«Abtörnerpornos. Das wär eigentlich im Grunde ’ne Idee. Da hast du mich auf ’ne große Marktlücke gestoßen. Ich produziere in Zukunft mit mir in der Hauptrolle Abtörnpornos. Das heißt, wer zu geil ist oder das Gefühl hat, dass er zu scharf ist, der schiebt sich einfach so ’n Porno mit mir rein und kann dann beruhigt einschlafen, ohne Medikamente.«
Er setzt sich aufs Gras der Böschung. Er kann das linke Bein kaum noch bewegen. Kein Blut. Nur eine Schwellung dick wie eine Faust. Im Knie ist was kaputt, das spürt er. Er hat immer ein paar Schmerztabletten dabei. Wegen seinem Rücken. Valium sowieso. Und Betablocker, zum Runterfahren. Damit er traumlos schlafen kann, ins Schwarz eintauchen und wieder auftauchen, bevor er die Dinge analytisch angeht, so wie er es immer gemacht hat. Neben ihm liegt der Krückstock, den er der Alten für hundert Mark abgekauft hat in der kleinen Holzbude» Zur Friedensgrenze«.
Zwischen den Wäldern, wie in einer großen Schneise, sieht er die Lichter der Stadt auf der anderen Seite der Grenze. Sie verschwinden langsam im blassen frühen Tageslicht. Er hat lange keinen Sonnenaufgang in der Natur beobachtet. Nebel zwischen den Bäumen und überm Fluss. Er hört die Vögel, leise und von fern. Sein Pass steckt in der Innentasche. Wann hat er das letzte Mal das Land verlassen?» Manchmal denke ich, wir sollten unseren Kram packen und nach Südamerika verschwinden.«
«Was willst du in Südamerika, die schleppen dich in den Dschungel und nehmen dich aus.«
«Mondauge, wir leben in seltsamen …«
«Immer dieselben Lieder.«
Als er aufstehen will und zum Taxi humpeln, den Stock hat er in der Hand, hört er Musik. Gesang. Leise Echos. Er hat zu viele Tabletten genommen. Und dann sieht er das Schiff. Es fährt mit dem Strom, kommt langsam um die Biegung des Flusses. Noch halb vom Morgendunst verdeckt. Eine Art Ausflugsdampfer. Ein Schaufelraddampfer mit flachem breiten Schornstein, aus dem es nach Diesel riecht, ein Rauchfaden, der sich mit dem Nebel mischt, zwei Decks, die leer sind.»Am Brunnen vor dem Tore …«Er denkt, dass das vom Band kommt. Oder Platte. Wie Grammophon klingt es. Kratzig, mit einem Rauschen unterlegt. Furchtbar übersteuert. Er kann die großen Boxen auf dem Oberdeck erkennen, oder sind das schwarze rechteckige Kisten? Selbst die Vögel werden übertönt. Und dann das zweite Boot. Einige Meter dahinter. Ein kleines Polizeiboot. Es bewegt sich in Schlangenlinien übers Wasser, als würde es Abstand halten wollen, ein Geleitschutz.»… ich träumt’ in seinem Schatten …«Er rutscht, klettert die Böschung nach oben. Er ist sich nicht sicher, als er weiter nach oben zu einem kleinen Baum kriecht, den Krückstock in der Rechten, ob diese Musik nicht vielleicht aus dem grauen trichterförmigen Bordlautsprecher der Bullen kommt. Die Strophen mischen sich, die Liedfetzen verschwinden in den Wäldern und kommen zu ihm zurück.»Die kalten Winde bliesen / Mir grad ins Angesicht. «Jetzt sieht er eine Frau auf dem Oberdeck des Ausflugsdampfers. Sie zieht die Aufschläge ihres Mantels zusammen und stützt sich auf die Reling. Steht dort ein Glas vor ihr auf dem schmalen Metall? Sie geht ein paar Schritte und beugt sich nach vorn, weit über den Bug, wie eine Galionsfigur, und ihr Mantel flattert im Fahrtwind. Und ihr Haar. (»Welche Farbe? Was spielt die Farbe für eine Rolle, Messieurs! Wenn ich ›une blonde‹ sage, glaubt’s mir eh keiner! Aber einen Pelzmantel trug sie in der Tat, vorne offen. Ihr blondes Schamhaar kräuselte sich im Fahrtwind, sie sah der wunderbaren Kerri Kendall wirklich sehr ähnlich.«,»Kerri Kendall?«,»Playmate des Monats September neunzig, ihr Kulturbanausen!«) Gestalten hinter den Bullaugen. Leiber. Hände. Gesichter pressen sich ans runde Glas, verformt, wie in einem Spiegelkabinett. Das Schiff fährt Richtung Meer. Zum Haff. An der Ostsee ist er noch nie gewesen.
Er hört das Tuckern des Motors. TÖFF TÖFF TÖFF TÖFF TÖFF. Leiser werdend. Sieht noch den Diesel, dünne, zitternde Linien im Nebel, riecht den Diesel. Sieht das Schaufelrad im schaumigen Wasser, als das große Schiff und das Polizeiboot längst verschwunden sind. Und fernes Verklingen, aber immer noch hier, wo er hockt:»Ich musst’ auch heute wandern / Vorbei in tiefer Nacht, / Da hab ich noch im Dunkel / Die Augen zugemacht.«
Er läuft die Treppe runter, seine Brille verrutscht auf seiner verschwitzten Nase; er ist mit dem Fahrstuhl bis zur Siebten gefahren, dann ausgestiegen. Jetzt hört er Schritte im Treppenhaus, weiter oben noch, er läuft schneller, nimmt seine Brille ab und steckt sie in die Innentasche, und dann stürzt er. Hört auch unten Schritte, während er stürzt, aber das sind viele. Sehr viele. Getrampel, Stimmen. Gebt euch doch wenigstens Mühe und seid verdammt nochmal leise! Er versucht, sich noch am Geländer festzuhalten. Sein Knie kracht auf die Betonstufen. Einmal, zweimal. Er will sich irgendwie abrollen, aber er verdreht sich das Bein. Ihm wird schwarz vor Augen, aber er schreit nicht. Ich bin zu alt für diesen Scheiß! Der Absatz des linken Schuhs ist abgebrochen. Er ist im fünften Stock. Er humpelt zu einer Wohnung. Drückt die Tür, die nur noch halb in den Angeln hängt, mit der Schulter auf. Beißt sich in die Hand, weil er das Gefühl hat, seine Kniescheibe ist im Arsch. Zieht die Tür hinter sich zu und hockt sich auf den Boden. Wartet fünf Minuten. Hört Sirenen. Hört das Rollkommando im Haus. Kriecht dann durch den Flur ins Wohnzimmer. Sieht den Oberst unten vorm Haus, als er mit beiden Ellenbogen und dem Oberkörper auf dem Fensterbrett liegt. Jemand ist hinter ihm. Zwei Mädchen. Die sich jetzt auf den Boden setzen, nebeneinander, die Rücken an die Wand gelehnt.»Ist o.k.«, sagt er,»ist alles o.k. «Er sieht die Einsatzwagen unten vorm Haus. Kurz scheint es ihm, der Oberst blickt zu ihm hoch, nickt ihm zu, als sie ihn, die Hände auf dem Rücken, verladen.
Den Kommissar holen sie zu Hause ab. Zur selben Zeit. Haben ihn wohl nur um Minuten verpasst. Er saß vorm Fernseher und schaute sich den Kampf an, den er aufgenommen hatte. Das liest der Graf zwei Tage später in der Zeitung.
Neben dem Fenster steht ein kleines Regal. Ein paar Porzellanfiguren. Fotos, schwarzweiß. Eine Feier, wie es scheint, irgendwo auf einem Dorf. Leute sitzen um einen großen Tisch im Freien, Männer, Frauen, ein Mütterchen mit Kopftuch, ein Bauernhaus im Hintergrund, eine Pumpe, Wäsche auf einer Leine, sie halten große Biergläser in die Kamera und lachen. Er nimmt sich eine Zigarette aus seinem Etui. Schiebt es dann zu den Mädchen rüber. Er sieht, wie sie Mario verladen in der Morgendämmerung. Wer jetzt wohl die Puffs übernimmt? Alles schien gut organisiert, gut geplant. Die Kontakte stimmten. (Er konnte nicht wissen, dass die Staatsanwaltschaft seit Monaten gegen den Hauptkommissar, seinen V-Mann Mario und den Oberst ermittelt.)»Willst du einen Rat?«, sagt der Mann mit der Bomberjacke, der aus der Küche kommt, eine Tasse Kaffee in der Hand,»hm?«Das Geschäft ist geplatzt. Das weiß er sofort, sagt ihm sein Instinkt. Russischer Akzent. Kann aber auch polnisch sein. Was weiß er schon?» Geh. Fünf Minuten. Das Geschäft ist geplatzt. «Er trinkt und lacht, wirft die Zeitung neben sich aufs Bett. Die Krankenschwester bringt seine Pillen. Später ruft er seinen Anwalt, seinen Steuerberater und seinen Partner an. V-Mann des V-Manns. LKA startete Großaktion. Weitere Verdächtige in U-Haft. Der am selben Tag festgenommene Bordellbesitzer M., 42, angeblich ein V-Mann des Kommissars … Die Ermittler des LKA standen vor der Frage,»wer da eigentlich wessen V-Mann war«… Die Ermittler zerschlugen damit auch einen internationalen Menschenhändlerring, der über Jahre … Der auf Abwege geratene Erfolgspolizist war nicht nur V-Mann der Bordellmafia … Das stasiartig arbeitende Dezernat 1 kümmerte sich im Polizeiapparat der DDR um … Für die Gunstbezeugungen des Ordnungshüters revanchierte sich der Freudenhäusler … Weitere zahlreiche Festnahmen. Ob die Typen wenigstens noch mit Wichsen fertig geworden sind?
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