«Sie ist inzwischen eine von hier. Niemand wirft ihr irgend etwas vor.«
Beatrice sah zu Helene hinüber, die gerade mit einem kleinen Mädchen sprach, das ihr einen Blumenstrauß überreicht hatte.
«Die Zeit damals«, sagte sie,»hat uns alle auf eine gewisse Weise traumatisiert. Jeder geht anders damit um, aber da ist manches, was nie vergessen sein wird.«
Majas Blick verriet, daß ihre Gedanken abschweiften. Beatrice kannte das schon. Die jungen Leute mochten nichts hören vom Krieg, von der Zeit der deutschen Besatzung auf den Kanalinseln. Das war lange her und hatte mit ihnen nichts mehr zu tun. Es interessierte sie nicht, was damals geschehen war, und Maja, mit ihrer Leidenschaft für Nachtclubs, Männer und Affären, interessierte es schon gar nicht.
«Ich bringe das mit Helene jetzt hinter mich«, sagte sie.»Wir sehen uns noch, Beatrice, bis nachher!«
Sie trat auf Helene zu, und deren Miene verdüsterte sich sofort.
Sie und Maja werden nie zueinanderfinden, dachte Beatrice.
Sie hatte inzwischen größte Lust, ihre eigene Geburtstagsparty unauffällig zu verlassen, da sah sie, daß Alan den Raum betrat. Den ganzen Morgen über hatte er sich noch nicht blicken lassen. Sie seufzte tief. Sie konnte nicht in dem Moment verschwinden, da ihr einziger Sohn zum Gratulieren kam.
Alan sah seinem Vater immer ähnlicher, je älter er wurde. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen und wirkte manchmal wie ein südfranzösischer Lebemann. Er war attraktiv, doch von den Spuren seines exzessiven Alkoholgenusses deutlich gezeichnet. Seine Haut neigte bereits zur Schlaffheit, obwohl er erst zweiundvierzig Jahre alt war, und er hatte auffallend starke Tränensäcke unter den Augen. Er war längst Alkoholiker, da machte sich Beatrice nichts vor, auch wenn sein Leben nach außen hin noch funktionierte, er seinem Beruf erfolgreich nachging und seine Sucht noch immer recht gut vertuschen konnte. Beatrice wußte, daß er einige Jahre zuvor eine Affäre mit Maja gehabt hatte — zumindest hatte sie geglaubt, es habe sich nur um eine Affäre gehandelt. Aber irgendwann war ihr klargeworden, daß Alan sich in die Geschichte mit dem jungen Mädchen viel tiefer verstrickt hatte, als er jemals zugeben würde. Er war wie besessen von dieser Frau. Beatrice konnte nicht verstehen, wie ein interessanter und gebildeter Mann sich so stark zu einer so oberflächlichen Person hingezogen fühlen konnte, denn so hübsch Maja war, kein Mann von Verstand würde ernsthaft eine längerfristige Verbindung mit ihr anstreben wollen. Maja würde sich nie zu einer treuen Ehefrau wandeln können. Sie würde dem Mann an ihrer Seite ohne Unterlaß Hörner aufsetzen — und Beatrice hoffte, daß Alan dies irgendwann erkennen und sich davon angewidert zeigen würde.
«Hallo, Alan«, sagte sie, als er vor ihr stand,»es ist Sonntag, es ist elf Uhr am Vormittag, und du bist schon wach. Soll ich das als besonderes Zeichen deiner Zuneigung zu mir werten?«
Alan hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. Sein Atem roch stark nach Pfefferminz, aber die Bonbons, die er ganz offensichtlich aus Tarnungsgründen gelutscht hatte, konnten die darunter schwingende Whiskyfahne nicht verbergen.
«Meinen Glückwunsch zum Geburtstag, Mummie. Du siehst gut aus für dein Alter, wirklich!«
«Das ist wahrscheinlich als Kompliment gemeint. Danke, Alan.«
Sie sah, daß sein Blick suchend im Raum umherschweifte.»Maja steht dort drüben bei Helene, falls du herausfinden möchtest, ob sie da ist«, sagte sie.»Du wirst Gelegenheit haben, sie zu begrüßen.«
Alan lächelte, aber er sah dabei ein wenig gequält aus.»Ich habe gar nicht nach Maja geschaut, Mummie. Ich habe mich nur umgesehen, wer überhaupt so da ist. Jede Menge alter Damen, so scheint es. Hast du so viele Freundinnen? Oder eher Helene?«
«Es sind Bekannte. Keine von den alten Schachteln steht mir besonders nahe, aber wenn es irgendwo gratis etwas zu essen und zu trinken gibt, strömen sie in Scharen herbei. Ehrlich gesagt, könnte ich auf jede einzelne von ihnen verzichten, aber Helene braucht das Gefühl, daß ihr Geburtstag ein ganz besonderes Fest ist, und so spiele ich eben mit.«
«Hm.«
Alans Blick hatte sich für einen Moment an Maja geheftet, die noch immer mit Helene sprach. Er sah rasch zur Seite, als er bemerkte, daß seine Mutter ihn aufmerksam musterte.
«Und, Mum, wie geht es sonst so?«fragte er leichthin.»Was machen die Rosen? Ist dir eine neue, tolle Kreuzung geglückt?«
«Ich habe es schon lange nicht mehr versucht. Nein, von den Geschäften habe ich mich völlig zurückgezogen. Ich lebe in den Tag hinein und tue nur, was mir Spaß macht.«
Sie verzog das Gesicht, halb spöttisch, halb traurig.»Wenn man alt ist, wird das Leben langweilig, weißt du.«
«Aber dein Leben doch nicht, Mum!«
Alan nahm sich ein Champagnerglas von einem Tablett, das vorübergetragen wurde. Durstig trank er es sogleich in einem Zug zur Hälfte leer.»Du hast doch immer etwas vor und bist ständig beschäftigt. Ich glaube, ich habe dich kaum je untätig erlebt.«
«Das ändert nichts daran, daß die Dinge, die ich tue, langweilig sind. Aber laß uns von etwas anderem sprechen. Beruflich ist alles in Ordnung bei dir?«
«Klar.«
Sein Glas war leer, aber er hatte Glück: Das Tablett wurde zum zweitenmal an ihm vorbeigetragen, er konnte sofort Nachschub beschaffen.»Weißt du, Kontakte sind einfach wichtig in meinem Job, und damit hatte ich noch nie Probleme. Ich kenne einige recht einflußreiche Leute in London, und das erleichtert mir meine Arbeit immer wieder.«
«Wie schön. Ich freue mich, wenn alles gut läuft«, sagte Beatrice. Das leise Zittern seiner Hand, mit der er das Glas hielt, weckte Besorgnis in ihr. Er hatte am Tag seiner Ankunft auf Guernsey getrunken, an jenem Abend, als er irgendwann aus der Kneipe in St. Peter Port aufgetaucht war, eine junge Frau im Schlepptau, die er auf der Straße aufgesammelt hatte. Es hatte sie geärgert, daß ihn sein erster Weg auf Guernsey in ein Wirtshaus geführt hatte, aber wenigstens war es Abend gewesen. Freitag und Samstag war er daheim geblieben, hatte zwar abends zum Essen Wein getrunken, aber nicht auffallend viel. Jetzt war es früher Vormittag, und er hatte bereits dem Whisky zugesprochen. Vielleicht, dachte sie, hat er das in den letzten Tagen genauso gemacht, und ich habe es nur nicht gemerkt.
Dieser Gedanke deprimierte sie tief. Sein Verfall war weiter vorangeschritten, als sie geahnt hatte.
«Und… privat?«fragte sie vorsichtig.»Irgend etwas Neues?«
«Privat geht es mir wirklich gut«, erwiderte Alan sofort, beinahe etwas zu rasch und zu fröhlich, um glaubhaft zu wirken.»Mal die eine Geschichte, mal die andere. Ohne daß es jemals zu eng wird. Eine normale, bürgerliche Beziehung paßt wohl gar nicht zu mir.«
Beatrice wußte, daß er sich nach einer normalen, bürgerlichen Beziehung sehnte, aber es war klar, daß er es niemals zugeben würde.»Man sollte durchaus eine feste Bezugsperson haben im Leben«, sagte sie,»es geht dann einfach alles besser. Die sogenannte Freiheit hat nur einen trügerischen Reiz. Irgendwann besteht sie nur noch aus Leere und Überdruß.«
«Mummie…«, sagte Alan ungeduldig, aber sie unterbrach ihn sofort:»Es ist dein Leben, ich weiß. Ich habe kein Recht, mich einzumischen. Aber ich frage mich eben, ob es dir privat wirklich so gut geht, wie du behauptest. Die Tatsache, daß du bereits am Morgen schon nicht mehr ohne Alkohol auskommen kannst, deutet darauf hin, daß du vielleicht ein paar ziemlich gewichtige Probleme hast.«
«Was heißt, ich komme schon am Morgen nicht mehr ohne Alkohol aus?«fragte Alan erregt.»Ist das hier eine Party oder nicht? Schau dich mal um, außer dir trinkt jeder Champagner! Ich meine, weshalb läßt du Alkohol anbieten, wenn du dann herummeckerst, daß man ihn tatsächlich trinkt?«
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