Walzer ist nicht einfach. Aber schon relativ leicht zu erlernen.
Meinst du, dass ich nochmal, also überhaupt mal …
Das kann auf jeden Fall nicht schaden. Hör doch mal, wie das gleitet, wie man sich da … Ich würde sagen: Ja.
Meinst du jetzt Tanzschule, Mia?
Mia?
Scheiße, sorry!
In der Zeile verrutscht?
Ja, so ähnlich.
Aber das gab’s doch bestimmt auch bei euch im Osten, sowas wie Tanzschulen.
Klar gab’s das. Aber zuerst mal haben wir zusammen gesungen, sind zusammen marschiert, sind zusammen zu den sowjetischen Freunden, Wandzeitungen haben wir zusammen gestaltet und viel viel Sport gemacht. Geturnt, am Barren, Sportgymnastik.
Sag bloß, du konntest Spagat?
Konnt ich. Noch mit siebzehn, achtzehn, neunzehn konnt ich das.
Ich hab Tennis gespielt und mir dabei ein wenig die Knie versaut.
Na, das glaubst du mir nicht.
Was?
Dass ich Spagat kann.
Konnte! Hast du gesagt.
Und da steht sie auf plötzlich, geht ein paar Schritte hinter den Tisch, geht ein paar Schritte in den leeren Raum, den Fußbodenraum zwischen den Tischen, greift mit beiden Händen auf ihre weiten dunklen Stoffhosen, stellt sich breitbeinig in Position und lässt ihre Beine langsam, ganz langsam auf dem getäfelten Holzboden auseinandergleiten. Und du denkst: Nee, Mädchen, mach es nicht, wir sind doch beide fünfzig, auch wenn wir nicht so aussehen.
Aber sie lässt ihre Beine immer weiter, ganz langsam, auseinandergleiten, die Dame in Schwarz-Weiß, das Tablett an die Brust gedrückt, blickt erst mit großen Augen zu ihr, zu ihnen, geht dann aber weiter auf ihren Wegen zwischen den Tischen, während sie sich dem Spagat annähert. Aber dann ist Schluss, und sie springt auf und schreit.»Verdammt nochmal, verdammte Scheiße!«
Das klingt so schrill und hoch und tief, wie man eben mit fünfzig klingt, wenn man versucht, kalt einen Spagat zu machen. Sie humpelt noch ein wenig hin und her, Walzer, Walzer in der Endlosschleife, greift sich immer wieder an den Oberschenkel und verzerrt das bleiche, englische Blässe! Gesicht, dann setzt sie sich.
Du lehnst dich zurück, die Gläser sind leer, du spürst das Pulsieren des Obstlers in deinem Gesicht, beugst dich vor, lehnst dich wieder zurück, lachst in Gedanken, schweigst in Gedanken, schüttelst den Kopf, greifst dann nach ihren Händen, die du nicht so schnell zu greifen, zu fassen kriegst, legst dann deine Hände auf ihre Schultern, beugst dich wieder vor, und da seid ihr euch so nah mit den Köpfen, mit den Haaren, die sich berühren, und sie legt ihre Hände, immer noch leise jammernd, auf deine, und immer noch schweigend, also ohne Worte, lacht ihr.
Kaputt. Ich trinke nicht mehr. Kaputt. Nur noch wenig. Seit vielen Jahren. Sehr vielen Jahren schon. Mein Körper und mein Kopf brauchen das nicht. Ich bin auf dem Sprung. Wenn es am schönsten ist, sollte man aufhören. Ich weiß nicht, ob meine Mutter noch da ist. Dort und weit weg. Falls und die Pfalz. Vielleicht bewundere ich sie. Die Tänzerin, nicht Mutter. Mir geht es gut. Ich habe meine Regeln. Am Hafen, dieser lächerliche Hafen dieser lächerlichen Stadt, wo ich jetzt sitze, liege, sitze, warte, es ist die letzte Station. Was soll man bereuen, wenn es nichts zu bereuen gibt. Kaputt sind nur die anderen. Das war in Essen so, das ist hier so. Es sind Spiegel, in die ich mich kleide. An denen sie an mir abgleiten. Ich habe immer die bewundert, die sich den Witz bewahrt haben, meine Kolleginnen, alle meine Frauen. Das kann ich nicht. Der Chef, der Alte, ist in Ordnung. Da habe ich andere Arschlöcher gekannt. Früher hatte ich einen Hass, einen kleinen Hass, gegen die Ostpocken. Als die alle rüberkamen zu uns. Wo all das Volk wissen wollte, wie die so zu vögeln sind. Weil da die Legenden umgingen, ach, wie freizügig die alle sind. Weil’s da Jahrzehnte und gefühlte Jahrhunderte keine Geschäfte gab, bei den Ostpocken, keine richtigen Geschäfte, was den großen goldenen Bums betrifft. Kamen die feinen Damen alle zu uns und machten uns die Geschäfte schwer. Aber da sind inzwischen viele Jahre vergangen. Jetzt kreuzen sich unsere Wege wieder hier. Ich bin nicht verbittert. Ich habe noch einige gute Jahre. Aber in denen will ich weiterziehen. Ich habe einen guten Kontakt in Hannover, dem großen Fleischmarkt, wo die Engel regieren.
Ich sehe das alles rein rational. Ich melke und melke und schaffe zur Seite, was geht. Hatte sogar Fonds und Aktien, aber das ist alles kaputt jetzt. Wer konnte das ahnen, dass Europa verblutet. Aber ich war nicht ganz dumm zum Glück. Zum Glück war ich nicht ganz dumm. Habe das Konto, wo es immer noch reinfließt. Und von den Fonds und Bonds und Aktien habe ich einiges behalten, weil doch ein Übermaß an Chaos irgendwann wieder zur Ordnung führt. Und umgedreht. Wir haben es ja gesehen. Da warte ich und halte den Rest.
Drüben, wenn ich aus dem Fenster schaue, sind die alten verfallenen Speichergebäude des alten Hafens. Dahinter beginnt schon der Wald. Ein Kanal führt bis weit ins Land. Viele schöne Kanäle, neu, fast wie Amsterdam. Dass die Engel jetzt auch hierher gekommen sind und Verträge und Geschäfte machen, habe ich nicht mitbekommen. Weil mich das alles nicht berührt und betrifft. Und dass da vor einem Jahr einer gestorben ist, den ich wahrscheinlich sogar kannte, ein Gast, Kollateralschaden, habe ich erst viel später erfahren. Ich habe oft in solchen Kriegen gesessen und mein Geld verdient. Essen — Hannover — Düsseldorf. Das ist nicht schön, aber es geht immer weiter. Natürlich will ich nicht, dass die Russen, die Jugos oder andere Kanacken in unsere fairen Deals reinschießen. Nicht weit von mir gibt’s noch einen Club. Da ist wohl der Chef mit drin. Aber nur noch ein bisschen hier, und ich bin weg. Ziehe weiter. Habe noch einige Jahre. Bin alles in allem zufrieden. Und ich sage immer: Ist der lange Tag der Arbeit vorbei, werde ich danach alles vergessen. Schnell. Sofort. Ich leide nicht, und ich denke auch nicht allzu viel darüber nach, dass es da so seltsame Damen gibt, die keine Ahnung haben, aber immer sowas behaupten, wie es wäre. Undsoweiter.
Einige von den jungen Mädchen ticken ganz anders. Was den Profit betrifft. Schnelles schönes Geld und schnell wieder raus. Ich brauche keine dummen Sprüche. Von niemandem. Wenn ich in meiner kleinen Wohnung verschwinde, verschwindet alles andere, verschwindet alles, was auf Arbeit war. Man darf nur keine Illusionen haben. Natürlich habe ich Träume. Aber die behalte ich für mich.
Wenn ich so auf den alten Hafen blicke, erinnere ich mich, dass es wohl mal einen Mann hier gab, der hatte einen Traum, das Ding auszubauen, aufzukaufen, den nannten sie den Bielefelder, und manche nannten ihn den Graf, warum, kann ich nicht sagen, dem gehört die Burg am anderen Ende der Stadt, wo ich nicht arbeiten will, weil ich mal in einer ähnlichen Burg in Hannover war. Da wohnen Vögel oben unter den Dächern. Die ich sehe, wenn sie aufflattern. Wer hätte das bezahlen sollen? Ich höre die Menschen unten auf der Straße. Ich warte. Ich rechne jeden Tag und denke: Gebt mir euer Geld, ihr Narren.
Nur noch kurze Zeit, dann nach Hannover, und dann ist Schluss.
Ich bin die gute geile Mutter unter dem jungen Volk. Ich blase ohne, ich schlucke, wenn das Geld stimmt, und ich erwarte dich in Leder, wenn du das willst. Meine Löcher sind offen für dich. Kaputt bin ich nicht. Ich warte. Ich schnall mir den dicken Schwanz um, wenn du das willst, und auch meine Titten kannst du ficken. Dein Saft läuft aus meinen Haaren, läuft aus meinem Mund. Du kannst mir den Arsch aufreißen, ich nehme deine Eier in meinen Mund. Du zahlst hundertzwanzig die Stunde, all inklusive. Und fünfzig für den Quickie, wenn ich an der Wand stehe. Ich bin deine Mutti, wenn du es willst. Ich spuck dir deinen Saft in deinen Mund, wenn du das willst. Schlag mir auf den Arsch, wenn du willst. Und ich bepisse dich, wenn du das willst, in meiner Badewanne. KV gibt’s bei mir nicht, da musst du in die 53 zur Janine. Du kannst mich auch streicheln. Und du kannst mich küssen. Im Bad steht das Mundwasser. Du kannst dich an mich schmiegen, weil deine Mutter böse zu dir war. Du kannst mich auch bestrafen, ich bin leicht devot, wenn es dir danach ist und du mich dafür bezahlst.
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