«Na ja…«, machte Mae, und dann schwiegen sie wieder beide und sahen hinaus, wo ein warmer Junitag kaum merklich in einen hellen, langen Abend überging. Die Masten der Segelschiffe ragten in einen lichtblauen Himmel. Die meisten Menschen, die an der Uferpromenade entlangschlenderten, leckten an einem Eis. Auf den Zinnen von Castle Cornet wehte die britische Flagge.
Der Wirt brachte die beiden Salatteller und stellte gleich noch eine Vase auf den Tisch.»Ihr Tisch hatte gar keine Blumen«, sagte er,»das geht natürlich nicht!«
In der Vase stand eine dunkelrote Rose. Beatrice berührte die samtigen Blütenblätter mit den Fingerspitzen. Wie schön sie sich anfühlt, dachte sie, wie wunderschön sie aussieht.
Sie wartete auf das Gefühl, das sich immer unweigerlich einstellte, wenn sie eine Rose sah. Das Gefühl, um ihr Leben betrogen worden zu sein. Das Gefühl, daß ihr keine Wahl geblieben war.
Nach einigen Sekunden begriff sie, daß es diesmal nicht kam. Es blieb dabei, daß sie die Rose schön fand. Daß sie es genoß, die weichen Blüten ganz zart zwischen den Fingern zu reiben. Daß sie Lust hatte, ihren Duft einzuatmen.
Das ist neu, dachte sie erstaunt.
«Du schaust diese Rose an, als hättest du noch nie eine gesehen«, bemerkte Mae,»dabei hast du nun wirklich jahrelang an der Quelle gesessen!«
«In gewisser Weise«, sagte Beatrice nachdenklich,»habe ich auch noch nie eine Rose gesehen. Nicht mit den Augen, mit denen ich sie heute sehe.«
Mae überlegte, was ihre Freundin meinen könnte, aber ihr fiel nichts ein, und sie sagte sich, Beatrice werde eben mit zunehmendem Alter immer wunderlicher.
«Hast du noch etwas von Julien gehört?«fragte sie.
«Nein«, sagte Beatrice,»natürlich nicht. Er kann es wohl für lange Zeit nicht riskieren, irgendwo in Erscheinung zu treten.«
«Hättest du dir vorstellen können, daß er gemeinsame Sache mit Verbrechern macht?«fragte Mae.
«Ach«, sagte Beatrice,»bei Julien konnte ich mir eigentlich immer alles vorstellen.«
«Hm«, machte Mae. Sie musterte Beatrice nachdenklich.
«Wie geht es dir jetzt so?«fragte sie.»Ich meine, so ganz allein im Haus. Ohne Helene?«
«Ich vermisse sie«, sagte Beatrice.
Mae starrte sie an.»Ja?«
«Ja.«
Beatrice sah an ihr vorbei hinaus zum Hafen. Etwas hatte sich verändert. Sie hatte ihren Frieden gemacht. Spät in ihrem Leben, aber doch noch zu guter Letzt. Ihren Frieden mit den Rosen.
Und mit Helene.
«Komm«, sagte sie zu Mae,»laß uns bezahlen und dann nach Hause fahren. Ich bin müde.«
«In Ordnung«, sagte Mae.