Aronsson antwortete, er könne ihm nur den Rat geben, jetzt sehr zügig alles zu erzählen, was er wusste. Eile habe der Kommissar aber trotzdem nicht.
Das gefiel Allan, und er forderte den Mann auf, sich zu ihm auf die Hollywoodschaukel zu setzen. Dann wollte Allan ihm auch einen Kaffee aus der Küche besorgen.
»Nehmen Sie Zucker in den Kaffee? Oder Milch?«
Eigentlich gehörte Aronsson nicht zu den Leuten, die gefasste Verbrecher einfach so davonspazieren ließen, und sei es nur in die Küche nebenan. Aber dieses Exemplar flößte ihm irgendwie so eine Ruhe ein. Außerdem konnte Aronsson von der Hollywoodschaukel aus gut in die Küche blicken und beobachten, was Allan da drinnen trieb. Also nahm er das Angebot an.
»Milch bitte. Keinen Zucker«, bat er und setzte sich.
Der soeben gefasste Allan bosselte in der Küche herum (»Möchten Sie vielleicht noch ein Stück Gebäck dazu?«), während Kommissar Aronsson ihm von der Veranda zusah. Er begriff nicht, wie ihm die Situation schon wieder so weit hatte entgleiten können. Zunächst hatte er aus der Ferne einen älteren Mann auf einer Veranda sitzen sehen und gedacht, dass das vielleicht der Vater von Bo Ljungberg war, der ihn sicher zu seinem Sohn führen konnte. Und dann hätte sich garantiert bestätigt, dass die gesuchten Personen nicht in der Nähe waren und die ganze Fahrt nach Västergötland vergebliche Liebesmüh gewesen war.
Doch als er nah genug an die Veranda gekommen war, stellte sich heraus, dass der alte Mann auf der Hollywoodschaukel Allan Karlsson in Person war. Der Weitschuss war ein Volltreffer gewesen!
Im Gespräch mit dem alten Mann war er ruhig und professionell aufgetreten. Wenn man es denn professionell nennen wollte, dass der mutmaßliche Dreifachmörder gerade in die Küche gegangen war, um Kaffee zu kochen. Im Grunde saß Aronsson auf der Veranda und kam sich doch wieder vor wie ein Amateur. Der hundertjährige Allan Karlsson sah nicht sonderlich gefährlich aus, doch was sollte Aronsson tun, wenn die drei anderen Verdächtigen auch auftauchten, vielleicht sogar in Gesellschaft von Bo Ljungberg, der wegen Strafvereitelung verhaftet werden sollte?
»Mit Milch und ohne Zucker sagten Sie, oder?«, rief Allan aus der Küche. »In meinem Alter wird man langsam etwas vergesslich.«
Aronsson wiederholte seinen Wunsch nach Milch im Kaffee und griff dann zum Handy, um Verstärkung von den Kollegen in Falköping anzufordern. Am besten gleich zwei Autos.
Doch sein Handy kam ihm zuvor. Es klingelte, bevor er wählen konnte. Als Aronsson sich meldete, war Staatsanwalt Ranelid in der Leitung – und der hatte ihm eine sensationelle Mitteilung zu machen.
22. KAPITEL Mittwoch, 25. Mai–Donnerstag, 26. Mai 2005
Der ägyptische Seemann, der die sterblichen Überreste von Bengt »Bolzen« Bylund an die Fische im Roten Meer verfüttert hatte, war endlich in Dschibuti, wo ihm drei Tage Landgang winkten.
In seiner Hosentasche steckte Bolzens Brieftasche, die unter anderem achthundert schwedische Kronen in bar enthielt. Wie viel das wert sein mochte, wusste der Matrose nicht, doch er hegte gewisse Hoffnungen, und so machte er sich auf die Suche nach einer geöffneten Wechselstube.
Die Hauptstadt von Dschibuti, eine junge, lebhafte Stadt, heißt fantasieloserweise genauso wie das Land. Lebhaft, weil Dschibuti strategisch günstig am Horn von Afrika liegt, wo das Rote Meer beginnt. Jung, weil die Einwohner von Dschibuti für gewöhnlich nicht allzu alt werden. Die fünfzig zu erreichen, gilt als Ausnahme.
Der ägyptische Seemann blieb am Fischmarkt stehen, wo er sich vielleicht was Frittiertes gönnen wollte, bevor er weiter nach einer Wechselstube suchte. Direkt neben ihm stand ein verschwitzter Einheimischer und stampfte mit fiebrig flackernden Augen auf den Boden. Der Matrose wunderte sich nicht, dass der Verschwitzte so verschwitzt war, denn zum einen hatte es leicht fünfunddreißig Grad im Schatten, zum anderen trug der Verschwitzte mit dem Fez zwei Sarongs und zwei Hemden übereinander.
Der fragliche Mann war ungefähr fünfunddreißig und hatte wenig Ehrgeiz, noch viel älter zu werden. Innerlich war er in Aufruhr. Nicht, weil die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos war, nicht, weil bald jeder Fünfte HIV-infiziert war, nicht, weil Trinkwasser hier Mangelware war, und auch nicht, weil die Wüste sich immer weiter ausbreitete und das kümmerliche bisschen Land schluckte, das man überhaupt zum Anbau von Nahrung nutzen konnte. Nein, der Mann empörte sich, weil die USA einen Militärstützpunkt im Land errichtet hatten.
Damit waren die USA freilich nicht allein. Die französische Fremdenlegion war schon länger hier. Die Bande zwischen Dschibuti und Frankreich waren stark, denn bevor man in den siebziger Jahren die Erlaubnis bekam, sein eigenes Ding zu machen, hieß das Land ja Französisch-Somaliland.
Doch direkt neben der Basis der Fremdenlegion hatten sich die USA etwas ganz Ähnliches ausbedungen, gerade im richtigen Abstand zum Golf und Afghanistan und mit einer ganzen Reihe zentralafrikanischer Tragödien gleich um die Ecke.
Gute Idee, dachten sich die Amerikaner, und den Einwohnern von Dschibuti war es sowieso einerlei. Die hatten alle Hände voll damit zu tun, den nächsten Tag zu überleben.
Doch einer von ihnen hatte offenbar Zeit gehabt, über die amerikanische Militärpräsenz nachzudenken. Oder vielleicht war er einfach nur ein bisschen religiöser, als für sein irdisches Dasein gut war.
Jedenfalls lief er durch die Hauptstadt auf der Suche nach einer Gruppe amerikanischer Soldaten auf Kasernenurlaub. Dabei befingerte er nervös die Schnur, an der er bei der richtigen Gelegenheit kräftig ziehen würde, sodass die Amerikaner zur Hölle fuhren, während er genau in die andere Richtung segelte.
Doch wie gesagt, es war ein heißer Tag, an dem man leicht ins Schwitzen kam (das passiert sowieso gern in Dschibuti). Der Mann hatte sich eben nicht nur die Bombe auf Bauch und Rücken geklebt, sondern musste auch noch eine doppelte Lage Kleidung tragen, um sie zu verbergen. So kochte der Selbstmordattentäter fast vor Hitze, und zu guter Letzt fummelte er versehentlich dann doch ein bisschen zu viel an seiner Schnur herum.
Womit er sich selbst und den armen Kerl, der gerade neben ihm stand, in Fetzen verwandelte. Drei weitere Dschibutier starben an ihren Verletzungen, und ungefähr zehn wurden schwer verletzt.
Keines der Opfer war Amerikaner. Doch es sah ganz so aus, als wäre der Mann direkt neben dem Attentäter Europäer gewesen. Die Polizei hatte nämlich eine Brieftasche, die in bemerkenswert gutem Zustand war, direkt neben den Überresten ihres Besitzers gefunden. Und in dieser Brieftasche steckten nicht nur achthundert schwedische Kronen, sondern auch sein Pass und sein Führerschein.
Der schwedische Honorarkonsul in Dschibuti wurde am nächsten Tag vom Bürgermeister darüber informiert, dass der schwedische Staatsbürger Erik Bengt Bylund höchstwahrscheinlich ein Opfer der Wahnsinnstat auf dem Fischmarkt geworden war.
Bylunds sterbliche Überreste könne man ihm leider nicht übergeben, dafür sei der Körper zu stark zerfetzt worden. Daher habe man sie umgehend und unter Wahrung der Form kremiert.
Jedoch konnte man dem Honorarkonsul Bylunds Brieftasche überreichen, die Pass und Führerschein enthielt (das Geld war während der Bearbeitung des Vorgangs bereits verschwunden). Der Bürgermeister bedauerte, dass man den schwedischen Bürger nicht ausreichend habe schützen können. Trotzdem sehe er sich genötigt, noch eine Sache zur Sprache zu bringen, wenn der Herr Honorarkonsul nichts dagegen habe?
Bylund habe sich nämlich ohne gültiges Visum in Dschibuti aufgehalten. Der Bürgermeister wisse nicht mehr, wie oft man dieses Problem schon mit den Franzosen und auch mit Präsident Guelleh erörtert habe. Wenn die Franzosen Legionäre direkt in ihre Basis einfliegen wollten, sei das ihre Sache. Aber sobald sich ein Legionär als Zivilist in der Stadt Dschibuti bewegte (»in meiner Stadt«, wie es der Bürgermeister formulierte), müsse er auch die erforderlichen Dokumente vorweisen können. Der Bürgermeister bezweifelte keine Sekunde, dass Bylund Fremdenlegionär gewesen war, ihm war das Muster nur zu gut bekannt. Die Amerikaner hielten sich ausnahmslos akkurat an die Regeln, während die Franzosen sich benahmen, als seien sie hier noch immer in Somaliland .
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