Das fand Herbert natürlich alles ganz großartig, aber … deswegen konnte er doch jetzt nicht besser Auto fahren, oder? Doch, in gewisser Weise eben schon, meinte Amanda. Denn jetzt sei er nämlich in der Position, selbst zu bestimmen, was gut Auto fahren bedeutete. So war es eben im Leben: Richtig war nicht unbedingt das, was richtig war , sondern das, was von der maßgeblichen Person für richtig erklärt wurde.
Da hellte sich Herberts Miene auf. Er hatte es verstanden!
Die Führerscheinschule Einstein wurde ein voller Erfolg. Fast alle Inselbewohner, die den Führerschein machen wollten, nahmen Unterricht bei dem sympathischen Weißen. Und Herbert wuchs bald in seine Rolle hinein. Die Theoriestunden hielt er selbst: Da erklärte er freundlich, aber bestimmt, dass man zum Beispiel nicht zu schnell fahren sollte, weil man sonst leicht mal einen Unfall baute. Doch zu langsam dürfe man auch nicht fahren, denn damit behindere man ja den Verkehr. Die Schüler nickten und schrieben eifrig mit. Der Herr Lehrer schien ja zu wissen, wovon er redete.
Nach sechs Monaten hatte Herbert die zwei anderen Fahrschulen der Insel aus dem Feld geschlagen und besaß nun das Monopol. Als er Allan seinen wöchentlichen Besuch am Strand abstattete, erzählte er ihm davon.
»Ich bin stolz auf dich, Herbert«, sagte Allan. »Dass ausgerechnet du eine Fahrschule aufmachst! Wo hier doch Linksverkehr ist und alles …«
»Linksverkehr?«, staunte Herbert. »Fährt man in Indonesien denn auf der linken Seite?«
Amanda saß auch nicht tatenlos zu Hause, während Herbert die Firma aufbaute, die sie ihm geschenkt hatte. Erst verschaffte sie sich eine richtige Ausbildung und wurde Betriebswirtin. Das dauerte zwar ein paar Wochen und war ziemlich teuer, doch am Ende hatte sie den Beweis in der Hand. Mit Topnoten obendrein, von einer der besseren Universitäten von Java.
Dann machte sie einen ausgedehnten Spaziergang am Strand von Kuta und überlegte angestrengt. Was konnte sie mit ihrem Leben anfangen, was der Familie Glück brachte? Betriebswirtin hin oder her, sie konnte immer noch kaum rechnen. Aber vielleicht sollte sie … war es wirklich möglich, dass … ja, wenn man … Ja da soll mich doch, dachte Amanda Einstein.
»Ich gehe in die Politik!«
Amanda Einstein gründete die Liberaldemokratische Freiheitspartei (sie war der Ansicht, dass sich die drei Worte » liberal« , » demokratisch« und » Freiheit« in diesem Zusammenhang gut machten). Sie fand sofort sechstausend erfundene Mitglieder, die es alle für eine gute Idee hielten, dass sie im nächsten Herbst bei den Gouverneurswahlen kandidierte. Der amtierende Gouverneur wollte aus Altersgründen zurücktreten, und bevor Amanda ihren Einfall hatte, gab es nur einen Kandidaten, der das Amt hätte übernehmen können. Jetzt waren es zwei. Der eine war ein Mann und pedana , der andere eine Frau und sundra . Normalerweise wäre dieser Wahlkampf selbstverständlich zu Amandas Ungunsten ausgegangen. Doch jetzt hatte sie ja einen Riesenhaufen Dollahs .
Herbert hatte nichts dagegen, dass sein Herzblatt in die Politik ging. Doch er wusste, dass Allan unter seinem Sonnenschirm die Politik im Allgemeinen und nach den Jahren im Gulag den Kommunismus im Besonderen hasste.
»Müssen wir jetzt Kommunisten werden?«, fragte er besorgt.
Nein, das glaubte Amanda nicht. Dieses Wort kam zumindest nicht im Namen ihrer Partei vor. Doch wenn Herbert absolut Kommunist werden wolle, konnte man das sicher noch einfügen.
» Liberaldemokratische kommunistische Freiheitspartei «, sagte Amanda und horchte dem Klang nach. »Ein bisschen lang vielleicht, aber könnte gehen.«
Doch so hatte Herbert es ja gar nicht gemeint. Ganz im Gegenteil. Je weniger sich ihre Partei mit Politik beschäftigte, desto besser.
Damit waren sie bei der Finanzierung der Kampagne. Amanda meinte, nach dem Wahlkampf würde von dem Riesenhaufen Dollahs nicht mehr viel übrig sein, denn Gewinnen war ziemlich teuer. Wie Herbert darüber denke?
Herbert antwortete, er sei sicher, dass in dieser Familie Amanda am meisten von Geldfragen verstehe. Auch wenn die Konkurrenz ja eher mäßig sei.
»Gut«, sagte Amanda. »Dann setzen wir ein Drittel unseres Kapitals für meinen Wahlkampf ein, ein Drittel für die Schmiergelder, ein Drittel für die Schmutzkampagne gegen unseren stärksten Konkurrenten, und dann haben wir immer noch ein Drittel, von dem wir leben können, wenn nichts daraus wird. Was meinst du dazu?«
Herbert kratzte sich die Nase und meinte gar nichts, doch er erzählte Allan von Amandas Plänen. Der seufzte bei dem Gedanken, dass jemand, der einen Longdrink nicht von Bananenlikör unterscheiden konnte, tatsächlich glaubte, Gouverneurin werden zu können. Na ja, sie hatten ja einen Riesenhaufen Dollahs von Mao Tse-tung bekommen, und Allan kam mit seiner Hälfte bestens aus. Deswegen versprach er auch, den beiden nach den Wahlen finanziell auszuhelfen. Aber nur, wenn sie nicht noch mehr Projekte anfingen, von denen sie nichts verstanden.
Herbert dankte ihm für das Angebot. Allan war doch ein guter Kerl, weiß Gott.
Allerdings wurde Allans Hilfe gar nicht gebraucht. Die Gouverneurswahlen waren für Amanda ein Erfolg auf der ganzen Linie. Sie gewann mit fast achtzig Prozent der Stimmen, wohingegen ihr Konkurrent nur zweiundzwanzig erzielt hatte. Da die Summe mehr als hundert ergab, witterte der Konkurrent Wahlbetrug, doch ein Gericht schmetterte die Klage ab und drohte dem unterlegenen Kandidaten mit ernsthaften Konsequenzen, wenn er die neue Gouverneurin Frau Einstein weiter verleumden wolle. Kurz vor der Urteilsverkündung hatten sich Amanda und der vorsitzende Richter übrigens auf ein Tässchen Tee getroffen.
* * * *
Während Amanda Einstein langsam, aber sicher die Insel übernahm und ihr Mann Herbert den Leuten das Autofahren beibrachte (ohne sich selbst öfter als unbedingt nötig hinters Steuer zu setzen), saß Allan mit einem Drink in seinem Liegestuhl am Wasser. Seit Amanda aufgehört hatte, die Touristen zu bedienen, bekam er meistens genau das, was er bestellt hatte.
Wenn er nicht gerade dort saß und trank, blätterte er in den internationalen Zeitungen, die er abonniert hatte, aß, wenn er Hunger hatte, und wenn ihm das alles zu hektisch wurde, hielt er ein Mittagsschläfchen auf seinem Zimmer.
Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, aus Monaten Jahre – ohne dass Allan seiner Ferien überdrüssig wurde. Nach anderthalb Jahrzehnten hatte er außerdem immer noch einen Riesenhaufen Dollahs übrig. Das war einerseits darauf zurückzuführen, dass es von vornherein eben ein Riesenhaufen gewesen war, aber auch darauf, dass das betreffende Hotel seit einer Weile Amanda und Herbert Einstein gehörte und sie Allan sofort zum Ehrengast erklärt hatten.
Inzwischen war Allan dreiundsechzig Jahre alt und bewegte sich immer noch nicht mehr als unbedingt notwendig. Amanda feierte unterdessen immer größere politische Erfolge. Sie war beliebt bei der breiten Masse. Das zeigte sich in diversen Untersuchungen, die das Institut für Statistik durchführte, welches ihre Schwester besaß und leitete. Bali wurde von einer Menschenrechtsorganisation als die am wenigsten korrupte Region des Landes bezeichnet. Das wiederum beruhte darauf, dass Amanda den gesamten Vorstand dieser Organisation geschmiert hatte, aber sei’s drum.
Dennoch war der Kampf gegen die Korruption einer der drei Hauptpunkte, den sich Amanda bei ihrer politischen Arbeit auf die Fahnen geschrieben hatte. Vor allem führte sie Anti-Korruptionsunterricht an Balis Schulen ein. Ein Rektor in Denpasar protestierte zunächst, denn er meinte, das Ganze könnte den genau entgegengesetzten Effekt haben. Da machte Amanda ihn einfach zum Präsidenten der Schulbehörde und verdoppelte sein Gehalt, und damit war diese Angelegenheit auch erledigt.
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