Er steckt sie ein. Als er sich neben den Mann hockt, um die Taschen der Sportjacke zu durchsuchen, sieht er, dass die weiße, etwas zu große Unterhose vorne feucht ist. Er versucht, nicht auf den schwarzroten Beinstumpf zu schauen. Die Ratten werden sein Bein fressen. Und der Knochen? Aber wer soll das dort unten finden. Er hatte auch überlegt, den ganzen Mann dort hinzuschleppen. Aber das würde anfangen zu riechen. Der Gestank der Verwesung musste schrecklich sein. Und er war sich nicht sicher, ob nicht hin und wieder, in den Wintermonaten vielleicht, Penner irgendwo in den verzweigten Gängen und Kellern hausten. Was hatte er sich gedacht, als er das Bein abtrennte, als er den ganzen Körper zerlegen wollte? Ihn Stück für Stück entsorgen? Er hatte einmal einen Film gesehen, in dem hatten sie einen Körper komplett verschwinden lassen, ihn zerlegt und ausgeweidet. Die Gedärme in die Kanalisation gepresst, alles andere immer weiter zerkleinert, in die Kanalisation gepresst. Vielleicht war es schon ein Fehler, das Bein hierzulassen. Aber es war zu spät. Die Spuren waren da. Die Taschen der Sportjacke sind leer. Er erinnert sich, dass der Mann oben im Büro noch einen Mantel hängen hat. Er geht zu der anderen, kleineren Tür, öffnet sie …, und als er durch die dritte Tür, oberhalb der kleinen metallenen Stiege, tritt, in den Lagerraum 2, in dem er Putzmittel und Schrubber und Besen und Kisten mit Klosteinen und stapelweise Scheißhauspapier aufbewahrt, hört er sofort wieder die Musik, glaubt, auch die Stimmen und Schritte zu hören, das Lachen der Mädels, das Knistern der Scheine, das Klirren der Gläser. Er schließt die dritte, unscheinbare Tür hinter sich, muss sich bücken, so niedrig ist dieser Ein- und Ausgang, manchmal denkt er, dass jeder weiß, dass es dieses da unten gibt, das er neunzehnhundertvierundneunzig entdeckt hat, und dass jeder weiß, was er da unten treibt, aber er bastelt ja nur, pflegt seine Sammlung, sitzt nach Feierabend lange dort, um seine Ruhe zu haben, lauscht in die Stille, trinkt ein Glas Cognac, während er an seiner Eisenbahn bastelt oder seine Sammlung pflegt und begutachtet. Eisenbahn und Waffen, die Geschichte der Moderne. Er geht ins Büro, das einen direkten Zugang zum Barraum hat. Er sieht den Mantel, Drykorn, wie er später feststellt, eine ganz gute Marke, so könnte auch ein Schnaps heißen, fein säuberlich über die Stuhllehne gehängt. For beautiful people . Zwei Gläser noch auf dem Schreibtisch. Hatte er ihm nicht erst unten den» Springer «angeboten? Er kriegt die Geschehnisse der letzten anderthalb Stunden nur noch schwer zusammen.
Er nimmt den Mantel, wühlt in den Taschen, den Seitentaschen, den Innentaschen. Findet das Formular einer Zimmervermietung. Ein Schlüsselbund mit drei großen Schlüsseln und zwei kleineren, einer sieht aus, als ob er zu einem Fahrradschloss gehört. Findet Taxiquittungen, eine ist von heute. Hat dieses Arschloch nichtmal ein Auto? In einer kleinen Innentasche, die er nicht sofort erfühlte, als er den Stoff abklopfte, findet er dann ein kleines Portemonnaie. Rosafarbenes Leder. Willst du mich verarschen? Er setzt sich hin, schiebt die beiden leeren Gläser auf der Tischplatte hin und her. Ein Ausweis mit dem Foto eines anderen Mannes. Der denselben Namen trägt, den ihm sein Bullenkontakt nannte.
Das Anmeldedatum vor über zehn Jahren. Das Foto sicher noch älter. Hochgegeltes Haar. Der Mann da unten hat nur noch kurze graue Stoppeln. Hans rechnet. Er ist sieben Jahre älter. Aber, verdammt nochmal, besser in Schuss. Spar dir die Wortspiele, Arschloch .»Was?«
Er geht zum dicken Klaus und sagt ihm, dass er nochmal kurz wegmuss, aber bis Feierabend wieder da ist.»Wenn was sein sollte, ruf an. «Sieben, acht Gäste sitzen an der Bar. Zwei kennt er, die waren schon oft da. Dafür, dass die Stadt in manchen Nächten explodiert, läuft es ganz gut. Ist aber auch eine Messe zurzeit, Sanitär? Er kann sich nicht erinnern, obwohl er genau weiß, wann welche Messe ist. Mandy mixt. Er muss demnächst die Bewerbungen durchgehen, er braucht eine feste Barfrau. Sie wechseln sich zwar ab, aber er braucht die Mädels für die Zimmer. Die Studentin für die Aushilfe hat sich krankgemeldet. Verdammtes Chaos. Er geht kurz an den Tresen, denkt dann aber daran, dass er noch fahren muss.
«Alles in Ordnung, Mandy?«
«Alles gut, Hans. «Er braucht eine feste Barfrau, verdammt nochmal, so schnell wie möglich. Mandy müsste sich zu den Gästen setzen. Am besten eine Marke Milf, zuverlässig, erfahren. Ohne aufs Zimmer. Die fünf Mädels haben alle Hände voll zu tun. Ordern Prosecco oder Rotkäppchen. Sitzen zwischen den Gästen, beugen sich links, beugen sich rechts. Die kleinen Proseccobüchsen kann er nicht leiden, ist aber der Trend.»Gib mir mal ’n kleinen Johnnie Black.«
«Gerne doch, Hans. «Er hat das Gefühl, er ist in diesem bescheuerten Computerspiel, das er manchmal auf seinem Laptop im Büro spielt.»Der Rotlicht-Manager«. Ein Billigding, das ihm vor ein oder zwei Jahren AK zu Weihnachten geschenkt hat. Mit ’ner Flasche Johnnie Black. Immerhin. Es gelingt ihm fast nie, das Chaos dort zu verwalten. Entweder er organisiert die falschen Mädels, die zu alt oder zu billig sind, oder er vergisst die Reinigungsfrauen, oder er spart an der Tür, was das Personal betrifft, obwohl er es doch in der Wirklichkeit kann, seit so vielen Jahren schon. Dann wieder gibt er alles Geld aus für die beste und exklusivste Einrichtung der Zimmer. Wenn dann dort gebumst wird, sieht man nur ein großes rotes pulsierendes Herz, das ärgert ihn. Vor zehn Jahren, kann auch schon länger her sein, hatte er, er erinnert sich ganz genau an dieses dumme morgendliche Geschwatze in der Dreiundzwanzig-Stunden-Kneipe, die es inzwischen bestimmt nicht mehr gibt, er ist sich aber nicht sicher, ist seit Jahren nicht mehr dort gewesen, da hatte er nämlich die Idee für dieses Spiel gehabt, für ein Spiel, in dem man einen Puff, eine Bar, einen Nachtclub betreiben muss. Aber die anderen hatten nur gelacht. Aber es tröstet ihn, dass der Erfinder dieser Billigvariante damit sicher keinen großen Reibach macht. Und er verschwendet die Gelder, diese virtuellen Gelder, für die Einrichtung der Zimmer, kauft die besten Getränke für den Barbetrieb, engagiert eine professionelle Barfrau, spart dann zu viel bei der Reinigungsbrigade, ja, verdammt nochmal, zwei alte Weiber, die putzen, müssen doch reichen, vergisst dann, rechtzeitig bei den anderen Mädels, die bei ihm arbeiten wollen, anzurufen, weil er nicht rechtzeitig merkt, dass da welche krankmachen oder plötzlich keine Lust mehr haben, weil er, als der Manager mit der Maus, die Gäste nicht gut verteilt beziehungsweise die Reizpunkte und Stripshows nicht gut genug koordiniert, ist ja auch ein viel größerer Laden als seiner, dann hat er plötzlich Probleme mit der Steuer, obwohl er immer im Menü das Anwaltstelefonat anklickt, sein Club auf dem Laptop versinkt jedes Mal oder oft im kompletten Chaos und geht dann Pleite. Leckt mich doch .
Die Stimmen, die Frauen, die Gäste. Die kleine Russin ist wie immer oben auf dem Zimmer. Die hat es echt drauf, kann den Gästen jeden Drink aus dem Herzen oder sonstwoher zaubern. Und jeden mit nach oben nehmen, ob der will oder nicht. Der Laden läuft gut. Er schiebt das leere Glas Richtung Mandy 2, die ihn seit einigen Minuten anschaut, eine Zigarette raucht,»Bis später«,»Bis später, Hans.«
Vor der Kreuzung biegt er ab. Die kleine Seitenstraße ist leer, und er parkt direkt an der Ecke. Dreht den Schlüssel, legt den Kopf aufs Lenkrad, lehnt sich dann zurück. Er hat zwei Bettlaken aus dem Lagerraum 1 geholt, aber ärgert sich jetzt, denn wozu soll das gut sein. Noch mehr Stoff, den er entsorgen muss. Er wird den Boden seiner kleinen Kathedrale mit Waschbenzin schrubben müssen, mal sehen, was er für seine Reinigungsbrigade im Lagerraum 2 hat. Als er pissen war, hat er gesehen, dass das Papier knapp war. Er müsste anrufen, dass da nicht das Papier plötzlich alle ist. Er macht sich über all diesen Unsinn Gedanken, obwohl der Mann in seinem Kofferraum liegt. Ist kein Unsinn. Halt doch die Fresse, verdammt nochmal. Er hört das Grummeln von Flugzeugen, weit über den dunklen Häusern. Die Post hat eigene Flugsteige auf dem großen Flughafen draußen vor der Stadt, auf denen starten und landen auch nachts die Maschinen.
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