Der Honorarkonsul bedankte sich für die Beileidsbezeigung des Bürgermeisters. Außerdem versprach er, die Visumsfrage bei Gelegenheit einem zuständigen französischen Kollegen gegenüber zur Sprache zu bringen. Was natürlich eine glatte Lüge war.
* * * *
Für Arnis Ikstens war die Sache verdammt unangenehm. Das war nämlich der arme Kerl, der die Presse auf dem Schrottplatz im Süden von Riga bediente. Als er mit dem letzten Wagen fertig war, hing plötzlich ein menschlicher Arm aus dem Metallwürfel, der bis vor Kurzem noch ein Auto gewesen war.
Arnis rief natürlich sofort die Polizei an, und danach ging er nach Hause, obwohl es gerade mal Mittag war. Das Bild des Arms sollte ihn noch lange verfolgen. Dieser Mensch war doch wohl hoffentlich schon tot gewesen, bevor Arnis das Auto zusammengepresst hatte?
Der Polizeichef von Riga teilte der schwedischen Botschaft mit, dass der schwedische Staatsangehörige Henrik Mikael Hultén tot in einem Ford Mustang auf einem Schrottplatz im Süden Rigas gefunden worden war.
Das hieß, noch hatte man seine Identität nicht zweifelsfrei feststellen können, aber der Inhalt seiner Brieftasche deutete darauf hin.
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Donnerstag, den 26. Mai, um 11.15 Uhr erhielt das Außenministerium in Stockholm ein Fax vom Honorarkonsul in Dschibuti, in dem das Ableben eines schwedischen Staatsangehörigen mitgeteilt wurde. Acht Minuten später kam ein zweites Fax zum selben Thema, diesmal allerdings von der Botschaft in Riga.
Der Verantwortliche erkannte die Namen und die Fotos der Toten sofort, er hatte ja erst kürzlich noch im Expressen von ihnen gelesen. Schon seltsam, dachte er, dass die beiden so weit weg von Schweden gestorben waren. In der Zeitung hatte etwas ganz anderes gestanden. Doch das war das Problem der Polizei und des Staatsanwalts. Der Mann scannte die beiden Faxe und schrieb anschließend eine Mail, in der er alle relevanten Informationen zu den Opfern zusammenfasste. Die sandte er unter anderem auch an die Polizei in Eskilstuna. Ein anderer Beamter bekam diese Mail, las sie, zog die Augenbrauen hoch und leitete sie an Staatsanwalt Ranelid weiter.
Conny Ranelids Leben stand kurz vor dem Kollaps. Der Fall mit dem hundertjährigen Dreifachmörder hatte doch sein beruflicher Durchbruch werden sollen, auf den er so lange gehofft und den er sich so gründlich verdient hatte.
Doch nun stellte sich heraus, dass Opfer Nummer eins, das doch in Sörmland gestorben war, drei Wochen später in Dschibuti noch einmal ums Leben kam. Und dass Nummer zwei, der doch in Småland gestorben war, dasselbe einfach noch einmal in Riga tat.
Nachdem Ranelid sich ans weit geöffnete Bürofenster gestellt und zehnmal tief durchgeatmet hatte, begann sein Gehirn langsam wieder zu arbeiten. Muss Aronsson anrufen, dachte er. Und Aronsson musste Opfer Nummer drei finden. Und zwischen dem Hundertjährigen und Nummer drei musste sich per DNA-Test eine Verbindung herstellen lassen. Das musste einfach so sein.
Sonst hatte sich der Staatsanwalt nämlich hoffnungslos blamiert.
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Sowie Kommissar Aronsson Ranelids Stimme hörte, platzte er sofort damit heraus, dass er eben gerade Allan Karlsson lokalisiert und verhaftet habe (auch wenn ebendieser seine Haft so gestaltete, dass er in der Küche Kaffee und Gebäck für Aronsson herrichtete).
»Was die anderen angeht, habe ich den Verdacht, dass sie ganz in der Nähe sind, aber es ist wohl besser, wenn ich zuerst Verstärk…«
Staatsanwalt Ranelid fiel ihm ins Wort und berichtete verzweifelt, dass Opfer Nummer eins tot in Dschibuti aufgefunden war und Opfer Nummer zwei in Riga und dass seine ganze schöne Indizienkette kurz davor stand, in ihre Einzelteile zu zerfallen.
»Dschibuti?«, echote der Kommissar. »Wo ist das denn?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Staatsanwalt Ranelid, »aber solange es auch nur weiter als zwanzig Kilometer von Åkers Styckebruk entfernt liegt, schwächt es meine Theorie ganz erheblich. Sie müssen jetzt einfach Opfer Nummer drei finden, hören Sie? Sie müssen ihn finden!«
In diesem Augenblick betrat ein noch recht schlaftrunkener Per-Gunnar Gerdin die Veranda. Höflich, wenn auch etwas abwartend, nickte er Aronsson zu, der ihn mit großen Augen anglotzte.
»Ich glaube Ihnen mitteilen zu können, dass Nummer drei gerade mich gefunden hat«, sagte der Kommissar ins Telefon.
23. KAPITEL 1968
In der indonesischen Botschaft in Paris hielt man sich nicht lange mit einer umständlichen Stellenbeschreibung für Allan auf. Die neue Botschafterin, Frau Amanda Einstein, teilte ihm ein eigenes Zimmer mit Bett zu und meinte, ab jetzt dürfe er selbstverständlich tun und lassen, wonach ihm der Sinn stehe.
»Aber es wäre nett, wenn du als Dolmetscher aushelfen könntest, wenn es irgendwann dumm läuft und ich mich mit Leuten aus anderen Ländern treffen muss.«
Allan antwortete, mit Blick auf die Beschaffenheit ihres Postens sei nicht auszuschließen, dass es tatsächlich so dumm laufen könnte. Wenn er das recht verstanden habe, warte der erste Ausländer schon am folgenden Tag auf sie.
Amanda fluchte, als man sie daran erinnerte, dass sie für ihre Akkreditierung in den Élysée-Palast musste. Die Zeremonie würde sicher nicht länger als zwei Minuten dauern, aber das war schon lange genug für jemanden, dem tendenziell gern mal etwas Dummes herausrutschte, und genau diese Tendenz glaubte Amanda nämlich zu haben.
Allan stimmte ihr darin zu, dass sie ab und zu peinliche Bemerkungen machte, aber mit Präsident de Gaulle würde bestimmt alles gut gehen, wenn sie während dieser zwei Minuten nur immer schön Indonesisch sprach und sich ansonsten auf freundliches Lächeln beschränkte.
»Was sagtest du, wie heißt der noch mal?«, fragte Amanda.
»Wie gesagt, immer schön Indonesisch sprechen. Oder am besten gleich Balinesisch.«
Danach brach Allan zu einem Spaziergang durch die französische Hauptstadt auf. Zum einen fand er, es könnte nicht schaden, sich nach fünfzehn Jahren auf der Strandliege mal wieder die Beine zu vertreten, zum andern hatte er sich gerade in der Botschaft in einem Spiegel gesehen und war daran erinnert worden, dass er sich seit dem Vulkanausbruch von 1963 weder rasiert noch sich die Haare geschnitten hatte.
Doch es war ein Ding der Unmöglichkeit, einen geöffneten Friseursalon zu finden. Oder irgendeinen anderen geöffneten Laden. Alles war verrammelt, fast alle schienen zu streiken, und jetzt besetzten die Leute Häuser und demonstrierten und warfen Autos um und schrien und fluchten und bewarfen sich gegenseitig mit Gegenständen. Auf der Straße, über die Allan ging, wurden gerade überall Absperrungen aufgestellt.
Das Ganze erinnerte ihn an Bali. Nur die Luft war ein bisschen kühler. Allan brach seinen Spaziergang ab, drehte um und ging zurück zur Botschaft.
Dort wurde er von einer aufgeregten Botschafterin empfangen. Soeben hatte der Élysée-Palast angerufen und mitgeteilt, dass die zweiminütige Akkreditierungszeremonie durch ein längeres Mittagessen ersetzt worden war. Die Frau Botschafter dürfe jederzeit gern ihren Mann und natürlich ihren Dolmetscher mitbringen, Präsident de Gaulle wolle außerdem noch den Innenminister Fouchet einladen, und nicht zuletzt werde auch der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson zugegen sein.
Amanda war völlig verzweifelt. Zwei Minuten mit dem Präsidenten hätte sie wahrscheinlich noch hingekriegt, ohne die sofortige Ausweisung zu riskieren, aber drei Stunden ? Und das auch noch mit einem weiteren Präsidenten am Tisch!
»Was geht hier vor, Allan? Wie konnte das passieren? Was sollen wir nur tun?«, fragte Amanda.
Auch Allan war überfragt, warum aus einem kurzen Händeschütteln ein ausgedehntes Essen mit zwei Präsidenten geworden war. Aber es lag nicht in seiner Art, Unbegreifliches unbedingt begreifen zu wollen.
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