«Hallo?«
«Hans Pieszeck?«
«Wer sonst. «Der Typ, der Noch-Unbekannte hatte anscheinend zu viele Filme gesehen. Was für ein Blödsinn. Mitspielen, vorerst.
«Damit wir uns verstehen, ich bin nicht allein.«
«Du. Ihr. Und weiter?«
«Ich denke, du weißt, worum es geht.«
«Hm. Erzähl’s mir.«
«Es glitzert hell, so hell …«
«Du solltest deutlicher werden, sonst lege ich auf.«
«Nein, Hans Pieszeck. Das wirst du nicht tun.«
Hans hörte die Lautsprecheransagen im Hintergrund. Rauschen und Knacken in der Leitung, das Klimpern von Münzen, der Typ warf wohl Geld nach. Stimmen, wieder Lautsprecheransagen, Stimmen von Frauen, die sich anscheinend direkt neben dem Münzfernsprecher unterhielten, dann leiser wurden. Bahnsteige und Züge neben und hinter dem Mann, der vom großen Glitzern sprach.
«Die Frage ist, was wirst du tun.«
«Die Frage, Hans Pieszeck, ist: Was ist es dir wert.«
«Ich bin ein Arbeiter, ich schufte seit Jahren für mein Geld. Und glitzern, glaub mir, wo soll es groß leuchten? Wenn du einen Job suchst, komm zu mir. Stell dich vor. Du weiß, wo du mich findest. … Warte, einen Moment. «Hans warf ein Zweieurostück in den Schlitz. Ein paar Meter hinter ihm öffnete und schloss sich die Tür der Kaufhalle, des Supermarkts, im stetigen Strom der Einkaufenden, der Beladenen, die nach Feierabend ihre Depots auffüllen wollten und mit großen Füllmengen wieder rauskamen. Er hörte das Klappern der Einkaufswagen, die leer aus dem dreigleisigen Verschlag gezogen wurden und leer wieder in den dreigleisigen Verschlag geschoben wurden. Schnell noch eine angezündet.»Wo waren wir stehengeblieben?«
«Du bist nicht bei der Sache, mein lieber Hans.«
«Ich glaube nicht, dass wir uns so gut kennen.«
«Ich kenne das, was du hast.«
«Du hast Angst, dass man mich abhören könnte, deswegen diese Filmkulisse.«
«Nein. Du bist sauber. Wer weiß das nicht. Aber wir sind vorsichtig. Mach mir ein Angebot.«
«Eins, das du nicht ablehnen kannst? Ich war ehrlich vorhin.«
«Ich kannte mal einen, der sagte immer: Herzen wie Diamanten.«
«Wie kann ich dir ein Angebot machen, wo du von Anfang an sagst: hoch zwei.«
«Das war nur die Tendenz. Ich denke, ich weiß, um wie viel es geht.«
«Du denkst, Unbekannter. Wie sollen wir jemals zusammenfinden, wenn du so viel denkst.«
«Hans, Hans. Herr Pieszeck. Ich habe gehört, sie zahlen viel Geld in Berlin für Informationen. Die Ämter, die Schmieren. Ich habe gehört, dass die Nullen wachsen hintendran. Und ich komme zu dir mit weit weniger Nullen. Es kann und wird alles unter uns bleiben. Die Reinheit, Hans. Du kennst doch auch noch diese Band ›Karat‹.«
«Erspar uns den Ostrock. Du weißt nicht, worauf du dich da einlässt. Und damit meine ich nicht mich.«
«Und deswegen ist meine …, versteh mich nicht falsch …, Forderung moderat. Ich will dir nicht reinfunken in deine Geschäfte. Aber vergiss mich nicht, damit ich vergesse.«
Hans drehte sich um, den Hörer immer noch dicht an sein Ohr gepresst. Ihm war nicht schwindlig, nein, nichts dergleichen. Er war vollkommen klar, spürte die Herbstluft, atmete tief ein und roch diese kühle feuchte Herbstluft, blickte in das gelbe Licht des sich öffnenden und schließenden Eingangs der Kaufhalle, strich mit der freien Hand über das Metall des Münzfernsprechers, schnippte die bis auf den Filter runtergebrannte Kippe weg, beobachtete einen Wagen mit Berliner Kennzeichen, der auf den Parkplatz fuhr, zog die Aufschläge seines Jacketts zusammen, während er den Hörer zwischen Wange und Schulter hielt, er hatte zugenommen, das gefiel ihm nicht, das Sakko passte kaum noch, er fingerte eine Zigarette aus seinem Etui, dunkelbraunes Leder, das hatte ihm damals und vor Jahren die Mandy geschenkt, und spürte das Vibrieren der Stimme auf seiner Brust, weil der Hörer verrutscht war.
«Hans?«
«Ja.«
«Wir sollten die Details bereden.«
«Das sollten wir.«
«Wie sieht es morgen bei dir aus?«
«Nein. In drei Tagen. Ich brauche etwas Zeit, ich denke, das verstehst du.«
«Polizeiruf eins-eins-null. Die schöne Hundert. Und tausendundeine Nacht.«
«Red Klartext! Wie viel?«
«Einhunderttausend.«
«Komm zu meinem Hintereingang. Null Uhr.«
«Und denk daran, was ich weiß, weiß noch ein Zweiter.«
Hans blickte auf die Fotos, die vor ihm auf seinem Schreibtisch lagen. Seine studentische Hilfskraft hatte gute Arbeit geleistet. War auch mit seiner Webseite immer zuverlässig und hinterher. Die Frauen kamen und gingen. Nur noch wenig Kontinuität.
Was machte dieses Arschloch wieder in der Stadt? Er hatte schnell rausgefunden, wer er war. Hatte seinen Mann bei den Bullen kontaktiert. Bis vor zweieinhalb Jahren mit einer Berliner Adresse. Vermutlich in dem Dreck hinterm Zentralbahnhof aktiv. Kristall und braune Schorre und kaputte junge Körper. Der Bulle hatte auch eine Adresse bei einer Zimmervermietung für ihn gehabt. Auch das hatte gekostet. War dann aber relativ schnell gegangen. Wie auch sonst, wo er nicht viel Zeit hatte. Drei Tage. Was dann wieder mehr gekostet hatte. Obwohl es nur ein paar Klicks auf einem Rechner waren, aber auch der Bulle wollte seinen Schnitt machen.»Bin ja nicht das Einwohnermeldeamt. Und registriert isser noch in Berlin. «Aber der Mann war sicher und verschwiegen, die Rente stand ja auf dem Spiel, und so würde es keine Kreise ziehen auf dem trüben vorwinterlichen See.
Drei Tage. Er hatte sich gewundert, dass dieser Idiot am Telefon darauf eingegangen war. Seinen Termin beim Urologen hatte er gecancelt. Weil das eh nicht akut war. Er war ins Gym gegangen, in AKs Fitnessbude, drüben im Nordosten der Stadt, und hatte versucht, paar Kilos runterzukriegen. Dort trainierten sie jetzt hinten im Käfig. Die Freefighter. Er hatte wie früher am Sandsack gestanden. Und hatte das Gefühl, dass er langsam geworden war. Die Linke hing, und wenn er alles reinlegte, hörte und spürte er das Knacken im Ellenbogen. Es war Herbst, und alles roch nach Abschied.
Er konnte kaum in Ruhe trainieren und arbeiten, die Kanacken-Attacken waren das Thema der Stunde, natürlich. Die Türen der Diskotheken waren nicht mehr sicher, die Los Locos GmbH machte sich breit in der Stadt, die Securities wurden attackiert, die Wohnungen waren nicht mehr sicher, die große Übernahme drohte, im Stripclub der Gebrüder Wöhler saßen sie schon an der Bar, AK & Co. verhandelten, der Mann hinter den Spiegeln lenkte das Licht und leitete die Strahlen weiter nach Hannover, ist ein Pakt ein Pakt? , ja, ja, ich bin da, ich bin dabei, natürlich. Ruhe muss einkehren. Die Geschäfte. Freifahrtschein aus Berlin. Die libanesischen Zwillingsbrüder hatten ihm über Mittelsmänner eine gewisse Sicherheit geboten. Anscheinend hatten sie Verbindungen zu den Los Locos in der Stadt. Er sollte sich ruhig verhalten und nicht in vorderster Front kämpfen. So einfach war das nicht.
Er breitete die Fotos wie einen Fächer vor sich aus. Schob den Aschenbecher an die Tischkante.
Diesem blöden Schnorrer draußen an der Bar wäre er früher anders gekommen. Scheiß auf den einen Sekt oder Prosecco. Da ging’s ums Prinzip. Es ging ums Geschäft. Er musste für beide da sein, für die Frauen und die Gäste. Die Zeiten, wo die Mädels gerne mal beschissen, waren längst vorbei. Er hatte in den Lehrgängen und Schulungen, die er zusammen mit der Beatriz leitete, auch immer gesagt, worauf es ankam. Geld, natürlich. Das war aber nur das eine. Wohlfühlen. Stammgäste kreieren. Wohlfühlfaktoren. Vergesst die Erdnüsse. Peanuts. Wollen wir Highclass sein? Ja, das wollen wir.
Wir haben die besten Getränke und die besten Mädels. Mandy 2 und zwei andere, die ihm solide erschienen, die bis auf weiteres bei ihm arbeiten wollten, hatte er sogar in einen Cocktaillehrgang geschickt. Obwohl er nur Longdrinks und zwei, drei Cocktails anbot. Caipirinha und Mojito und Cuba Libre. Die Zeiten von Rum-Cola waren vorbei. Hatte ihnen sogar Arbeitsverträge angeboten. Aber die Mädels wollten lieber freiberuflich arbeiten. Vierhundert-Euro-Basis will ja auch keiner, und dann auf Zimmer extra, lieber freiberuflich, und klar doch, viel unter der Hand. Er hatte bis vor kurzem eine Festkraft für die Bar, prima Frau, aber die ist nach München, hatte da wohl ’n Angebot von irgend ’nem schicken Laden. Briefe vom Arbeitsamt. Jede Stunde, die sie auf Zimmer waren, war auch in den Büchern, aber die Extras dort waren ihre Sache. Aber wer die Bar machte, bekam eine Art Gehalt. Er war dabei, sich zu ruinieren. Dem Gesetz von zwotausendzwo sei Dank. Aber er wollte mit der Zeit gehen, und wenn die Anfangsschwierigkeiten überwunden waren, wenn sein Klein, aber fein! sich wiederfand im Strom der Zeiten und der Gelder …, scheiß auf den Bielefelder Graf und dessen Geschäftspartner aus Österreich, die beide immer predigten, dass man groß sein müsse, think big und die Aktie ROT oder so ähnlich … Und die Stripstunden an der Stange hinter der Bar verrechnete beziehungsweise bezahlte er auch. Er hatte sogar eine Zeitlang zwei Studentinnen gehabt, die wollten nur tanzen, aber die gingen mittlerweile auch auf Zimmer. Die Kohle ist eben immer zu verlockend.
Читать дальше