»Quälen ist nicht meine Sache.«
»Die Nacht ist bald zu Ende.«
»Stellt Ihre Mami Sie wegen der Verspätung zur Rede?« fragte er spöttisch.
»Seien Sie doch wenigstens für einen Augenblick ernst!«
»Wir kennen keinen Ernst.«
»Wollen Sie etwa mein Geheimnis verraten?« fragte sie beunruhigt. »Wie könnte ich, da ich doch nichts davon weiß.«
»Seien Sie so freundlich wie immer.«
»Ich bin nicht freundlich, ich bin halb verrückt, halb tot.«
»Was in den Notizen steht, ist nicht meine Meinung über Sie, es sind nur Gedanken für das Stück.«
»Wir sind wieder bei Rätseln und Verdächtigungen.«
»Ich baue immer noch auf Ihre Großmut.«
»Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?«
»Sie haben meine Sätze wortwörtlich zitiert.«
»Halten Sie es für ausgeschlossen, daß wir gleiche Einfälle gehabt haben könnten?«
»Ich glaubte fest, daß Sie mir mein Notizbuch zurückgeben würden.«
»Sie bilden sich also ein, Sie würden in wenigen Tagen verstehen, was ich seit Jahren vergeblich zu begreifen suche.« Sein Lachen zerriß die Stille auf dem Nil, dann sagte er in verändertem Ton:
»Ihre Gedanken sind hohl, glauben Sie mir!«
»Sie geben es endlich zu!« rief sie erleichtert aus. »Ich gebe es Ihnen zurück, aber es taugt zu nichts.«
»Es sind lediglich erste Skizzen.«
»Sie sind hinterhältig.«
»Gott verzeihe Ihnen das!«
»Sie sind nur gekommen, um zu spionieren, nicht um der Freundschaft willen.«
»Verdächtigen Sie mich nicht!« wehrte sie ab. »Ich mag euch wirklich gern und suche eure Freundschaft. Ich glaube auch fest daran, daß in jedem Menschen ein potentieller Held steckt. Mich hat weniger eure Wirklichkeit interessiert als die Möglichkeit, daraus etwas Brauchbares für das Stück zu machen.«
»Strengen Sie sich nicht an, Ausreden zu ersinnen; mich geht das Ganze nichts an.«
Er streckte ihr die Hand mit dem Notizbuch entgegen: »Was die fünfzig Piaster betrifft, so freut es mich, Ihr Schuldner zu bleiben.« Sie stutzte:
»Aber wie… ich meine…«
»Wie ich sie gestohlen habe? Sehr einfach, wir betrachten alles in diesem Hausboot als Gemeineigentum.«
»Bei Gott, geben Sie mir eine Erklärung, die mich beruhigt!«
»Es war eine unwiderstehliche Versuchung«, lachte er. »Brauchten Sie es?«
»Ich habe es einer Dirne gegeben, die Amm Abduh hierherbrachte.«
»Sie brauchten es also?«
»Nein, so arm bin ich nicht.«
»Warum haben Sie es dann genommen?«
»So wie ich das Geld verwendet habe, empfand ich es als eine gewisse Annäherung an Sie.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Ich beginne an all meinen Grundsätzen zu zweifeln.«
»Es wäre besser, Sie hätten überhaupt keine Grundsätze.« Sie lachte.
»Erstrebenswert scheint Ihnen wohl alles, was Sie zu dem ersehnten Mann führt.« Als sie erneut lachte, sagte er:
»Ich verstehe Sie, wie auch die anderen Sie verstehen.« Sie hatte sich schon abgewandt, um fortzugehen, nun aber blieb sie neugierig stehen.
»Sie gaben uns nur Ragabs wegen die Ehre.« Sie lachte gleichgültig. Er aber deutete auf das verschlossene Zimmer und sagte:
»Leise, wecken Sie nicht die Liebenden!«
»Ich bin nicht, wie ihr meint, ich bin ein Mädchen…« Er unterbrach sie:
»Sind Sie tatsächlich ein Mädchen, dann kommen Sie mit in mein Zimmer, um es zu beweisen!«
»Sie sind nett, aber ich würde Ihnen nicht gefallen.«
»Warum nicht?«
»Weil es schrecklich ist, daß ein Mädchen ernst sein kann.«
»Aber ich lade nur ernsthafte Mädchen ein.«
»Wirklich?«
»Alle Dirnen sind ernsthaft.«
»Das verzeihe Ihnen Gott!«
»Sie kennen keinen Scherz. Sie arbeiten bis in die späte Nacht, nicht um des Vergnügens oder um des Genusses willen, sondern für ein fortschrittliches Ziel, nämlich für ein besseres Leben.«
»In diesem Hausboot ist zwischen Ernst und Scherz nicht zu unterscheiden.«
»Das sind zwei Namen für ein und dieselbe Sache.« Sie seufzte und kündigte damit das Ende des Gesprächs an, aber sie zögerte einen Augenblick und fragte ihn: »Haben Sie vor, das Geheimnis des Notizbuches zu verraten?«
»Hätte ich die Absieht, dann hätte ich es bereits getan.«
»Ich beschwöre Sie bei dem, was Ihnen das Liebste ist, mir die Wahrheit zu sagen.«
»Das habe ich getan.«
»Ich würde lieber von allein gehen, als weggejagt zu werden.«
»Ich möchte weder das eine noch das andere.« Sie schüttelte ihm die Hand und verabschiedete sich in herzlichem Ton: »Danke!«
Dann entfernte sie sich eilig, begleitet von der Stimme Amm Abduhs, die zum Frühgebet rief.
Ein Schwanken des Hausboots kündigte einen Besucher an, obwohl die Gesellschaft schon vollzählig versammelt war. Sie fragten sich, wer es sein könnte. Unruhig gespannt wandten sie sich zur Tür, und Ahmad Nasr stand auf, um dem Ankommenden am Eingang entgegenzutreten. Aber ein vertrautes Lachen drang an ihr Ohr, und sie erkannten Sanas Stimme, als sie »Hallo!« rief.
Sie trat ein und zog dabei einen eleganten, jungen Mann hinter sich her. Ragab erhob sich, um ihn zu begrüßen: »Willkommen, Ra'uf!«
Er stellte ihn den Gefährten vor: »Der bekannte Schauspieler.« Sie setzten sich nach einem gleichgültig förmlichen Gruß. »Es hat mich Mühe gekostet, ihn zu überreden, hierherzukommen«, erklärte Sana in ungewohnter Offenheit. »Er meinte, wir dürften Leute, die sich zurückgezogen haben, nicht stören. Aber er ist mein Verlobter und das Hausboot meine Familie.« Von allen Sitzkissen wurde sie beglückwünscht. Sie hob erneut an, ihrem Atem entströmte der Dunst von Alkohol. »Er gehört zur selben Sippe wie ihr«, und dabei deutete sie lachend auf die Haschischpfeife.
Anis kümmerte sich nicht um die allgemeine Verlegenheit und ließ die Pfeife eifrig kreisen.
»Das ist ein glückliches Zusammentreffen. Ra'uf«, sagte Sana. »Das hier ist der große Kritiker Ali as-Sayyid und dies die bekannte Journalistin Sammara Bahgat, und wen die Wasserpfeife vereint, entzweien weder Überzeugungen noch Geschmack.«
»Aber Sammara hat leider keinen Umgang mit der Wasserpfeife«, bedauerte Ragab.
»Warum kommt sie dann regelmäßig zum Hausboot?« spottete Sana.
Ra'uf flüsterte ihr etwas ins Ohr, was aber keiner verstehen konnte, doch sie lachte übermütig.
Amm Abduh kam, um das Wasser der Pfeife zu erneuern. Als er gegangen war, fragte Sana ihren Begleiter: »Glaubst du, daß dieses Gestell ein einziger Mann ist?« Sie lachte als einzige. Das gespannte Schweigen hielt etwa eine Viertelstunde an, bis Ra'uf ihr bedeutete, daß es an der Zeit sei, zu gehen. Er erhob sich und nahm ihren Arm. »Entschuldigen Sie, aber ich muß einer dringenden Verabredung wegen gehen. Es war ein erfreuliches Treffen.« Ragab geleitete sie zur Tür, dann kehrte er zu seinem Platz zurück. Die Gesellschaft schien bedrückt zu sein, obwohl die Wasserpfeife weiter kreiste. Ragab lächelte begütigend zu Sammara hinüber, sie aber deutete mit dem Kopf auf die Wasserpfeife: »Was auch immer Sie sagen, keiner wird es mir glauben.«
»Auf jeden Fall ist es keine entehrende Anschuldigung«, warf Laila Zaidan ein. »Außer bei meinen Feinden.«
»Sie haben keine Feinde, abgesehen von den Resten Ihrer bürgerlichen Erziehung«, meinte Ragab.
Sie wußte aber von Gerüchten in Pressekreisen zu berichten und erzählte, daß ihr spätes Nachhausekommen in ihrer alten Wohngegend in al-Manyal üble Nachrede bei den Nachbarn hervorgerufen habe.
»Als meine Mutter ihnen erklärte, daß meine Arbeit bei der Presse mich dazu zwinge, meinten sie, wer mich denn gezwungen hätte, dort zu arbeiten.«
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