»Himmel!«, rief sie aus, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. »Was ist denn das alles?«
»Hochzeitsgeschenke«, erklärte Milly. »Ein Teil davon.«
Beide sahen sie sich schweigend im Raum um. Der Boden war bis auf den letzten Fleck mit Schachteltürmen bedeckt. Ein paar davon waren geöffnet worden – aus ihnen quollen Holzwolle und luftgepolsterte Folie –, man sah Porzellan schimmern.
»Was ist das?«, fragte Isobel und stieß eine davon an.
»Keine Ahnung«, meinte Milly. »Ich glaube, das ist eine Suppenterrine.«
»Aha, eine Suppenterrine«, echote Isobel ungläubig. »Hast du vor, Suppe zu kochen, wenn du verheiratet bist?«
»Das nehm ich doch an.«
»Jetzt, wo du eine spezielle Terrine dafür hast, bleibt dir auch gar nichts anderes übrig.« Isobel fing Millys Blick auf und begann unwillkürlich zu kichern. »Du musst jeden Abend zu Hause sitzen und Suppe aus deiner Suppenterrine schöpfen.«
»Sei still!«, bat Milly.
»Und aus deinen acht Sherrygläsern Sherry trinken«, fuhr Isobel fort, die das Schild auf einem anderen Päckchen las. »Das Eheleben wird eine einzige Völlerei sein!«
»Hör auf!« Milly schüttelte sich vor Gekicher; ihre Augen glänzten.
»Elektrischer Brotbackofen. Also dagegen hätte ich auch nichts einzuwenden.« Isobel sah auf. »Milly, ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, klar«, erwiderte Milly. »Klar!« Aber ihr Gekicher ging unversehens in Schluchzen über, plötzlich kullerten Tränen über ihre Wangen.
»Milly! Ich hab doch gewusst, dass was nicht stimmt!« Isobel kam und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Was ist los? Worüber wolltest du mit mir sprechen, als ich in Paris war?«
»O Gott, Isobel!« Weitere Tränen. »Ich hab totalen Mist gebaut!«
»Was?«
»Ich stecke total in der Klemme!«
»Wie meinst du das?« Isobels Stimme hob sich bestürzt. »Milly, sag’s mir! Was ist passiert?«
Milly sah sie eine lange Zeit an.
»Komm mit«, sagte sie schließlich. Sie ging zurück in ihr eigenes Zimmer, wartete, bis Isobel ihr nach drinnen gefolgt war, und schloss die Tür. Während Isobel sie schweigend beobachtete, langte sie in das Innere des Kamins und zog einen alten Turnbeutel von der Schule heraus, der fest zusammengezogen war.
»Was …«
»Warte«, sagte Milly und griff hinein. Sie förderte eine kleinere Tasche zutage – und holte daraus eine Schachtel hervor, die fest mit einer Kordel verschnürt war. Sie zog an der Schnur und riss den Deckel gleich mit hinunter. Einige Augenblicke starrte sie auf die offene Schachtel. Dann hielt sie sie Isobel hin.
»Okay«, meinte sie. »Das ist passiert.«
»Herrje!«, rief Isobel nach einem Blick in die Schachtel. Dort strahlte ihr auf einem Foto durch eine Konfettiwolke hindurch eine Milly im Hochzeitskleid entgegen. Isobel nahm das Foto heraus und betrachtete es näher. Mit einem Blick zu Milly legte sie es beiseite und nahm das nächste Foto. Darauf sah man zwei Männer, Seite an Seite, einer dunkelhaarig, der andere blond. Darunter befand sich ein Bild, auf dem der Dunkelhaarige Milly die Hand küsste. Milly lächelte albern in die Kamera. Den Schleier hatte sie hinter die Schulter geworfen. Sie sah maßlos glücklich aus.
Schweigend sah Isobel sich den Rest der Fotos an. Darunter befanden sich ein paar verblichene Konfettischnipsel und eine kleine geblümte Karte.
»Darf ich?«, fragte Isobel und griff nach der Karte.
»Nur zu.«
Wortlos öffnete Isobel die Karte und las den Eintrag: »Der besten Braut der Welt. Für immer dein, Allan.« Sie sah auf.
»Wer zum Teufel ist Allan?«
»Tja, was meinst du wohl, Isobel?«, erwiderte Milly mit rauer Stimme. »Allan ist mein Mann.«
Als Milly am Ende ihrer gestammelt hervorgebrachten Geschichte angelangt war, atmete Isobel scharf aus. Sie stand auf, ging zum Kamin und blieb dort eine Weile stumm stehen. Milly, die in einem Sessel saß und sich ein Kissen an die Brust presste, beobachtete sie bang.
»Mir geht das Ganze einfach nicht in den Kopf«, meinte Isobel schließlich.
»Ich weiß«, sagte Milly.
»Du hast diesen Typen wirklich geheiratet, damit er hier bleiben kann?«
»Ja.« Milly warf einen Blick auf die Hochzeitsfotos, die noch ausgebreitet auf dem Boden lagen, sah sich selbst, jung, lebenssprühend und glücklich. Während sie die Geschichte erzählt hatte, hatten ihr die Romantik und das Abenteuer ihres damaligen Tuns wieder vor Augen gestanden, und seit Jahren sehnte sie sich das erste Mal nach jenen unbesonnenen, magischen Tagen in Oxford zurück.
»Diese Schweine!« Isobel schüttelte den Kopf. »Die haben auf so eine dumme Gans wie dich doch nur gewartet!« Milly starrte ihre Schwester an.
»So war’s nicht«, sagte sie. Isobel blickte auf.
»Wie meinst du das, so war’s nicht? Milly, die haben dich benutzt!«
»Haben sie nicht!«, verteidigte sich Milly. »Ich habe ihnen geholfen, weil ich es wollte. Sie waren meine Freunde.«
»Freunde!«, echote Isobel verächtlich. »Dafür hältst du sie? Tja, wenn sie so großartige Freunde waren, wieso habt ihr euch dann nie mehr getroffen? Oder zumindest nicht weiter voneinander gehört?«
»Wir haben uns aus den Augen verloren.«
»Wann habt ihr euch aus den Augen verloren? Sobald du auf der gepunkteten Linie unterschrieben hattest?«
Milly schwieg.
»O Milly.« Isobel seufzte. »Haben sie dir was dafür gezahlt?«
»Nein. Sie haben mir eine Kette geschenkt.« Milly griff nach den kleinen Perlen.
»Na, das ist ja eine tolle Entschädigung«, bemerkte Isobel sarkastisch. »Wenn man bedenkt, dass du für sie das Gesetz gebrochen hast. Wenn man bedenkt, dass man dich strafrechtlich hätte verfolgen können. Die Einwanderungsbehörde untersucht Scheinehen, weißt du! Oder etwa nicht?«
»Jetzt hör auf damit, Isobel«, bat Milly mit bebender Stimme. »Es ist nun mal passiert, okay? Und daran gibt es nichts zu rütteln.«
»Okay«, meinte Isobel. »Du, es tut mir leid. Das muss schrecklich für dich sein.« Sie nahm eines der Fotos und sah es sich eine Weile an. »Ich muss sagen, es überrascht mich, dass du das Risiko eingegangen bist, die hier zu behalten.«
»Weiß schon«, sagte Milly. »Es war dumm. Aber ich hab’s einfach nicht über mich gebracht, sie wegzuwerfen. Sie sind alles, was mir von der ganzen Sache geblieben ist.« Isobel seufzte und legte das Foto beiseite.
»Und du hast Simon nie davon erzählt?«
Mit fest zusammengepressten Lippen schüttelte Milly den Kopf.
»Tja, das musst du aber«, sagte Isobel. »Das ist dir doch wohl klar, oder?«
»Das geht nicht.« Milly schloss die Augen. »Ich kann es ihm nicht erzählen. Ich kann es einfach nicht.«
»Das wirst du aber müssen!«, ermahnte sie Isobel. »Ehe dieser Alexander beschließt, ihm alles zu stecken.«
»Vielleicht hält er ja den Mund«, meinte Milly kleinlaut.
»Vielleicht aber auch nicht!«, entgegnete Isobel. »Und dieses Risiko ist es nicht wert.« Isobel seufzte. »Hör mal, sag’s ihm einfach. Es wird ihm nichts ausmachen! Wer ist heutzutage nicht alles schon geschieden!«
»Mag ja sein«, sagte Milly.
»Deshalb braucht man sich nicht zu schämen! Dann bist du eben geschieden!« Sie zuckte die Achseln. »Es könnte schlimmer sein.«
»Aber ich bin’s nicht«, sagte Milly mit gepresster Stimme.
»Was?« Isobel sah sie mit großen Augen an.
»Ich bin nicht geschieden«, sagte Milly. »Ich bin immer noch verheiratet!«
Stille.
»Du bist immer noch verheiratet?«, flüsterte Isobel. »Du bist immer noch verheiratet ? Aber Milly, am Samstag ist deine Hochzeit!«
»Ich weiß!«, weinte Milly. »Ja, meinst du etwa, das weiß ich nicht?« Und während Isobel sie entsetzt anstarrte, vergrub sie ihren Kopf in dem Kissen und brach in herzzerreißendes Schluchzen aus.
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