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Woher hatte Tadeusz Zukrowski das Holz? Und warum wollte er es mir schenken? Es war vorzügliches Brennholz, bis in den Kern hinein ausgetrocknet. Eine Rarität in den umliegenden Countys, wo es so gut wie keine Wälder gibt. Ich traute ihm zu, daß er es irgendwo geklaut hatte. Was für ein Aufwand! Und wozu das Ganze? Damit ich ihn bewundere? Um mich als seinen Freund zu gewinnen? Lenny hatte mich gewarnt, Parkaufseher kontrollierten die Gegend; daß ich beim Fischen aufpassen soll, meinte er. Und wenn nun einer von denen kommt und den großen Haufen Holz vor meinem Haus sieht? Ich wußte nicht, wo ich es noch stapeln sollte. Das Haus war mit Holzscheiten eingepackt. Und ich war fix und fertig. Jeden Muskel spürte ich am Körper. Ich haßte die Hackerei! Welche Strafe stand in dieser Gegend auf Holzdiebstahl? — Ich dachte viel zuviel über Tadeusz Zukrowski nach, und das verdarb meine Schreibarbeit. Kaum ein Absatz, der nicht von Ressentiments beherrscht wurde. Was andererseits wiederum gut in einen Text über meinen Vater paßte; er war schließlich ein Virtuose des Vorurteils gewesen, ein Meister der Paranoia, ein Märtyrer seiner eigenen Einbildungskraft.
Nach einer Woche war ich immer noch nicht mit dem Holz fertig. Zum Glück hielten die schönen Tage an. Es war kalt und die meiste Zeit windstill. Ich setzte die Fenster über der Balustrade ein; die Sonne hatte noch genügend Kraft, um die Veranda zu wärmen.
Als ich mit Suka von einem Spaziergang zurückkam — einem kurzen Spaziergang, ich war einfach zu k.o., um nach dem Sägen und Hacken auch noch drei Stunden oder länger unterwegs zu sein —, sah ich wieder den blauen Pickup beim Haus stehen. Ich stieg auf den Felskegel, der vom Weg aus die Sicht auf das Haus versperrte, und beobachtete Tadeusz Zukrowski, wie er mit der Behendigkeit und der Geschwindigkeit eines Rumpelstilzchens die zersägten Baumstämme in Scheite spaltete. Aus dem Haufen neben dem Hackstock schloß ich, daß er unmittelbar, nachdem ich und Suka das Haus verlassen hatten, die Arbeit aufgenommen haben mußte; und daraus wiederum schloß ich, daß er uns beobachtet hatte, daß er sich versteckt und gewartet hatte, bis wir das Haus verließen, um möglichst viel Zeit für die Arbeit zu haben. Was wollte dieser Mensch von mir? Ich war mir unsicher wegen Suka, deshalb blieb ich dem Haus fern — wie sie reagierte, wenn sie ihren ehemaligen Herrn vor sich sähe; ob sie wie Krambambuli, hin- und hergerissen zwischen zwei einander ausschließenden Loyalitäten, jede Fassung und jede Zufriedenheit verlöre und zuletzt unter Gewissensqualen womöglich zu Zukrowski überliefe. Aber sie gab mir nicht den geringsten Anlaß zu zweifeln, wem sie sich zugehörig fühlte. Sie bezog klar Position, drückte sich gegen meinen Schenkel; aber nicht, um von mir Sicherheit und Schutz zu fordern, sondern um mir diese zu geben. Und sie fletschte die Zähne — nicht aus einer Marotte heraus diesmal, sondern weil sie meine Erregung spürte und weil auch sie empört war, daß sich jemand bei unserem Haus zu schaffen machte; und vielleicht ja auch, weil sie in dem Störenfried ihren ehemaligen Herrn erkannte. Falls letzteres, war bewiesen, daß sie ihn haßte; und wenn sie ihn haßte, so hatte sie wohl einen Grund dafür; und wenn Suka einen Grund hatte, Tadeusz Zukrowski zu hassen, dann hatte ich für mein Teil noch einen dazu. — Ich drehte um, und wir unternahmen nun doch noch eine längere Wanderung.
Als wir endlich nach Hause kamen, war alles Holz verarbeitet und sauber in zwei Stößen aufgeschichtet und mit einer Plane abgedeckt. Motorsäge, Treibstoffkanister, Äxte, Keile, Helm, Brille und Handschuhe hatte mein Wohltäter wieder mitgenommen. Aber diesmal fuhr ich nicht zu ihm hinaus, um mich bei ihm zu bedanken. Statt dessen besuchte ich Lenny, fragte ihn nach Tadeusz Zukrowski. Er kenne ihn flüchtig, sagte er, habe aber keine Meinung vom ihm. Ich solle, wenn ich nicht noch einmal sein Haus betreten wolle, was er verstehen könne, im Touristenzentrum beim Eingang zum Nationalpark nach ihm fragen; dort treibe er sich herum, er sei so eine Art Unterunterhausmeister. Lenny schlug vor, ich solle Zukrowski für alles zusammen wenigstens hundert Dollar geben.
«Wenn du ihm für das Holz und den Hund gar nichts gibst, das wäre sehr unüblich«, drückte er sich aus.
Ich traf Zukrowski beim Touristenbüro nicht an — war mir lieber so. Also hinterlegte ich ein Kuvert für ihn, darin waren hundertzwanzig Dollar und ein in die Maschine getippter Brief:
Lieber Mr. Zukrowski,
Danke für Ihre Mühe. 100 Dollar sind für das Holz. Ich hoffe, das genügt. Die 20 Dollar sind, wie vereinbart, für den Hund.
Freundliche Grüße
Sebastian Lukasser
Am folgenden Tag fuhr ich noch einmal zum Büro. Er war wieder nicht da. Die Sekretärin versicherte mir, daß sie das Kuvert an Mr. Zukrowski weitergegeben habe. Damit war die Sache für mich erledigt.
Der Winter brachte tatsächlich Unmassen an Schnee. Erst Schnee und dann Temperaturen bis minus dreißig Grad — was beim ersten wolkenlosen Morgen ein Panoramawunder aus Blau und Weiß vor Sukas und meinen Augen erstehen ließ (täuschte ich mich, oder war in ihrem Gesicht tatsächlich Entzücken; daß mein Hund also einen Sinn für Ästhetik besaß?), aber fatale Folgen hatte, nämlich erstens: Der Toyota war eingeschneit, so daß nichts mehr von ihm zu sehen war als ein weißer Hügel, der seine Konturen gerade noch erahnen ließ. Ich schaufelte ihn frei — nachdem ich mich mühsam zu ihm durchgeschaufelt hatte. Die zweite fatale Sache: Er sprang nicht an; es war zu kalt. Aber was hätte er mir genützt? Selbstverständlich wurde der Weg zu meinem Haus nicht geräumt, vom wem auch. Bis zur Interstate waren es etwa zwei Meilen. Es war vollkommen unmöglich, mich bis dorthin zu Fuß durch den Schnee zu kämpfen — um vielleicht ein Auto anzuhalten. Auf einen Wärmeeinbruch wie in den Alpen konnte ich hier nicht hoffen. Einen halben Tag lang verbrachte ich in der Angst, bis ins Frühjahr hier eingeschneit zu sein. Erfrieren würden Suka und ich nicht, aber verhungern. Dann kam Rettung.
Rettung in Form meines selbsternannten Schutzengels. Im verglasten Führerhaus am Steuer einer riesigen Schneeräummaschine, die der Aufschrift zufolge Eigentum des National Park Service beim U.S. Department of the Interior war, saß Tadeusz Zukrowski, auf dem Kopf eine Pelzmütze wie ein sibirischer Wachsoldat, über dem obligatorischen Overall ein daunengefüttertes Holzfällerhemd. Er winkte mir zu, rief, er sei befördert worden, der Mann, der die Wegeordnung im Ostteil des Parks unter sich habe, heiße von heute an Tadeusz Adam Wojtek Zukrowski; er bekomme mit ziemlicher Sicherheit auch ein eigenes Büro, auf dessen Tür sein Name stehe, sogar sein voller Name, wenn er es wünsche, das überlege er sich aber noch. Er brüllte von oben auf mich herunter; hielt es nicht für nötig, von seinem mythischen Gefährt herabzusteigen, dessen Räder mir bis zum Hals reichten. Er kurvte jauchzend einen Platz vor dem Haus frei und fuhr wieder davon. Seine Hand ragte aus dem Plexiglaskopf dieses Ungetüms, bis es hinter dem Kegelfelsen verschwand.
Der Winter brachte keinen weiteren Schnee mehr. Und keinen weiteren Besuch von Tadeusz Adam Wojtek Zukrowski.
Daß sich Musicians gut, eigentlich sensationell verkaufte, erfuhr ich aus einem Brief von Dr. Kupelian, und es wurde durch die Frühjahrsabrechnung und meinen Kontostand eindrucksvoll dokumentiert. Für Marti Lipman war ich eine Nummer, im Verkauf durchaus im oberen Mittelfeld angesiedelt, um nicht zu sagen: in der unteren Spitze; über mir — allerdings in beträchtlichem Abstand — lagen in dieser Saison nur noch zwei Sachbücher, eines über Richard Nixon, das andere zu einem Gesundheitsthema.
Im April besuchte mich Dr. Kupelian. Ich holte ihn am Flugplatz in Bismarck ab. Ich hatte auf seine ausdrückliche Bitte hin im teuersten Hotel von Dickinson ein Zimmer reservieren lassen. North Dakota lag für ihn jenseits der Zivilisation. Vor Suka fürchtete er sich — mit Recht; ich selbst fühlte mich ebenfalls nicht wohl auf der Fahrt von Bismarck nach Dickinson, als sie im Fond des Wagens, sozusagen in Dr. Kupelians Nacken, stand und, wie ich im Rückspiegel sah, unentwegt auf denselben starrte. Sie war eifersüchtig. Ich hatte sie schon einmal in diesem Zustand erlebt. Ich hatte im Institut mit einer Studentin gesprochen, und prompt war sie außer sich geraten, hatte die ganze Belegschaft zusammengebellt; ich mußte ihr die Leine anlegen und sie knapp halten, weil sie sonst der jungen Frau ins Gesicht gesprungen wäre. Zwischen der Frau und mir war ein Interesse gewesen, das sich für Suka aber anders darstellte als zum Beispiel das Interesse zwischen Toni und mir oder Lenny und mir. So interpretierte ich ihren Anfall. Auch wenn zwischen Dr. Kupelian und mir nun gewiß kein wie auch immer geartetes erotisches Attachement bestand, projizierte ich doch Erwartungen in ihn, die meinen Ausdünstungen womöglich einen Duft beimischten, der dem des Libidinösen ähnlich war — schließlich ging’s ums Schreiben. Ich sperrte Suka im Haus ein, Dr. Kupelian und ich saßen auf der Veranda. Mit besorgter Neugier begutachtete er das Haus. Als ich ihn am Abend in die Stadt fuhr, ließ ich Suka allein zurück — zum ersten Mal.
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