geiste um Vergebung, da er der Sünde des Wuchers Vorschub leisten würde, wenn er diese Bedingungen annahm. Mit zusammengepressten Zähnen stieß er hervor: »Ihr wisst sehr gut, dass ich nicht ablehnen kann. Aber ich habe keine Ahnung, wo ich die zwei Bürgen finden soll, die Ihr von mir verlangt.«
»Ihr habt Glück«, sagte der Bankier versöhnlich. »Eigentlich müsst Ihr nur einen finden, den anderen kann ich Euch empfehlen.«
»Und wer ist das?«, fragte Gerardo misstrauisch.
»Ein Templer wie Ihr. Er ist Franzose, überaus vermögend und erst vor kurzem in der Stadt eingetroffen. Aber ich kenne ihn schon lange. Ich werde ihm Eure Situation schildern und bin mir sicher, dass er gern einem in Schwierigkeiten geratenen Mitbruder helfen wird.« Mit diesen Worten erhob sich Remigio Sensi und sagte: »Ich muss mich jetzt weiter um meine Geschäfte kümmern, aber es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr meine Gastfreundschaft annehmen würdet. Ich lasse Euch in die Küche bringen, wo Fiamma Euch einen Teller Suppe geben wird. Es ist ja beinahe Zeit für das Mittagsmahl.«
Zweifellos war dieses freundliche Angebot pure Berechnung. Remigio wollte sich die Tempelritter nicht zum Feind machen, denn seit gegen sie prozessiert wurde, bescherten sie ihm noch bessere Geschäfte als zuvor. Als Gerardo den Namen der jungen Frau hörte, antwortete er sofort: »Ich nehme an, um Euch einen Gefallen zu tun, Messer Remigio, aber macht Euch nicht zu viele Umstände. Eine Schüssel mit lauwarmer Milch und etwas Brot genügen völlig. Doch zuerst habe ich noch eine Frage an Euch.«
Читать дальше