»Bei Brandenburger klingeln«, sagte er. »Beeil dich, ich warte«, setzte er hinzu, aber da stand sie schon wieder hinter ihm.
***
Das rechte Auge war noch immer zugeschwollen, die Rippen schmerzten beim Atmen, Nicolai stand dennoch auf und ging zur Tür. Camille, dachte er, hau ab, würde er sagen, geh sterben. Er hatte die Klinke bereits heruntergedrückt, die Tür einen Spalt geöffnet, als ihm einfiel, dass es auch die Dicke sein könnte.
»Nicolai«, sagte eine Männerstimme.
Er stöhnte auf, wollte die Tür schließen, sich umdrehen, wieder ins Bett legen. Musik anmachen, falls Helge es weiter versuchte.
Doch die Tür kam auf ihn zu, Helge hatte sich dagegengeworfen, »nein, diesmal nicht«, hörte Nicolai ihn rufen. Mit seinem ganzen Gewicht dagegengeworfen, so dass er nicht einmal die Arme heben, Muskeln anspannen, die Füße fest in den Boden stemmen konnte. Das Holz traf Nicolai im Gesicht, traf seine Nase, presste die Zähne in die Oberlippe, er verlor das Gleichgewicht, fiel rückwärts, mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Helge schoss an ihm vorbei in den Flur, musste sich am Regal festhalten, um nicht zu stürzen.
Nicolais Hinterkopf schmerzte, »bist du komplett bescheuert«, er befühlte seine Haare, hoffte Warmes, Feuchtes zu spüren, betrachtete seine Finger, kein Rot, fasste sich erneut an den Schädel, nein, immer noch kein Blut. Helge hatte ihn angegriffen, er stellte sich an die Tür, zeigte auf die Stufen.
»Raus.«
»Ich muss mit dir reden«, Helge ordnete seine Haare, hielt inne, sah ihn an. »Dein Auge«, sagte er, »da muss Eis drauf.«
»Raus«, wiederholte Nicolai, lauter, deutete erneut in den Hausflur, doch Helge hatte sich umgedreht und ging in die Küche. Er folgte ihm, die Wohnungstür ließ er offen.
Helge zog am Griff des Eisfachs, es war zugefroren, er wandte sich um, als Nicolai »raus« sagte. Er beschloss, nichts anderes zu sagen als raus, egal, was jetzt käme.
»Fräulein Lopez hat angerufen.«
»Wer?«
»Die Frau, die du geschwängert hast«, Helge sah ihm ins Gesicht und lächelte nicht. Keine strahlenförmig verständnisvollen Fältchen in den Augenwinkeln, seine Lippen schmal. Sie hatte ihn verraten. Helge schien zu warten, auf eine Reaktion, Bedauern, gut, dann warte eben, dachte Nicolai. Mit einem Ruck öffnete er das Eisfach und nahm eins der blauen Kühlkissen heraus.
»Entschuldigung.«
Er schob Helge zur Seite, hoffte, er würde zurückzucken, Angst zeigen, doch Helge zuckte nicht. Er nahm das Geschirrhandtuch vom Griff der Backofentür.
»Warum hast du nicht Bescheid gesagt. Ursula hätte das nicht gewollt.«
Das Handtuch war dicht bedeckt mit rötlichen Spritzern, Arrabbiata. Nicolai wickelte das Kühlkissen ein, achtgebend, dass wenig Rötliches oben war, und presste es an seinen Hinterkopf.
»Ich hab dich auch nicht gewollt, das hat Ursula auch nicht interessiert.«
»Weiter oben«, sagte Helge, »da ist die stärkste Schwellung.«
Er konnte Helges Finger an seinen Haaren spüren, am liebsten hätte er nach ihnen geschlagen, lästiges Insekt, drehte ihm den Rücken zu.
»Sie wollte nach Hause«, sagte Helge.
»Ich war ihr Zuhause«, Nicolai brüllte beinahe.
Helge fuhr zurück, erstaunt, wie ihm schien, dann schüttelte er den Kopf.
»Ich spreche von Fräulein Lopez, nicht von Ursula. Sie hat angerufen und gesagt, sie wolle nach Hause. Ich habe ihr Ticket bezahlt.«
Helge der Säulenheilige. Nicolai klatschte, langsam, schlug die Hände zusammen, Pausen dazwischen, hart und spöttisch sollte es sich anhören. Doch es klang wie ein Patschen, wie dicke Kinderhände.
***
Britta macht Wein auf. Du hast den Salat gewaschen, die Blätter vom Strunk gelöst, jedes einzeln unter den Wasserstrahl gehalten, die Nudeln tropfen ab. Schneidest Tomaten, Britta hat die S0ße gekocht, die Baguettes aufgeschnitten, von ihrem Tag erzählt.
»Willst du?« Britta hält die Flasche hoch, ihr Glas ist bereits halbvoll, du nickst. Britta hat den Tisch gedeckt.
Frau sucht Frau zum miteinander Wohnen, Raucherin, manchmal unordentlich. 1 Zimmer, 12 m², hell. Wohnzimmer mit Balkon gemeinsam nutzbar. Die Zeitung hatte auf dem Teppich gelegen, zusammengefaltet, jemand hatte sie verloren, kamst vom Einkaufen, wolltest nicht auf den Fahrstuhl warten, die Rezeption im Rücken. Er hat ferngesehen, auf dem kleinen Gerät neben dem Schlüsselbrett, eine Gerichtssendung. Bist die Treppen rauf mit den Tüten, die Zeitung lag im Flur, hinter der Treppenhaustür, hast die Tüten abgestellt, rote Striemen auf den Handflächen, hast die Zeitung aufgehoben, in eine der Tüten gesteckt und bist weiter. Hast dich aufs Bett gelegt, die Heizung voll aufgedreht, das Fenster weit offen, nach einer Weile flimmerte die heiße Luft über dem Fensterbrett. Die Zeitung war zwei Tage alt, hast Kekse gegessen, hattest keine Lust zu lesen, hast sie nur durchgeblättert, bis du bei den Wohnungsanzeigen hängen geblieben bist, WG-Zimmer/Angebote : Zwei Studenten (Medizin/Biologie) suchen MitbewohnerIn. 14 m², WLAN vorhanden, 350 warm. Könntest anrufen, ich suche ein Zimmer sagen. Fängst gerade an zu studieren, ihr würdet zusammen frühstücken, abends Bier trinken auf Decken im Park. Architektur, könntest du sagen, morgens mit ihnen in die Uni fahren. Dich mittags mit ihnen in der Mensa treffen. Hast weitergelesen. Zimmer abzugeben, Designerküche, zentrale Lage in der Altstadt, Balkon, bei Mann, 37, geschäftlich viel unterwegs . Hast jede einzelne Anzeige gelesen, dir die Zimmer vorgestellt, versucht, dich darin zu sehen. Die meisten waren bereits weg, als du angerufen hast. Hast dir extra ein Handy gekauft, mochtest das Zimmertelefon nicht benutzen, warst sicher, er würde unten mithören. Hast überall deine neue Nummer hinterlassen, falls sich noch was ergibt, hattest vorher das Aufsagen geübt, die Zahlen in Dreiergruppen geteilt, als hättest du sie schon oft genannt.
»Sorry, ich war im Urlaub«, hat Britta gesagt, als du nach dem Zimmer fragtest. »Falls du schon mal angerufen hast, meine Mailbox quillt über. Das ist typisch. Ich dachte, die Anzeige kommt nächste Woche.«
Britta arbeitet beim Jugendamt. Britta tanzt Salsa. Lacht, wenn der Stromanbieter mahnt, die drei Euro gehen auf mich, sagt sie. Hab ich verschwitzt, sorry, wenn die Zahnarztpraxis anruft, und die Sprechstundenhilfe lacht auch, konntest sie hören, hast neben Britta gestanden, sie hat eine Grimasse gemacht.
»Frisch getrennt«, hast du gesagt. Ihr hättet zusammengewohnt, hast es nicht mehr ausgehalten. Hat ihn schwer getroffen, dass du ihn nicht mehr liebst. Konntest seine Vorwürfe nicht ertragen. Darum hast du keine Möbel, willst sie später holen, wenn er sich beruhigt hat. Suchst einen Job, hast noch Geld zurückgelegt, gibst ihr eine Monatsmiete im Voraus und noch eine als Sicherheit. Bar, erst stutzt sie, ich gebe dir für nächsten Monat meine Kontodaten, sagt sie. Und kein Problem. Hast ihren alten Futon bekommen. Drei Pflanzen. Hast dir einen Stuhl gekauft, einen Klappstuhl aus blauem Plastik. Britta hat dir Kleiderbügel gegeben, für deine Sachen, die Bügel hängen an den Nägeln, vor den viereckigen hellen Stellen, die die Bilder von Brittas letzter Mitbewohnerin hinterlassen haben.
Abends kocht ihr, seht nach dem Essen gemeinsam fern, manchmal geht Britta mit Freundinnen ins Kino, am Wochenende tanzen, fragt nicht, ob du mitwillst. Schaust dir ihre Sachen an, wenn sie bei der Arbeit ist. Vorsichtig zuerst, immer bereit, zurück ins Wohnzimmer zu rennen, sobald du ihren Schlüssel hörst. Tagsüber, traust dich nicht, Licht anzumachen, wenn es dunkel ist. Stellst dir vor, wie sie die Straße entlangkommt und es sieht. Liest ihre Briefe, die meisten sind von einem Norbert, sie hat ihn betrogen.
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