»Es gibt keine Fremden unter uns, Sammara ist eine von uns.« Laila unterbrach ihn:
»Tatsächlich ist sie eine von uns, aber sie gehört allein zu dir.«
»Nein«, entgegnete jetzt Anis, »sie kümmert sich nicht um einen Mann, der sich vor seiner Hohlheit in Rausch und Sexualität flüchtet.«
Ragab schrie belustigt: »Eine schöne Nacht, Freunde!«
»Wer möchte wohl glauben, daß du der schweigsame Anis bist.«
»Der liest wohl gerade ein Buch über den Verfall der Zivilisation.«
In meinem Bauch liegt noch eine Bombe, die ich für den Generaldirektor aufhebe. Das brodelnde Lachen in mir soll sich beruhigen, damit ich die Dinge sehen kann. Sind die Ketten, die unser Hausboot am Ufer festhalten, gerissen? Der Vollmond liegt auf der Lauer, um gegen die morsche Balkontür anzustürmen. Was die Mücke betrifft, so hat sie endlich das Geheimnis ihrer tödlichen Leidenschaft für das Licht der Lampe begriffen. Ragab wandte sich an Sammara: »Sie sind nicht in bester Verfassung!« Matt erwiderte sie, ohne Saniya anzublicken: »Das ist der Zustand einer Fremden.«
»Nein, Saniya ist eine gutherzige Frau, eine fürsorgliche Mutter, auch in der Liebe.«
»Vielen Dank, du kannst mich am besten bei Schwester Sammara entschuldigen«, sagte Saniya versöhnlich. Khalid Azzuz wandte ein:
»Übertreibt es nicht mit dem Friedenschließen, sonst wird uns die Langeweile überkommen.«
Nur das Glucksen des Wassers war zu hören. Die Geräusche verloren sich im Mondschimmer. Sein pulsendes Blut sagte ihm, daß der Schlaf in dieser turbulenten Nacht schwierig sein und daß er wach liegen würde wie die leidenschaftlich Liebenden, jedoch ohne Liebe. Er war bemüht, sich ein paar Verse der genialen Wahnsinnigen ins Gedächtnis zu rufen. Die Anwesenden verflüchtigten sich ihm, er blieb allein in der leuchtenden Nacht zurück. Er sah einen Ritter auf seinem Roß durch die Luft galoppieren, dicht über dem Wasser, er fragte ihn, wer er sei, und bekam zur Antwort, er sei al-Khayyam, es sei ihm endlich gelungen, der Totenwelt zu entrinnen. Anis erwachte beim Anblick seines neben dem Kupfertablett liegenden Beins, lang, kantig und knochig, mit großen Zehen und krummen Nägeln, die lange nicht geschnitten worden waren. Fast hätte er es nicht für das seine gehalten. Wie fremd ihm dieses Glied erschien. Er wurde auf Mustafa Raschid aufmerksam, der gerade die anderen fragte:
»Sind wir wirklich so, wie unser Vormund uns schilderte?« Khalid Azzuz erwiderte:
»Es handelt sich nicht um Flucht oder etwas Derartiges, wir verstehen unsere Wirklichkeit so, wie wir sie verstehen müssen.« Und Ali as-Sayyid fügte hinzu:
»Unser Boot ist das letzte Refugium der menschlichen Weisheit.«
»Ist das Versinken in Träumen eine Flucht?«
»Die Träume von heute sind die Wirklichkeiten von morgen.«
»Ist die Hoffnung auf das Absolute eine Flucht?«
»Und… haben wir etwas anderes zu tun?«
»Ist das sexuelle Verlangen eine Flucht?«
»Pfui! Das ist der reine Schöpfungsakt.«
»Ist das Haschischrauchen eine Flucht?«
»Flucht vor der Polizei, wenn du willst.«
»Ist es eine Flucht vor dem Leben?«
»Es ist das Leben selbst.«
»Warum hat uns unser Vormund angegriffen?«
»Seit Jahrzehnten hat er sich nicht ausgetobt, er wollte es nur einmal ausnahmsweise tun.«
»Eine schöne Nacht, Kameraden!« rief Ragab erneut.
Ahmad Nasr empfahl ihnen, einstweilen zu schweigen, damit der Erfolg des Abends nicht gefährdet würde. Die Haschischpfeife machte ihre letzten intensiven Runden. Der Mond war so hoch gestiegen, daß er von drinnen nicht mehr zu sehen war; er allein hatte in Sammaras Gesicht eine traurige Niederlage gesehen. Ihre Gesichter erschienen bleich, schläfrig und zugleich gegen ihren Willen ernst. Mustafa schaute Sammara aufmerksam an und fragte sie nach ihrer Ansicht über das, was sie gehört hatte. Die späte Nacht sei nicht für Diskussionen geschaffen, wehrte Ragab ab.
Wozu war die Nacht geschaffen? Alle gingen weg außer Ali as-Sayyid und Saniya Kamil. Bald danach war er ganz allein im Raum, Amm Abduh trat wie gewöhnlich ein, verrichtete seine Arbeit, ohne ein Wort zu sagen, dann ging er wieder. Anis kroch zur Veranda und sah nun erneut den Mond mitten im geschmückten Himmelsgewölbe scheinen. Er flüsterte ihm zu: Nichts ist unserem Hausboot vergleichbar. Die Liebe ist ein überholtes, verbrauchtes Spiel, aber in unserem Hausboot ist sie ein Sport. Das Laster ist anderswo ein Laster, aber hier in unserem Boot Freiheit. In den Häusern sind die Frauen traditionelle Reliquien, aber in unserem Hausboot sind sie voll jugendlicher Erotik und betörend. Der Mond ist ein lebloser, sich drehender Planet, aber hier bei uns Poesie. Der Wahnsinn ist überall eine Krankheit, aber bei uns eine Philosophie. Jeder Gegenstand hat seinen Wert, woher er auch sein mag, aber in unserem Hausboot ist er ein Nichts. Du, alter Weiser, Ibu-qur, tritt ein mit deiner Zeit, in der alles außer der Dichtkunst zerfallen ist, und sing für uns. Sage mir, was du Pharao erzählt hast. Der Weise Ibu-qur kam und sang:
»Eure Zechgenossen haben euch belogen,
Es sind Jahre des Krieges und des Verderbens.«
»Laßt mich mehr hören, Weiser!« sprach ich. Und er sang weiter:
»Was ist es, was in Ägypten geschah? Der Nil bringt immer noch die Überschwemmung. Wer einst nichts besaß, ist nun wohlhabend. Hätte ich doch meine Stimme beizeiten erhoben!«
»Und wovon hast du noch gesungen, Weiser Ibu-qur?« Und er sang:
»Ihr habt die Weisheit, die Umsicht und die Gerechtigkeit,
Aber ihr laßt die Fäulnis das Land zersetzen.
Seht, wie eure Befehle mißachtet werden,
Ihr braucht nur zu fragen, und es kommt einer,
der euch die Wahrheit erzählt.«
Eine Stimme, die seinen Namen flüsterte, weckte ihn auf. Er lag auf dem Rücken auf der Veranda, und als er die Augen aufschlug, sah er eine leuchtende Wolke am Himmel, die ihm sagte, daß der Mond scheine, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. An welchem Ort befand er sich und zu welcher Zeit! »Herr Anis!«
Er drehte sich auf die Seite und sah Sammara auf der Schwelle der Veranda. Er stützte sich auf die Arme, richtete sich auf und schaute mit schlaftrunkenen Augen zu ihr hoch. »Es tut mir leid, daß ich zu dieser unpassenden Stunde zurückgekommen bin.«
»Haben wir noch immer dieselbe Nacht?«
»Wir sind erst vor einer Stunde gegangen; ich bitte um Entschuldigung.«
Er schleppte sich bis an das Geländer der Veranda, um seinen Rücken zu stützen, und versuchte sich zu erinnern. »Ich komme vom Midan at-Tahrir zurück, Ragab hat mich bis dahin gefahren.«
»Seien Sie willkommen, mein Zimmer steht Ihnen zur Verfügung, wenn Sie mir die Ehre geben wollen.«
»Ich bin nicht zurückgekehrt«, erwiderte sie erschrocken, »um hier zu schlafen. Das wissen Sie nur allzu gut.« Dann setzte sie gelassen hinzu und senkte dabei die Augen: »Ich möchte mein Notizbuch zurückhaben.«
»Ihr Notizbuch?« wiederholte er verwundert. »Bitte!«
Die Lust an bösen Streichen regte sich in ihm. Er wehrte ab: »Sie bezichtigen mich des Diebstahls?«
»Nein, nicht des Diebstahls, aber Sie müssen es irgendwie gefunden haben.«
»Das würde bedeuten, ich hätte es gestohlen.«
»Um Gottes willen, gehen Sie es mir zurück, es ist jetzt keine Zeit zum Reden.«
»Sie irren sich.«
»Ich irre mich nicht.«
»Ich will diese Beschuldigung nicht wieder hören.«
»Ich beschuldige Sie nicht, aber geben Sie mir mein verlorenes Notizbuch zurück.«
»Ich weiß nicht, wo es ist.«
»Aber ich habe Sie mit eigenen Ohren zitieren hören, was darin steht.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Sie verstehen ganz genau, es gibt doch keinen Grund, mich zu quälen.«
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