Ragab al-Qadi : Er ist die Hoffnung des Stücks. Sollte er sich nicht entwickeln, dann wäre es um das Stück geschehen. Sein Vater ist, wie Ali as-Sayyid mir erzählte, Barbier, und trotz der glänzenden Karriere seines Sohnes übt er immer noch seinen Beruf in Kum Hamada aus, entweder aus Selbstachtung oder genötigt durch die Undankbarkeit seines Sohnes. Ragab ist ein Lebemann, einer der Götter, die im sechsten Lebensjahrzehnt sterben, und wie alle angebeteten Götter hart, nur die Liebe macht ihn etwas milder. Wie die anderen ist er ohne Glaube und ohne Prinzipien, aber weniger als sie von Nervosität und Krisen geplagt. Er ist schön und anziehend, berühmt wegen seiner dunklen Bräune und seiner Herrschaftsgelüste. Seine Zuflucht findet er in der Sexualität, die Haschischpfeife interessiert ihn nur wenig. Die Möglichkeiten, die er für das Stück bietet, sind klar.
Anis Zaki : Ein untauglicher Beamter, ehemaliger Ehemann und Vater, schweigsam und geistesabwesend Tag und Nacht. Ein Gebildeter, so wird gesagt; von den Gütern der Welt besitzt er nur eine gute Bibliothek. Mir scheint manchmal, daß er halb verrückt oder halb tot ist. Es ist ihm gelungen, vollständig zu vergessen, wovor er flieht, sogar sich selbst. Seine große Gestalt läßt große Kraft vermuten. Man könnte ihm jede beliebige Eigenschaft zuschreiben, ebensogut scheint er völlig ohne Eigenschaften zu sein. Sein Geheimnis steckt in seinem Kopf. Man kann sich ihm anvertrauen, wie man sich einem leeren Stuhl anvertrauen kann. Verwendbar wäre er in einer Komödie, aber nicht in diesem Stück.
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Es wäre besser, die weiblichen Figuren auf zwei zu begrenzen: die Heldin, wegen ihrer Bedeutung im Handlungsverlauf, und Sana, um den emotionalen Konflikt im Drama zu steigern. Überdies ist sie eine moderne Jugendliche, die dem Stück eine aufreizende Atmosphäre verleihen könnte. Der Sieg der Heldin über sie würde das Symbol des Sieges der Ernsthaftigkeit über die Leichtfertigkeit sein. Denn solange Ernsthaftigkeit die Frau — als Mutter der Zukunft — nicht erfüllt, bleibt sie ohne Konsequenzen.
Saniya Kamil, die die Polygamie auf ihre eigene Weise ausübt, ist überflüssig, ebenso wie die blonde altjüngferliche Übersetzerin, die sich für eine tapfere Pionierin hält, während sie doch lediglich ein süchtiges, dekadentes, gieriges Geschöpf ist.
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Damit endeten die Notizen. Es fand sich noch eine Überschrift mitten in einer Zeile: »Wichtige Bemerkungen«, aber es folgte nichts. Er durchblätterte die restlichen Seiten, aber kein Wort mehr. Er steckte das Notizbuch in die Tasche und murmelte: »Die Schlaue.« Er holte das Notizbuch wieder heraus, las es erneut und steckte es wieder ein. Er lachte. Er blickte in die leere Tasse und sagte sich: »Vergebens.« Er würde lange warten müssen, vielleicht würde er noch bis zum Beginn der Sitzung nüchtern bleiben. Von der Gebetskapelle klang Amm Abduhs Stimme zu ihm herüber, die zum Abendgebet rief. Er murmelte wieder: »Die Schlaue.«
Das Hausboot schaukelte und kündigte damit einen Besucher an. Er wandte sich zur Tür und fragte sich, wer so früh käme. Hinter dem Wandschirm erschien Sammara Bahgat.
Sie trat herein und grüßte mit gezwungenem Lächeln. Etwas beschäftigte sie, soviel war klar. »Sie sind nicht wie sonst!«
Sie blickte sich in dem Raum um, alles genau prüfend. »Was fehlt Ihnen?«
»Ich habe wichtige Dinge verloren.«
»Hier?«
»Ich hatte sie bei der gestrigen Sitzung bei mir.«
»Worum handelt es sich?«
»Um ein Notizbuch und eine unbedeutende Geldsumme.«
»Sind Sie sicher, daß Sie sie hier verloren haben?«
»Ich bin nicht ganz sicher.«
»Amm Abduh fegt den Raum jeden Abend, und den Kehricht holt die Müllabfuhr morgens ab.« Sie setzte sich in einen Sessel.
»Sollten sie gestohlen worden sein, dann wäre zu überlegen, warum der Dieb nicht die ganze Tasche stahl, warum er nur das Notizbuch nahm und die Börse liegenließ.«
»Vielleicht ist es Ihnen herausgefallen?«
»Alles ist möglich.«
»Ist es ein großer Verlust?«
Noch bevor sie ihm antworten konnte, erbebte das Hausboot und Stimmen waren zu vernehmen. Sie bat ihn rasch, dieses Thema zu vergessen und kein Wort darüber zu verlieren. Sie sagte es, während sie auf ein Sitzkissen hinüberwechselte. Die Freunde traten nach und nach herein, bis die Versammlung vollständig war. Anis widmete sich der Wasserpfeife voller Energie und Begierde. Er war noch ungewöhnlich nüchtern, infolgedessen regten sich in ihm diabolische Gelüste. Er wagte einen lauernden Blick auf Sammara.
»Es ist nun erwiesen, daß Sie nur so früh hierherkommen, um Anis allein zu treffen!« wandte sich Mustafa an sie. »Meinen Sie nicht auch, daß er mein Traumjüngling ist?«
»Wir sind Jünglinge, aber in den Vierzigern«, sagte Ahmad Nasr. Ohne gerufen zu sein, erschien Amm Abduh neben dem Wandschirm.
»In Imbaba ist ein Hausboot gesunken«, meldete er. Kaum interessiert wandten sich ihm die Köpfe zu. »Ist jemand ertrunken?« fragte Ahmad Nasr. »Nein, aber die gesamte Einrichtung ist untergegangen.«
»Es fehlt uns an Einrichtung, nicht an Personen.«
»Die Bereitschaftspolizei ist gekommen.«
»Die Sittenpolizei hätte auch kommen sollen.«
»Aus welchem Grund sinkt ein Hausboot?« fragte Laila. »Die Unachtsamkeit des Wächters ist daran schuld«, antwortete der Alte.
»Nein, es ist der Zorn des Barmherzigen auf die Bewohner«, sagte Khalid Azzuz. Sie bekräftigten seine Feststellung und widmeten sich wieder der Wasserpfeife. Als Amm Abduh sich zurückgezogen hatte, erzählte Ali as-Sayyid: »Ich träumte eines Nachts, ich sei so groß und breit wie Amm Abduh geworden.«
Anis brach sein gewohntes Schweigen: »Das ist, weil du in Träume und in die Sucht fliehst.« Lachend begrüßten sie seinen Kommentar. »Und wovor fliehe ich, Vormund?« fragte Ali. »Vor der Leere.«
Als das Lachen verebbte, fügte er hinzu: »Ihr seid allesamt moderne Schurken, die sich in die Sucht und in falsche Träume flüchten.«
Er vermied es, Sammara anzublicken. Sein Dämon lachte lauthals.
Die Kommentare überstürzten sich: »Endlich hat er den Mund aufgetan.«
»Es ist die Geburtsstunde eines Philosophen.« Er wurde nun zum Mittelpunkt. Mustafa fragte: »Was denkst du über mich?«
»Einer, der in die Sucht und in das Absolute flieht, verfolgt vom Gefühl der Leere.«
Er unterschied das Lachen Sammaras im allgemeinen Gelächter, aber er vermied es, sie anzublicken. Er stellte sich ihre geheime Unruhe vor, er stellte sich ihr Gesicht vor und ihre Gedärme, und er fuhr fort:
»Wir sind alles Lumpen ohne Moral, verfolgt von einem fürchterlichen Gespenst, das Verantwortung heißt.« Ragab nahm den Faden wieder auf:
»Die Chronik unseres Hausboots soll in dieser Nacht beginnen.«
Mustafa Raschid sagte:
»Ich wette, daß der erlesene >Stoff< von heute nacht aus Moskau hergeschmuggelt wurde.«
»Anis, Philosoph«, fragte Khalid, »was meinst du zu mir und zu Laila?«
»Du bist ein degenerierter Bohemien, weil du ohne Glauben bist, vielleicht bist du auch ohne Glauben, weil du ein Bohemien bist. Laila aber ist eine falsche Pionierin, dekadent und süchtig, und kein Opfer, wie sie sich einbildet.«
»Daß dir die Worte im Hals steckenbleiben!« schrie Laila. Er zeigte auf Saniya Kamil: »Und du, du treibst Polygamie, du Süchtige!«
»Verrückter!«
»Nein, ich bin nur halbverrückt und halbtot.«
»Wie kannst du solche Frechheiten wagen?« Ali as-Sayyid beschwichtigte:
»Bist du tatsächlich böse, Saniya, er ist unser Vormund.«
»Ich dulde keine Beleidigung vor Fremden.«
Allgemeine Verdrossenheit drohte die gute Laune zu verderben, aber Ragab sagte nachdrücklich:
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