Er weiß nicht, was er mit der Leiche machen soll. Der Mann liegt unten zwischen den Regalen. Die Schulter schmerzt ihm. Er weiß nicht mehr, wie er das Bren aus der Kiste geholt hat. Eine kleine Ausstellungsführung . Was soll er jetzt mit dem Mann machen? Sein Kontakt bei den Bullen wird nicht erzählen, dass er nach ihm gefragt hat, wenn sie ihn suchen. Wenn ihn jemand sucht. Aber die Spur ist da. Der Student. Der Bulle. Die müsste er alle wegmachen. Aber der Bulle ist nur ein kleiner Fisch, der auf die Rente wartet und kassiert hat. Und irgendjemand wartet. Er muss rausfinden, wo. Er muss runtergehen und ihn durchsuchen. Hat schon zu viel Zeit verloren. Nichts darf schiefgehen. Ihm fällt ein, dass er doch die Adresse hat, dass sein Bulle ihm die Adresse besorgt hat. Er steht auf. Setzt sich dann wieder hin. Die Flasche vor ihm ist fast leer. Er kann sich erinnern, dass der Mann viel getrunken hat. Sich sein Glas mehrfach wieder vollgemacht hat. Er musste ihn gar nicht zum Trinken überreden, wie er sich das vorgenommen hatte. Was hatte er sich überhaupt vorgenommen für diesen Abend. Er weiß es nicht mehr. Steht auf und setzt sich dann wieder hin. War es ein Zufall, dass ein Güterzug durch die Schneise des Güterrings rumpelte, als er das riesige Bren aus der Kiste geholt hatte? Aber die Mauern sind dick. Die Musik dröhnt über dem Stein. Und die Explosionen waren nicht so laut, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber eigentlich hatte er sich nichts vorgestellt.
«Jetzt müssen wir kalt und klar sein«, sagte er, und dann drehte er sich zu dem schwarzweißen Bild des Monitors, zwei Männer standen vor seiner Tür, einer drückte die Klingel. Zwei Mäntel, der, der die Klingel drückte, trug eine Wollmütze. Die Nächte wurden frisch. Er sah, wie die beiden lamentierten, lachten, die Hände in die Manteltaschen schoben und wieder rauszogen, sich einander zudrehten, lachten. Klaus sah sie auf dem kleinen Monitor in der Nische neben der Tür, sah sie dann wahrscheinlich durch den Spion, drückte den Summer und ließ sie ein. Kommt nur herein, Freunde. Sein zweiter Mann war krank. Wahrscheinlich hatte er sich krankgemeldet, weil alles explodierte im Moment in der Stadt. Bei ihm waren sie noch nicht gewesen. Er hatte zwar eine Versicherung, aber sicher konnte man sich nie sein. Zu viele Interessen mischten mit. Die nichts von den Steinen wussten. Was auch gut so war. Er hatte vor zwei, drei Tagen einen Audi mit Berliner Kennzeichen gesehen, drüben auf dem Parkplatz. In paar Tagen war ein Treffen mit AK und den anderen anberaumt. Er musste in seinen Kalender schauen. War es ein Zufall, dass der Mann, das Arschloch, jetzt auftauchte und Geld haben wollte, ein paar Steine womöglich? Aber der Mann war ein Narr, der nichts wusste, nur wenig wusste. Aber woher? Aber jetzt nicht mehr. Nichts.
Hans sah, wie die Wände verschwanden, wie sie durchsichtig wie Glas wurden, eine große gläserne Zelle, sah die Damen aus den Spiegeln treten, sah rote Nebel durch die Räume seines Clubs ziehen, sah sich selbst unten im Keller, wie er das große sperrige Bren aus der Kiste nahm.
«In einem Nachtclub zu arbeiten, das ist schon anstrengend. Ja. Natürlich auch locker und auch entspannt. Ich war vorher in einem Laufhaus gewesen und, nee, das war mir zu sehr, wie soll ich sagen, Fließband. Da sitzt du nur und wartest, sitzt vor deiner Tür, wir hatten da so Barhocker, und das war dann oft nur kurz, meist blasen, und dann wurde immer versucht, da rumzuhandeln, was ich ja überhaupt nicht leiden kann, was überhaupt die allergrößte Scheiße ist, viele Arschlöcher, viele Ausländer, nicht, dass ich was gegen Ausländer hab, aber eben so Typen, denen’s nicht billig genug sein kann, wo einen das richtig ankotzt, aber das blendet man …, blende ich dann eben so aus. Und da sind wir hier schon anders aufgestellt. Hm. Das ziehe ich dem Laufhaus vor, für mich ganz klar, da denken sicher andere anders drüber. Das …, das hat eben alles seine Vor- und Nachteile. Man muss …, also ich muss da natürlich immer aufpassen, wegen der Trinkerei und so und dass man sich da nicht so runterrockt, aber wenn ich so drüber nachdenke, scheint mir das hier die bessere Arbeitssituation zu sein. Chef ist o.k. Und Chef würde ich da jetzt auch nicht unbedingt sagen, ist ja freiberuflich …, der H., der …, ich fühl mich da im Moment ganz wohl. Klar, hab ich da so Sachen, wo ich sage, wo ich sagen würde, du, hör mal, da ist das und das … Und ich hab auch das Gefühl, dass er sich das anhört. In ’ner Wohnung zu arbeiten ist, denke ich, immer ’ne Option. Auch für die Zukunft.«
Hans beugt sich über den Mann. Die weiße Kapuzenjacke verschwindet in den Löchern auf seiner Brust, der Stoff krempelt sich in den Körper rein. Und ist auch nicht mehr weiß. Das Bren liegt auf dem Tisch, zwischen den Scheinen, ein paar der grünen Hunderter sind durch die Hitze des Laufes und der Kammer zu kleinen Röhren verdreht. Wollte er ihm wirklich diese zwanzigtausend anbieten?
Hätte er rausspazieren können, wenn er sie genommen hätte? Woher hatte der Mann nur seine Informationen? Und wohin sollte er diesen Körper bringen? Er hatte von dem Mann im Krematorium gehört, aber das war nicht sicher. Legenden möglicherweise. Bren Mark 1, tschechoslowakisches Erzeugnis . Er warf die Einzelteile später in verschiedene Kanäle, die den Westen der Stadt zwischen den alten, verschwundenen oder umgebauten Fabriken zerschnitten. Es gab auch noch ein Enfielder Bren, das dem Typus seines Bren fast bis ins Detail glich. Nur der ausklappbare Stützfuß war wohl etwas anders konstruiert. Er hätte in seinen Büchern nachschauen können. Er hatte die Riesenkanone vor vier Jahren von einem Tschechen gekauft. Der Typ war in den Neunzigern auf dem Balkan unterwegs gewesen, hatte alte Russenware und Restbestände der tschechoslowakischen Armee an die Verrückten der dortigen Kriege verkauft. So sagte man. Nie benutzt das Teil, angeblich. Mit Ladestreifen. Die meisten seiner Stücke waren ja vollkommen harmlos. Ein alter Nagant-Revolver mit verkürztem Griff und verkürztem Lauf. Über den hatte er als Kind viel gelesen. Wie der Stahl gehärtet wurde, der Marinedolch , die Roten und die Weißen benutzten jenen legendären Nagant-Revolver beziehungsweise wurde er legendär durch sie. Weißgardisten, Rotgardisten. Er ging zum Regal, um den Körper herum, legte die Hand auf den kühlen Nagant. Er hatte ihn nie ausprobiert. Die Kammern waren geladen, seit er ihn gekauft hatte. Einige seiner Stücke hatten keinen Schlagbolzen, konnten nicht abgeschossen werden und waren auch nicht munitioniert. Die Ruger Blackhawk zum Beispiel. Er geht ein paar Schritte. Legt die Hand auf dieses Metall. Von neunzehnhundertfünfundfünfzig. Magnum-Kaliber. Die Trommel aber leer. Eine Hommage an die alten Westernrevolver, die durch die Westernfilme plötzlich wieder beliebt werden. In Amerika. Er versucht seit einigen Jahren, eine Winchester-Büchse zu bekommen, wie Wyatt Earp, wie Butch Cassidy. Er dreht sich um, blickt auf den Körper, der zwischen den Regalen liegt, schüttelt den Kopf, bewegt seine Schultern, weiß nicht genau, welcher Tag und welche Stunde jetzt ist. Bewegt ganz langsam seinen Arm, bis er seine Glashütte sehen kann. Eins durch.
Der Oberkörper ist vollkommen verdreht, wie ein S. Die Beine gerade nach hinten gestreckt, die Arme, links und rechts, wie weggeschleudert. Der untere Rücken, der Rumpf flach auf dem Boden, der Oberkörper wie eine menschliche Spirale. Die blutigen Löcher in der Brust. Er weiß nicht, wie viele Schüsse ihn getroffen haben.»Du blöder Idiot.«
Er geht die paar Schritte zurück zum Regalfach mit dem Nagant-Revolver, nimmt ihn vom Samt. Er weiß noch, wie er für viel Geld all die Samtunterlagen gekauft hat. Säckchen aus Segeltuch neben jeder Waffe, kleine Kisten, die er sich hat anfertigen lassen, große Holzkisten für die größeren Waffen, die Karabiner, die MG, von denen er nicht viele besitzt. Er nimmt den Revolver, zielt auf den Körper und drückt ab. Er muss den Abzug mit aller Kraft durchdrücken. Spürt die mechanischen Vorgänge im Inneren der kleinen Maschine. Wie sich der Zylinder, die Trommel, vorne an den Lauf presst, bevor der Bolzen in die Patrone schlägt. Eine kleine, winzige Detonation nur. Ein PAFF, kaum zu hören. Er sieht den Einschlag auf dem Boden, direkt neben dem Kopf des Mannes, duckt sich, weil er sich vor dem Querschläger fürchtet, aber nichts prallt vom Boden ab, schlägt in sein Fleisch, fährt mit einem Pfeifen in seinen Körper. Der Nagant ist leise, genau wie er es vor Jahren gelesen hat. Die Trommel schließt während des Schussvorganges mit dem Lauf. Das NKWD, der Geheimdienst der verdammten Roten, nutzte diese Kanone mit Schalldämpfern. Hinrichtungen. Stille Exekutionen. Weil die Belgier, die dieses überkonstruierte Schießeisen konstruierten, einen einmaligen Revolver erschaffen wollten. Der seine Detonationen innerhalb des metallenen Gehäuses behielt. Weil Trommel und Lauf durch diese Mechanik eine Einheit bilden. Der einzige Revolver, bei dem ein Schalldämpfer Sinn machte.
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