Ahmad Nasr verfluchte den Amtsdirektor, Anis aber fuhr fort: »Ich stand erzürnt im Büro, um laut zu protestieren, aber ein heftiges Lachen überwältigte mich.«
Sie lachten, aber er zuckte mit den Schultern. Ali as-Sayyid erinnerte sie daran, daß sie die Hidschra gewöhnlich durch einen Ausflug zu den Nilschleusen in al-Qanatir gefeiert hätten. Ragab sagte dazu:
»Die beste Art, um die Auswanderung des Propheten zu begehen, ist, selbst auszuwandern.«
Sein Gesicht leuchtete auf, er schien einen neuen Einfall zu haben:
»Was sagt ihr zu einer Autofahrt ins Freie?«
»Wir sind aber noch nicht berauscht.«
»Fahren wir nach Mitternacht!«
Sammara begrüßte den Vorschlag, und Ahmad Nasr meinte, daß jede Bewegung zu begrüßen sei. Außer Anis erhob keiner Einspruch.
»Nein«, murmelte er.
Sollte die Gesellschaft in zwei Wagen fahren? Nein, nur in einem, sonst wäre die Fahrt sinnlos, wie? Sie seien neun, und der Wagen habe nur Plätze für sieben. Laila sollte auf Khalids und Saniya auf Alis Schoß sitzen. Die Begeisterung für die unvorhergesehene Fahrt verdoppelte sich. Anis aber blieb lustlos: »Nein.« Sie beharrten jedoch darauf, daß er sie begleite; ohne ihren Vormund könne ein solches Abenteuer nicht stattfinden. Aber er wollte sich nicht rühren und weigerte sich, sich umzuziehen. Sie aber bestanden darauf, ihn mitzunehmen, und sei es auch in seiner Gallabiya. Um Mitternacht brachen sie auf, und Anis gab widerwillig nach. Als sie früher als sonst das Hausboot verließen, erhob sich Amm Abduh vor seiner Hütte wie eine Palme und fragte: »Soll ich aufräumen?«
»Laß alles, wie es ist, bis wir zurück sind!« antwortete Anis.
Der Wagen setzte sich in Bewegung. Auf dem Vordersitz saßen Ragab, Sammara und Ahmed Nasr, die übrigen waren auf dem Rücksitz zu einem breiten fünfköpfigen Leib zusammengepreßt. Der Wagen fuhr in Richtung PyramidenAllee durch fast verlassene, menschenleere Straßen. Ragab schlug als Ziel den Sakkaraweg vor. Sein Vorschlag fand Zustimmung sowohl bei denen, die den Weg kannten, als auch bei denen, die ihn nicht kannten. Anis, an die rechte Seite im Auto gequetscht, verharrte stumm in seiner Gallabiya. Sie durchfuhren die Pyramiden-Allee in wenigen Minuten, dann bogen sie in den Sakkaraweg ein. Dort raste der Wagen mit überhöhter Geschwindigkeit den dunklen, verlassenen Weg entlang. Die Fahrbahn wurde durch die Scheinwerfer nur schwach erhellt; sie erstreckte sich endlos ins Dunkle. Auf beiden Seiten war sie von mächtigen Laubbäumen begrenzt, deren Geäst in der Höhe ineinander verschlungen war. Eine stille, ländliche Weite umgab sie, auf der linken Seite der Straße zog sich ein Kanal entlang. Seine Wasserfläche hob sich unter dem schwachen Sternenschimmer durch ihr bleiernes Dunkel von der Umgebung ab. Der Wagen fuhr jetzt noch schneller. Trockene, erfrischende, vom Duft der Pflanzen erfüllte Luft strömte herein. Saniya Kamil mahnte Ragab: »Fahr langsamer!«
»Fahr nicht schneller, als es gut ist für den Zustand von Berauschten«, fügte Khalid Azzuz hinzu. Sammara fragte:
»Lieben Sie den Rausch der Geschwindigkeit?« Er lachte, fuhr etwas langsamer und erwiderte: »Wir statten einem alten pharaonischen Friedhof einen Besuch ab, beten wir al-Fatiha [13] Al-Fatiha : Die erste Sure des Koran.
.«
Als der Wagen wieder in seine frühere Geschwindigkeit zurück fiel, schlug Khalid vor, eine Weile anzuhalten und sich im Dunkeln ein bißchen die Füße zu vertreten. Alle stimmten zu, der Wagen fuhr langsamer, dann bog er zwischen zwei Bäumen ein und hielt an einer staubigen Stelle. Die Türen wurden aufgerissen, Ahmad, Khalid, Saniya, Laila, Mustafa und Ali stiegen aus. Anis rückte vom Wagenschlag ab und saß jetzt bequemer, schüttelte seine Gallabiya aus und suchte mit einem Fuß nach dem im Gedränge verlorenen Pantoffel. Sie forderten ihn auf, ihnen zu folgen, er sagte nur kurz: »Nein.« Sammara wollte aussteigen, da ergriff Ragab ihre Hand: »Wir dürfen den Vormund nicht allein lassen.« Die Gesellschaft bewegte sich lachend und schwatzend zum Ufer des Kanals hin. Im Schimmer der Sterne verwandelten sich die Gehenden zu Schemen. Bald verschwanden sie ganz, und man hörte aus ihrer Richtung nur noch Stimmen. »Wozu diese Fahrt?« fragte Anis träge.
»Wichtig ist nur die Fahrt, nicht das Wozu«, erwiderte Ragab scherzend.
Sammara protestierte leise gegen diese Anspielung, aber Anis beklagte sich:
»Die Finsternis verführt zum Schlafen…«
»Genieß den Schlaf, Vormund!« sagte Ragab enthusiastisch und wandte sich Sammara zu:
»Wir sollten über unsere Beziehung offen sprechen, so offen, wie es der umgebenden Natur entspricht.«
Der Schlaf fällt einem, der einer Liebeskomödie beiwohnt, schwer. Die Offenheit schmeckt nach Mitternacht auf dem Sakkaraweg. Da schleicht sich ein Arm auf der Lehne des Sitzes entlang. Auf dem Sakkaraweg kann eben alles passieren. »Doch, sprechen wir über unsere Liebe.«
»Na?«
»Unsere Liebe, ja, genau das meine ich.«
»Es fällt mir schwer, zu einem Gott in Beziehung zu treten.«
»Es bedrückt mich, daß unsere Lippen sich noch nicht begegnet sind.«
Sie drehte ihren Kopf zu den Feldern hin, als wollte sie den Grillen und Fröschen lauschen. Sie murmelte, wie schön die Sterne über den Feldern seien. Welche neuen Gedanken mochte sie in ihr Notizbuch eingetragen haben? Werden wir das Glück haben, uns eines Abends auf der Bühne zu sehen und mit den Zuschauern lauthals zu lachen? »Ich weiß, was Sie sagen möchten.«
»Wie?«
»Sie sind nicht wie die anderen?«
»Das sagen Sie.«
»Aber die Liebe…«
»Aber die Liebe!«
»Sie glauben mir nicht!«
Wo bleibt die Aufrichtigkeit im Dunkeln? Was bedeuten unsere Stimmen den Insekten? Du bist in den Vierzigern, und du mußt in den nächsten Filmen andere Rollen übernehmen. Weißt du nicht, daß der mächtige Casanova sich in die Bibliothek des Herzogs zurückzog?
»Sagen Sie bitte nicht, das seien bourgeoise Überbleibsel.«
»Wie soll ich Ihre Angst verstehen?«
»Ich habe keine Angst.«
»Dann ist es ein Problem des Selbstvertrauens.«
»Diese Worte hörte ich Sie einmal im Film sprechen.«
»Vielleicht glaube ich nicht an die Ernsthaftigkeit, aber ich glaube an Sie.«
»Das ist das Problem Don Juans.«
Gespenster auf den Feldern und im Kopf. Das Dorf in vergangenen Tagen: Heirat, Vaterschaft, Ehrgeiz und Tod. Die Sterne haben Billionen Jahre hinter sich, aber von den Sternen der Erde haben sie noch nichts gehört. Keine Gespenster, es sind nur verwilderte, vernachlässigte Bäume mitten auf dem Felde. »Ich kann warten, bis wir heiraten.«
»Heiraten?«
»Aber in mir ist ein Dämon, der sich gegen alles Geregelte auflehnt.«
»Das Geregelte?«
»Sie verstehen alles, aber ich verstehe Sie nicht.« Wo war die Veranda und das Plätschern der Wellen, die Wasserpfeife, der Geruch des Wassers und Amm Abduh? Und die Einfälle, die wie Blitze durch den Kopf schossen, gegen die Schatten der Laubbäume prallten und erloschen, wo? »Warum haben Sie die Heirat mit diesem angesehenen Mann abgelehnt?«
»Er konnte mich nicht überzeugen.«
»Sie haben ihn also nicht geliebt?«
»Wenn Sie so wollen…«
»Er ist wie ich in den Vierzigern?«
»Nein, das nicht.«
»Die Überzeugung ist wichtig bei einer arrangierten Ehe, nicht in der Liebe.«
»Das weiß ich nicht.«
»Und das Geschlechtliche?«
»Eine Frage, die unbeachtet bleiben kann.« Anis schrie mit einer Stimme, die die Stille der Nacht zerriß:
»Welche Problematisierung des Alters, der Liebe und des Geschlechts, ihr Kinder der Sprachwissenschaft…« Sie drehten sich erschreckt um, dann lachten sie: »Ich dachte, du schläfst«, sagte Ragab. »Wie lange bleiben wir noch in diesem Gefängnis?«
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