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Innenminister Fouchets besonders wohlinformierter Mitarbeiter, Claude Pennant, wurde 1928 in Straßburg geboren. Seine Eltern waren überzeugte Kommunisten, die bei Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 nach Spanien fuhren, um gegen die Faschisten zu kämpfen. Ihr achtjähriger Sohn Claude war mit von der Partie.
Die Familie überlebte den Krieg und floh auf verschlungenen Pfaden in die Sowjetunion. In Moskau verkündeten sie, sie seien hier, um dem internationalen Kommunismus zu dienen. Sie stellten auch ihren mittlerweile elfjährigen Sohn Claude vor und erklärten, dass er bereits drei Sprachen beherrsche: Deutsch und Französisch von Haus aus, und inzwischen auch noch Spanisch. Ob das auf lange Sicht nicht für die Revolution von Nutzen sein könnte?
Doch, durchaus. Die Sprachbegabung des jungen Claude wurde sorgfältig überprüft, anschließend in einer Reihe von Intelligenztests seine allgemeinen Geistesgaben. Dann wurde er in eine Schule gesteckt, die großes Gewicht auf Sprachen, aber auch auf Ideologie legte, und bevor er fünfzehn war, sprach er fließend Französisch, Deutsch, Russisch, Spanisch, Englisch und Chinesisch.
Im Alter von achtzehn Jahren, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hörte Claude, wie seine Eltern ihre Zweifel zum Ausdruck brachten, ob die Revolution unter Stalin wohl noch auf dem richtigen Weg sei. Er denunzierte sie, und flugs wurden Michel und Monique Pennant wegen konterrevolutionärer Aktivitäten verurteilt und hingerichtet. Bei dieser Gelegenheit erhielt der junge Claude seine erste Auszeichnung, eine Goldmedaille für den besten Schüler des Schuljahrs 1945/46.
Ab 1946 wurde Claude auf Auslandseinsätze vorbereitet. Man wollte ihn im Westen einschleusen, wo er sich als Schläfer durch die Korridore der Macht vorarbeiten sollte, wenn nötig, auch über mehrere Jahrzehnte. Inzwischen hatte Marschall Berija Claude unter seine Habichtfittiche genommen, und der Junge wurde sorgfältig von allen öffentlichen Veranstaltungen ferngehalten, bei denen er zufällig auf einem Foto hätte landen können. Die einzigen Auftritte, die man Claude zugestand, waren vereinzelte Einsätze als Dolmetscher, und das auch nur, wenn der Marschall persönlich anwesend war.
1949, als er einundzwanzig war, wurde Claude Pennant wieder nach Frankreich geschleust, diesmal allerdings nach Paris. Er durfte sogar seinen richtigen Namen behalten, obwohl seine Biografie natürlich umgeschrieben werden musste. Er begann seinen Aufstieg an der Sorbonne.
Neunzehn Jahre später, im Mai 1968, hatte er sich bis in die unmittelbare Nähe des französischen Präsidenten vorgearbeitet. Seit ein paar Jahren war er Innenminister Fouchets rechte Hand, und als solche diente er der internationalen Revolution eifriger denn je. Sein Rat an den Innenminister – und damit indirekt auch an den Präsidenten – lautete, dass man im derzeitigen Studenten- und Arbeiteraufstand hart durchgreifen sollte. Sicherheitshalber sorgte er außerdem dafür, dass die französischen Kommunisten falsche Signale aussandten und behaupteten, nicht hinter den Forderungen der Studenten und Arbeiter zu stehen. Die kommunistische Revolution in Frankreich konnte höchstens noch einen Monat auf sich warten lassen, und de Gaulle und Fouchet waren vollkommen ahnungslos.
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Nach dem Mittagessen standen alle auf und vertraten sich ein wenig die Beine, bevor man im Salon den Kaffee einnehmen wollte. Den beiden Präsidenten Johnson und de Gaulle blieb nichts anderes übrig, als ein paar höfliche Phrasen auszutauschen. Sie waren noch dabei, als sich plötzlich der langhaarige, bärtige Dolmetscher neben sie stellte.
»Entschuldigen Sie, wenn ich die Herren Präsidenten belästige, aber ich habe dem Herrn Präsidenten de Gaulle etwas mitzuteilen, was, glaube ich, nicht allzu lange warten kann.«
De Gaulle war nahe dran, die Wachen zu rufen, denn ein französischer Präsident konnte sich doch nicht mit jedem abgeben. Doch der langhaarige Bärtige hatte sich gut ausgedrückt, also ließ er ihn gewähren.
»Na, dann bringen Sie Ihr Anliegen mal vor, wenn es unbedingt sein muss, hier und jetzt, aber bitte schnell. Wie Sie sicher sehen, habe ich gerade anderes zu tun, als mich mit einem Dolmetscher zu beschäftigen.«
Aber natürlich, Allan versprach, sich kurz zu fassen. Um es kurz zu machen, er finde, der Präsident sollte wissen, dass der besonders wohlinformierte Mitarbeiter von Innenminister Fouchet ein Spion war.
»Entschuldigen Sie mal, was zum Teufel reden Sie denn da?«, rief de Gaulle laut, aber nicht so laut, dass der rauchende Fouchet und seine ebenfalls rauchende rechte Hand es draußen auf der Terrasse hören konnten.
Allan fuhr fort, er habe vor ziemlich genau zwanzig Jahren das zweifelhafte Vergnügen gehabt, mit den Herren Stalin und Berija zu dinieren, und bei diesem Anlass sei die rechte Hand des Innenministers Stalins Dolmetscher gewesen.
»Wie gesagt, es ist schon zwanzig Jahre her, aber er hat sich nicht groß verändert. Ich selbst sah allerdings ganz anders aus. Ich hatte damals kein Vogelnest im Gesicht, und die Haare standen mir auch nicht in allen Richtungen vom Kopf ab. Kurz und gut, ich habe diesen Spion wiedererkannt, aber er mich nicht – hab ich ja selbst kaum, als ich mich gestern im Spiegel angesehen habe.«
Präsident de Gaulle entschuldigte sich mit hochrotem Kopf, um seinen Innenminister unverzüglich um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. (»Nein, ein Gespräch unter vier Augen, habe ich gesagt. Ohne Ihren besonders wohlinformierten Mitarbeiter. Jetzt gleich!«)
Johnson und der indonesische Dolmetscher blieben allein zurück. Der amerikanische Präsident schien sehr zufrieden zu sein. Er beschloss, dem Dolmetscher die Hand zu schütteln, um ihm indirekt zu danken. Immerhin hatte er es geschafft, den französischen Präsidenten so aus dem Konzept zu bringen, dass ihm seine überlegene Miene mal verging.
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Präsident Johnson. »Wie war noch mal Ihr Name?«
»Ich heiße Allan Karlsson«, sagte Allan. »Ich kannte übrigens den Vorgänger des Vorgängers Ihres Vorgängers, Präsident Truman.«
»Sieh an!«, rief Präsident Johnson. »Harry ist bald neunzig, aber er freut sich immer noch seines Lebens. Wir sind gute Freunde.«
»Grüßen Sie ihn schön von mir«, bat Allan und entschuldigte sich dann ebenfalls, um Amanda zu suchen (er wollte ihr nämlich gern erzählen, was sie bei Tisch wirklich zu den Präsidenten gesagt hatte).
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Das Mittagessen der beiden Präsidenten fand ein überstürztes Ende, und die Teilnehmer wandten sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zu. Doch Allan und Amanda waren eben erst wieder in ihrer Botschaft angekommen, da rief Präsident Johnson höchstpersönlich an und lud Allan für denselben Abend zu einem Diner in der amerikanischen Botschaft ein.
»Das geht in Ordnung«, meinte Allan. »Ich hatte sowieso vorgehabt, mich heute Abend richtig satt zu essen. Über das französische Essen mag man ja sagen, was man will, aber der Teller ist immer so schnell leer, ohne dass man wirklich was im Magen hätte.«
Das war eine Feststellung genau nach Präsident Johnsons Geschmack, und er freute sich auf den Abend.
Er hatte mindestens drei gute Gründe für seine Einladung. Erstens wollte er mehr über diesen Spion und über Karlssons Treffen mit Berija und Stalin erfahren. Zweitens hatte Harry Truman ihm gerade am Telefon erzählt, was Allan Karlsson 1945 in Los Alamos zuwege gebracht hatte. Schon allein das war ein Abendessen wert.
Und drittens war Präsident Johnson höchst zufrieden mit den Entwicklungen im Élysée-Palast. Dass er aus nächster Nähe hatte beobachten dürfen, wie diesem de Gaulle die Kinnlade herunterfiel, hatte er nur Allan zu verdanken.
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