«Ein Mann braucht seine Prinzipien.«
«Sagt John Wayne?«
«… gewinnt also Tyson, und danach sieht es gerade nicht aus, habe ich meine investierten dreitausend wieder zurück. Hab’s in Moskau platziert, Privatbuchmacher, die einzigen, die mir fünfzehn für zehn zahlten, hatten wohl eine Ahnung und wollten die Tyson-Wetter locken.«
«Ist ihnen anscheinend gelungen. Aber vielleicht kommt er ja noch.«
«Ich würde mit dir hier am Tresen wetten, dass er nicht mehr kommt. Wenn du wetten würdest.«
«Sieht ganz so aus. Und wenn Holyfield gewinnt …«
«Den habe ich hier gespielt. Good old Germany. Hier gesetzt. Zwölf zu eins. Das wären zwölf Riesen. Hätte ich höher kriegen können, habe nicht aufgepasst. Aber das Geschäft steht trotzdem.«
«Zwölftausend. Auf beide gesetzt. Kein Risiko. Aber kein Gewinn, wenn der Favorit das Rennen macht.«
Mario ist vor zum Bildschirm gelaufen, hat die Leute und die Bunnies zur Seite gestoßen und brüllt jetzt:»Hau ihn weg, hau ihn um! Friss ihn endlich auf, Mike!«
Aber Mikes Hunger ist anscheinend im Knast geblieben. Er kassiert von Runde zu Runde mehr, und jeder im Wohnzimmer, der auf Iron-Mike gesetzt und gehofft hat, wird immer stiller, und in der zehnten Runde hängt er in den Seilen, sein Körper von einem seltsamen Licht umgeben (»Da isses doch wieder, verdammt nochmal!«), in das Holyfields Hände eindringen wie in flüssiges Plasma, und der Kampf ist vorbei. Ganz unspektakulär. Und out the Show! Das Plasma erstarrt, als der Körper fällt. Fällt. Fällt. Lichtschleifen. Cut.
«Schau dir unseren Mario an, schau ihn dir an! Unser glattrasierter, lächelnder Junge. Lass dich nicht täuschen, er ist ein guter Geschäftsmann, hat meistens die richtige Nase, auch wenn sie bisschen breit ist, auf wen er setzen soll und auf wen nicht, aber du, und ich und der Kommissar …«, als er» Kommissar «sagt, es fast flüstert, lacht der Oberst,»er weiß, dass die Zeiten sich ändern werden …«
«Mario?«
«Mario. Er kontrolliert den Markt diesseits der Grenze. Er denkt, dass er ihn kontrolliert, aber ohne den Kommissar und ohne meine Immobilien, ohne die alten Kontakte, wäre er … Er ist bereit zu teilen. Anteile zu verkaufen, und unser neues großes Ding, es ist auch sein Ding, kann auch sein Ding sein, vorerst, du verstehst doch …«
«Ich glaube schon, dass ich verstehe.«
Der Graf trinkt und raucht Davidoff Filter, beobachtet die nackten Menschen in dem nackten Raum und denkt an seine Informationen. Der KGB, die Grenze, das Geld, die Frauen, die Händler und wie man den Fuß da reinkriegt, ohne dass der Sumpf gierig dran leckt. Er will fragen, welche Rolle die Russen in Zukunft spielen werden und ob die Rumänen groß aufspielen wollen wie bei der WM vierundneunzig, als dieser kleine Karpaten-Maradonna Gheorghe Hagi …, aber das passt jetzt nicht, und er weiß, dass diese Fragen und Antworten die Dinge nicht klären, nicht klarer machen würden. Was machen all diese Gestalten hier, wenn doch der Bulle einen sauberen, regulierten, seriösen Markt anstrebt. Und was macht der Bulle hier, wenn die Kanacken und das Viehzeug der Zuhälter, viele waren es ja nicht, das muss er zugeben, Premiere gucken mit ihnen. In einer großen Show. Bunnies und Gold. In dieser hässlichen Wohnung über der Stadt. Aber er weiß auch, dass es besser ist, die Leute zusammenzuholen, die letzten Spieler, um sie im Blick zu haben, um sie dann auszusortieren, wenn es sein muss, keine große Sache an und für sich. Die Nummerngirls sind verschwunden. Poker oder Mau-Mau.
Er steht unten am Fluss und blickt auf den schmalen weißen Plattenturm. In dem er vorhin noch gesessen hat. Und am Fenster gestanden und aufs Land und den Fluss und das Land hinterm Fluss geblickt hat. Lange nach dem Kampf, der ihn nicht wirklich interessierte. Weil er andere Dinge sah auf dem Bildschirm. Und dann hinterm Fenster in der Nacht, die bereits Morgen wurde. Einen Turm, von Gerüsten umgeben. Arbeiter. Maschinen. Er selbst mit einem gelben Helm auf dem Kopf, die Baupläne in den Händen. Der Faktor ist der Bulle. Die Versicherung. Der den Markt leer räumt. Die Konkurrenz zerschlägt. Zwei Zimmer waren verschlossen in der Wohnung. Er versucht zu erkennen, wo er vorhin am Fenster gestanden hat. Auf der anderen Seite sieht er den blassrosa Morgen hinter den Wäldern. Er hat ein Taxi im Hotel bestellt und sich hierherfahren lassen. Der Wagen steht ein ganzes Stück weiter weg, oben auf der Böschung. Fünfzig Mark auf dem Armaturenbrett. Dezernat 1. Davon hat er schon gehört. Sie sind an einem Imbiss vorbeigekommen vorhin, mit dem Taxi,»Zur Friedensgrenze«, ein kleiner Flachbau, eine Holzbude, die noch geöffnet hatte. Eine kleine Brücke führte über einen Graben zu dem Imbiss, vor der Brücke ein Schild aus Schiefer, eine Art Tafel, auf der die Preise standen. Er hat sich eine kleine Flasche Goldkrone gekauft, die Auswahl war nicht allzu groß. Eine alte Frau, ein Mütterchen, saß auf einem Stuhl hinter der Verkaufstheke und schaute erstaunt auf, als er den Raum betrat.
Er blickt aufs Wasser, das dunkel zur Küste fließt. Ins Haff, dieses verzweigte Becken, aus dem drei Arme ins Meer führen. Ein paar Nutrias laufen über die Uferböschung, nicht weit von ihm. Verschwinden irgendwo überm Wasser, haben dort wohl ihre Wohnhöhlen. Schimanski aus der Forstwirtschaft, den er seit der Ankunft in der Wohnung nicht mehr gesehen hat, könnte ihm sicher einiges über diese bieberähnlichen Tierchen erzählen. Dreizehn Jahre später wird er in einem Restaurant sitzen, in der Stadt im Osten, und Cordon bleu mit Nutria-Fleisch essen. Nutria-Farmen entstehen rund um die Stadt. Er mag den Geschmack des Fleisches nicht, ein wenig wie Hühnchen, aber mit einer leicht strengen, bitteren Note. Er isst die kleine Schale nur zur Hälfte leer. Sein Stock mit dem schweren silbernen Knauf, den er an den Tisch gelehnt hat, kippt um und schlägt laut auf den Boden auf. Er blickt die Frau an, die ihm gegenübersitzt und ein leeres Weinglas auf dem Tisch hin und her bewegt. Es ist das erste Mal, dass sie ihn hier besucht.
Als er die Tür zum Zimmer öffnet, stößt er irgendetwas um. Ein Stuhl, wie er später sieht. Wer stellt einen Stuhl so nah an die Tür? Eine Frau hockt auf einer Plastikplane, drei Männer stehen vor ihr und wichsen ihre Schwänze. Sie tragen schwarze Sturmhauben. Die Frau hat ihre Hände auf dem Rücken, Handschellen. Eine Hand liegt auf seiner Schulter. Der Mann von der Tür. Die drei beachten ihn gar nicht und wichsen weiter. Plastikplanen auf dem Boden, zwei Matratzen, die Kleider neben dem umgekippten Stuhl. Der Mann schiebt ihn schweigend zur Seite und schließt die Tür wieder.»Privat«, sagt er. Musik aus dem anderen Zimmer.
Er geht mit seiner Frau am Ufer des Kanals spazieren. Eisschollen auf dem Wasser. Der kälteste Winter seit Jahren. Der Flughafen hat geschlossen, Züge fallen aus. Sie trägt die russische Tschapka, die er ihr vor vielen Jahren geschenkt hat. Nerz. Die alten verfallenen Hafenspeicher ragen wie Türme vor ihnen auf in der Dämmerung. Die Tage sind kurz. Er will ihr von seinem Traum erzählen. Nutria-Fleisch zwischen den Zähnen. Ein Club, ein Laufhaus mit mehreren Etagen, wie das» Pascha «in Köln, direkt am Kanal. Er würde die Burg schließen dafür. Mit Dachterrasse. Mit mehreren Bars. Whirlpools. Aber die Speicher sind zu verfallen, niemand will investieren, die Stadt ist zu klein, die Geschäfte laufen nicht mehr so gut. Feindliche Übernahmen drohen.
Er liegt auf dem Bett und wartet auf das Klingeln des Telefons. Er gießt sich etwas Goldkrone in den Kaffee. Zwischen den Gardinen sieht er das Portal des Rathauses, ein grauer Morgen, Wolken, er sieht Regentropfen auf der Scheibe. Die Pläne und Unterlagen liegen neben ihm auf dem großen Doppelbett. Der Besichtigungstermin steht. Vier alte Wassertürme. Ein kleines Haus im Zentrum. Aber es sind die Türme, die ihn faszinieren, und einen davon werden sie ausbauen. Eigenkapital und Kredite. Er kann bis fünfhunderttausend bieten. AK und seine eigenen Leute. Er hat einen Traum von einem Club an der Grenze. Ein Stück außerhalb dieser seltsamen Stadt. Ein runder alter Turm mit vielen Zimmern. Bars, Whirlpools. Exklusiv. Und eine wunderbare Aussicht. Einmalig in der Region. Mädchen aus Polen, Mädchen aus Deutschland. Schwarze und Russinnen. Vollweiber und schlanke Models. Girlfriendsex und SM. Und der IC fährt stündlich nach Berlin und über Schwerin bis nach Hamburg. Die Politik unterstützt das Projekt, die Behörden sind mit im Boot, die Steuergelder fließen in beide Richtungen, und der Kommissar vom Dezernat 1 hält ihnen die Konkurrenz vom Hals. Europa-City. Alles wird sich ändern. Er schaltet seinen kleinen Weltempfänger ein. Domian und Harald Schmidt. Er lacht, was ist das nur für eine Type, dieser Schmidt. Kein Respekt vor niemand.
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