Hans setzt den Lauf an seine Stirn. Keiner würde ihn hier unten hören. Beim ersten Schuss hatte er den rechten Unterarm mit seiner linken Faust umklammert. Dennoch verriss dieser Schuss. Der nicht der erste war an diesem Abend. Er spürt die kühle Mündung auf seiner Schläfe, verschiebt und spürt sie auf seiner Stirn.
Das Telefon hatte geklingelt und geklingelt, während er oben im Büro saß. Er drückt ab und sieht die Flasche» Springer «zersplittern. Er schleudert den Nagant zwischen die Regale. Packt den Mann bei den Schultern, bewegt den Körper hin und her. Wie schwer der ist. Erstaunlich wenig Blut auf dem Boden. Er muss eine Plane holen, hat er nicht Plastikplanen im Lager? Dann erinnert er sich an den kleinen Leinenbeutel, den der Mann in der Hand gehalten hat, ein kleiner kanariengelber Diamant und ein borblauer liegen vor dem geöffneten Beutel, vor der ausgestreckten Hand des Mannes, und er sammelt sie ein. Presst die Faust zusammen und spürt die scharfen, kühlen Kanten des erbsengroßen Brillantschliffs, fühlt die winzige abgeflachte Tafel auf der Oberseite, spürt, wie die Strahlungen der mindestens zweiunddreißig Facetten im Oberteil und der mindestens vierundzwanzig Facetten im Unterteil durch Haut und Knochen dringen. Er hockt auf dem Boden, während das Haus sich bewegt.
«Als ich achtzehn war, kam ich erstmals in Kontakt. Das war am schwarzen Meer, das war meine Heimat. Ich wollte doch nur weg von zu Hause, ich wolle doch nur irgendwohin, wo ich Chancen habe. Wo ich Geld richtig verdienen kann. Die Schwester von meinem Schwager fragte mich dann. Das war in V., und da waren vor allem die Touristen. Das lief. Ja. Sex war halt Sex, da habe ich nie viel darüber nachgedacht. Das lief so ganz gut, und weil ich ja auch die Schwester von meinem Schwager kannte, weil das ein guter Kontakt war. Der Boris. Da hatte ich erstmal meine Ruhe, ja schon, budjit, budjit, und da habe ich auch gut verdient. Das war immer o.k., nur die Engländer waren schlimm, manchmal, die waren …, die haben genervt. Aber das war ein richtig guter Laden dort in V. Und in der Saison vor allem, da hab ich so viel verdient, ich dachte damals, dass das eben richtig viel ist. War viel. Ich hab da immer für mich selbst gearbeitet. Deutsch konnte ich wegen der Schule ganz gut, und da war ich immer richtig gut, und mit den deutschen Urlaubern wurde das noch besser. Ich hatte da auch Freundinnen, die kannte ich von früher, das kann schon sein, dass die jemand hatten, weil da jemand war, der hinter ihnen war, der alles kontrolliert hat. Ich hab alles für mich gemacht. Und mir war schon früh klar, dass ich dann bald ins Ausland gehe. Mit der L. bin ich dann nach Deutschland. Da haben wir uns zusammengetan. Mit dem Flugzeug sind wir geflogen. Die wusste auch, wer da mit der Arbeitsgenehmigung die Kontakte hat. Wir hatten dann auch Deutsche in der Verwandtschaft, ja wirklich. Hier in der Stadt haben wir uns jetzt eingelebt …, zu Hause. Würde ich sagen. Will ich. Wenn wir uns treffen, reden wir Russisch, na klar. Schwarzes Meer, da denke ich manchmal dran. Natürlich. Aber ich fühl mich schon als Deutsche jetzt. Das ist gut.«
Er hält das Bein in der Hand. Der Knochen hatte Schwierigkeiten gemacht. Er legt es vorsichtig auf die Eisenbahnplatte, über die er eine Plastikplane gezogen hat. Auch der Körper liegt auf einer Plane. Er hat ein großes Steakmesser aus dem Lagerraum geholt, er hat dort jede Menge Werkzeug, das Messer war schon da gewesen, als er Ende zweiundneunzig den Laden übernommen hatte, zusammen mit anderem Küchenkram, Messern, Kisten mit Tellern, der Typ aus dem Pott hatte wohl große Pläne, wollte vielleicht irgendwo ein Restaurant aufmachen oder eine Küche in den Club einbauen, der erste Puff mit warmer Küche, aber sicher gab es das schon längst irgendwo anders, gar keine schlechte Idee, hatte Hans damals gedacht, er erinnerte sich wieder daran, als er das Messer holte. Es ist nicht einfach, ein Bein abzutrennen. Sein Vater hat noch selbst geschlachtet und wollte, dass Hans eine Lehre als Schlachter begann, aber er hat dann als Gärtner angefangen, auch um den Alten zu ärgern.
Er dreht sich weg und kotzt.»Verdammte Scheiße, du blödes Arschloch. Hans der Schlachter. Ja, ja. Von wegen. «Er hat das Bein mit dem Riesenmesser und mit Hilfe eines Hammers unterhalb des Hüftgelenks abgetrennt.
Er holte tief Luft, nahm den» Springer «und trank einen Schluck aus der Flasche, spülte sich den Mund aus und spuckte den Schnaps auf den Boden. Er hockt sich neben dem Mann an die Wand, macht die Beine lang, drei Beine dicht nebeneinander. Er passt auf, dass er nicht an die Plane kommt mit den Füßen.»Hätte ich denn rumerzählen sollen, dass ich Gärtner bin und doch kein Schlachter? Was meinst du, Kamerad? Die hätten doch nur blöde Sprüche gemacht. Schweine-Hans, der kann’s. Ist doch nicht schlecht. Aber Hans der Gärtner? Nee. Und bestimmt hatten da immer ’n paar Angst, dass ich sie zerlege. So wie dich jetzt.«
Er zündet sich eine Zigarette an. Das Bren hat er wieder in die Kiste gelegt. Ihm ist schlecht, und er fühlt sich leicht. Vollkommen leer. Als wäre sein Körper ein länglicher Luftballon, nur seinen Kopf und sein Hirn kann er fühlen.»Du bist doch selber schuld. Du blödes Arschloch. Ich kann nur mein eigenes Ticket bezahlen. Du kannst nicht einfach hierherkommen und mir alles kaputtmachen. Wie hast du dir das vorgestellt? Kommst hierher und willst mir alles kaputtmachen. Weißt du, was mir immer am wichtigsten war? Dass ich meine Ruhe habe. Ich wollte nur in Ruhe meinen Laden führen. Bald wird hier eh alles anders. Und jetzt will ich mir meine Rente verdienen, und du kommst hierher und machst mir alles kaputt. «Die Augen des Mannes sind aufgerissen, die Augäpfel verdreht, so dass nur das Weiße und ein kleines Stück der Pupille zu sehen ist, er blickt nach innen in seinen Kopf. Der Mund ist leicht geöffnet, als hatte er noch etwas sagen wollen. Er berührt mit den Fingerspitzen das Gesicht, streicht langsam über die Bartstoppeln, legt die Hand auf die Haare des Mannes.»Du und ich. Wir haben’s versaut.«
Er steht auf, wirft die Kippe weg, stolpert gegen die Wand, tritt in seine Kotze, dünn und gelb, er hat seit dem Nachmittag nichts mehr gegessen, er lehnt an der Wand, setzt sich dann wieder hin.»Tut mir leid, dass ich dich zerschneiden muss, aber ich muss dich ja irgendwie hier wegkriegen. Ich glaub nicht, dass ich dir den Kopf abmachen kann. «Er lacht und spürt, wie ihm wieder die Suppe hochkommt. Er atmet tief ein und wieder aus, blickt ins Licht der Neonröhren an der Decke. Wenn er den Kopf ein wenig dreht, sieht er den Fuß, der mit den Zehen nach unten auf seiner Eisenbahnplatte liegt. Er steht auf, nimmt das Tuch, unter dem er das Geld deponiert hatte, wickelt das Bein darin ein. Es fühlt sich kalt an. Unter der Plane sieht er wie durch eine Milchglasscheibe die Schienen, die kleinen grünen Berge, die Häuser und Bahnhöfe. Er nimmt das eingewickelte Bein ganz vorsichtig in beide Hände, geht zur Stahltür, die in die tieferen Keller und Katakomben führt, legt den großen eisernen Riegel um, öffnet die Tür, während er das Bein unter den Arm klemmt. Er geht nochmal zurück und holt seine Maglite-Taschenlampe. Langsam läuft er durch den dunklen Gang, der vollkommen leer ist, der Strahl der Taschenlampe vor ihm auf dem Boden.
Als er zurückkommt, ohne das Bein, scheint es ihm, der Mann hätte sich ein Stück bewegt, wäre einen oder einen halben Meter Richtung Stahltür gekrochen, als wollte er seinem Bein folgen. Der Oberkörper ist von der Plastikplane heruntergerutscht, die jetzt plötzlich zerknittert ist wie ein ungemachtes Bett, unter der Plane sieht er das Blut auf dem Steinboden, dunkle Flecken. Er legt den Riegel wieder vor die Tür, schließt zusätzlich noch ab. Er muss den Körper zum Hintereingang schleppen, dort wird er sein Auto hinfahren. Die blutige Hose des Mannes liegt auf der Eisenbahnplatte, auf der eben noch das Bein lag. Hans greift in die Taschen, findet eine Kette mit einem weiß-schwarzen Stein, ein Hühnergott.
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