Ich liebe euch, beteuerte Fanny eines Vormittags, als sie bei Tee und Ingwerstäbchen am niedrigen Tisch ihrer Veranda saßen, dessen Kacheln blass mit Rosen bemalt waren. Die Veranda war vom Duft der Bergamotte ausgefüllt, Fanny trank ihren Tee mit viel Kandis und ohne Milch. Auf dem Tisch stand wie jeden Morgen ein Teller mit Mohnkuchen, von dem Helene aus Scheu vor dem unaufgeforderten Über-den-Tisch-Langen und dem Zugreifen noch nie gekostet hatte. Gewiss lag Fannys Liebhaber noch im Bett, in der Kemenate, wie Fanny gern sagte. Zumindest einer von ihnen. In letzter Zeit war häufig ein neuer da, der große, blonde Erich. Wie Bernard war auch er einige unbedeutende Jahre jünger als Fanny. Noch schien sich Tante Fanny zwischen beiden nicht entschieden zu haben, aber es kam selten vor, dass sie gleichzeitig zu Gast waren. Wie Bernard schlief auch Erich meist bis zum Mittag, doch während sich Bernard den Rest des Tages mit Wettgeschäften rund um die Pferderennen und als Zuschauer auf der Trabrennbahn seine Zeit vertrieb, lockte es den großen blonden Erich auf die Tennisplätze am Grunewald und jetzt im Winter in die Hallen. Einmal hatte er Helene gefragt, ob sie ihn begleiten wolle. Dafür hatte er einen Augenblick abgepasst, in dem Fanny nicht zugegen war, und er hatte dabei Helene so plötzlich und ungestüm seine Hand in den Nacken gelegt, dass Helene seither Begegnungen mit Erich fürchtete. Zwar beachtete er sie in Fannys Beisein nicht im Geringsten, umso jäher aber fielen seine Blicke über Helene her, kaum dass Fanny ihnen den Rücken zukehrte. Die Fenster der Veranda waren beschlagen, in der Wohnung wurde noch kräftig geheizt, und der Februarschnee blieb auf den Bäumen und Dächern liegen.
Die Tür wurde geöffnet und das Hausmädchen Otta brachte auf einem Tablett eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Tee. Aus Ceylon, sagte Otta und stellte die Kanne auf den Tisch. Sie stülpte einen silbern schimmernden Wärmehut über die Kanne und entschuldigte sich.
Ich liebe euch, flüsterte Fanny wieder. Ihr schwarzer Königspudel, der auf den Namen Cleo hörte, sie sprach es englisch aus und behauptete, es käme von Cleopatra, wedelte mit dem kurzen Schwanz, ein weiches Knäuel. Sein Fell glänzte. Er blickte aufmerksam von einer jungen Frau zur anderen. Wenn Fanny ihm ein kleines Stück vom Mohnkuchen zuwarf, schnappte er es auf, ohne sie dabei anzusehen, so, als warte er auf keine süße Zuwendung, sondern gehöre seine Aufmerksamkeit ganz dem Gespräch. Mit dem Taschentuch tupfte sich Fanny die Nase ab, nicht nur im Winter musste sie häufig schniefen.
Meine Nase ist wieder gereizt, flüsterte sie und starrte dabei gedankenverloren auf ihre Knie, wie überhaupt meine Sinne, meine Kinder, ich liebe euch.
Auf der hölzernen Lehne von Marthas Sessel saß Leontine und wippte ungeduldig mit den Zehen. Martha hatte Leontine im Sommer wiedergetroffen, seither sahen sich die beiden jeden Tag. Immer häufiger übernachtete Leontine in der Beletage der Achenbachstraße.
Mein Freund sagt, sie haben nur eine Stelle frei. Sie suchen eine erfahrene Schwester. Das ist Martha. Fanny machte einen mitleidigen Schnabelmund in Helenes Richtung, sie klimperte mit den Wimpern, damit Helene ihr Bedauern erkannte und für wahr nahm. Gute Helene, Liebchen, für dich werden wir etwas anderes finden, ganz bald.
Schon in der kommenden Woche sollte Martha in der Exerzierstraße im Norden der Stadt anfangen. Fannys Verehrer war Oberarzt auf der Sterbestation des Jüdischen Krankenhauses. Fanny behauptete, er sei greis und lüstern und habe die Stelle entsprechend ausgeschrieben. Die Schwester sollte zwischen zwanzig und dreißig sein. Also Martha. Im richtigen Alter sollte sie sein. Er mochte Frauen im richtigen Alter. Nur solche. Weshalb sich die Verehrung für Fanny in den letzten Jahren etwas verflüchtigt habe. Die Sterbestation sei schwer zu verkraften, wegen der Siechen und Sterbenden, deshalb sei der Leitung eine ältere Schwester lieber. Nun sei sechsundzwanzig noch nicht alt, aber immerhin, Martha habe im Vergleich zu Helene schon mehr Erfahrung, nicht wahr?
Helene bemühte sich um ein bescheidenes Gesicht. Martha konnte ihr Gähnen nicht unterdrücken. Sie trug noch den seidenen Morgenmantel, den ihr die Tante jüngst überlassen hatte.
Leontine nickte für Martha: Kein Zweifel, Martha leert und füllt, reinigt und beruhigt, füttert und wickelt wie keine andere.
Das Beten wirst du noch lernen? Fanny meinte es ernst. Sie nahm Martha zu hohen Feiertagen mit in die Synagoge, aber Martha war schon im Petridom keine beflissene Beterin gewesen.
Martha spreizte den kleinen Finger ab, sie griff nach einem Ingwerstäbchen aus der blütenförmigen Glasschale und knabberte zögernd daran. Helene und Martha hatten sich häufig in den letzten Monaten darüber unterhalten, wie ungern sie der Tante zur Last fielen und auf ihre Kosten lebten. Sie genossen das gemeinsame Leben in der großen Wohnung, aber sie hätten Fanny gern etwas Geld gegeben und eigenes Geld zur Verfügung gehabt. Es war ihnen unangenehm, die Geldgeschenke der Tante annehmen zu müssen. Die Breslauer Erbschaft entpuppte sich als Schwierigkeit. Die Mieten kamen nicht flüssig, der bestellte Verwalter meldete sich schon seit Monaten nicht mehr. Martha und Helene trauten sich nicht, die Tante um Geld zu bitten, das sie gern nach Bautzen geschickt hätten. Als ein hilfesuchender Brief vom Mariechen gekommen war, sie wisse nicht, wovon sie der Mutter etwas zum Essen kaufen sollte, hatte sich Helene in die Speisekammer geschlichen und Lebens mittel erbeutet, die in einem Paket nach Bautzen geschickt worden waren. Zur gleichen Zeit hatte Martha eine von Fannys Schallplatten entwendet und sie im Pfandhaus gegen etwas Geld eingelöst. Eine Leihgabe, so hatten es Martha und Helene voreinander bezeichnet, bis Tante Fanny sie beiläufig gefragt hatte, ob sie wüssten, wohin ihr Richard Tauber verschwunden sein könnte. Helene hatte einen Hustenanfall erlitten, um Fanny nicht die angebrachte Gewissensnot zeigen zu müssen. Die sei ihr runtergefallen und kaputt gegangen, das hatte Martha sofort geantwortet. Sie habe sich nur nicht getraut, es der Tante zu sagen. Falsche Reue? Marthas Augenaufschlag, die Unschuld in ihrem Antlitz war immer wieder erstaunlich. Fanny konnte Großmut beweisen.
Martha und Helene hatten sich in den vergangenen Monaten in einigen Krankenhäusern vorgestellt, aber bislang ohne Erfolg. Die ganze Stadt schien Arbeit zu suchen, und wer welche hatte, wollte eine bessere, eine mit höherem Lohn. Wer keine hatte, machte Geschäfte, aber von denen verstanden die Schwes tern noch zu wenig. In Andeutungen wurde von Schiebereien und Wetten gesprochen und davon, dass sich nur hübsche Mädchen verkaufen könnten, zumindest in der Revue. Lucinde, Fannys Freundin, arbeitete in einer Revue, nackt, wie sie zum Besten gab, bekleidet nur mit ihrem Haar. Helenes Zeugnisse aus Bautzen fanden einige Bewunderung, doch schreckte ihr Alter ab, man fand sie für eine feste Stelle im Krankenhaus zu jung.
Das werde ich machen, Martha legte das angeknabberte Ingwerstäbchen auf den Rand ihrer Untertasse. Sie lehnte ihren Kopf an Leontine und hielt sich wieder die Hand vor den Mund. Fanny betrachtete Leontine und Martha, sie lächelte und fuhr sich mit der Zunge erst über die Zähne und an schließend über die Lippe.
Das freut mich. Ihr wisst ja, ihr seid meine Gäste, für immer, wenn ihr so wollt. Meinetwegen müsst ihr nicht arbeiten, keine von euch. Das wisst ihr? Fanny blickte in die Runde. Zwar hatte sie keinen Mann und keine Eltern mehr, aber offenbar war Fanny noch so reich und allein mit ihrem Vermögen, dass sie sich keine Gedanken über finanzielle Dinge machen musste. Außer Leontine natürlich, sagte Fanny, wer wollte nicht endlich eine schöne Frau zur Hausärztin haben. Leontine, wann machst du dein Examen?
Im Herbst. Keine falschen Hoffnungen, ich werde bei Professor Friedrich an der Charité anfangen. Es könnte sein, dass er sich für eine Habilitation einsetzt.
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