»Was wir tun sollen? Ich glaube, wir holen jetzt mal Herbert, und dann gönnen wir uns alle drei einen Drink. Es ist schließlich schon Nachmittag.«
* * * *
Eine Akkreditierungszeremonie mit Präsident de Gaulle einerseits und dem Botschafter eines fernen, unwichtigen Landes andererseits dauerte meistens ganze sechzig Sekunden. Nur wenn der betreffende Diplomat eine echte Plaudertasche war, konnte sich diese Zeit verdoppeln.
Dass sich im Fall der indonesischen Botschafterin plötzlich alles ganz anders entwickelt hatte, hatte gewichtige weltpolitische Gründe, die Allan Karlsson sich nicht mal hätte ausrechnen können, wenn er sich bemüht hätte.
Die Sache war die, dass Präsident Lyndon B. Johnson in der amerikanischen Botschaft in Paris saß und sich nach einem politischen Erfolg sehnte. Die weltweiten Proteste gegen den Vietnamkrieg hatten mittlerweile Orkanstärke erreicht, und die Symbolfigur dieses Krieges, Präsident Johnson, war eigentlich nirgends mehr beliebt. Auch wenn er die Hoffnung, im November wiedergewählt zu werden, längst aufgegeben hatte, hätte er doch nichts dagegen gehabt, wenigstens für etwas Netteres in die Geschichte einzugehen. Momentan skandierten die Leute überall nur »Mörder« und ähnlich unangenehme Bezeichnungen. Daher hatte er zuerst die Bombardierung Hanois eingestellt und dann tatsächlich eine Friedenskonferenz eingeleitet. Dass in der Stadt, in der diese Konferenz stattfinden sollte, kriegsähnliche Zustände auf den Straßen herrschten, fand Präsident Johnson fast schon wieder komisch. Aber daran sollte sich jetzt mal dieser de Gaulle die Zähne ausbeißen.
Präsident Johnson hielt de Gaulle für einen Dreckskerl, der offenbar völlig verdrängt hatte, wer hier die Ärmel hochgekrempelt und sein Land vor den Deutschen gerettet hatte. Doch die Spielregeln der Politik verlangten leider, dass ein französischer und ein amerikanischer Präsident sich unmöglich in derselben Hauptstadt aufhalten konnten, ohne zumindest zusammen zu Mittag zu essen.
Daher hatte man ein solches anberaumt, und das wollte jetzt durchgestanden sein. Glücklicherweise war den Franzosen die Eselei gelungen, ihrem Präsidenten zwei Termine gleichzeitig zu verpassen (nicht dass das Johnson überrascht hätte). So kam es, dass nun auch die neue Diplomatin der indonesischen Botschaft – eine Frau in der Botschaft! – mit am Tisch sitzen würde. Das fand Präsident Johnson großartig, denn so konnte er sich die ganze Zeit mit ihr unterhalten statt mit diesem de Gaulle .
Dabei hatte in Wirklichkeit niemand die Termine des Präsidenten verbaselt, nein, de Gaulle selbst hatte in letzter Sekunde den glorreichen Einfall, so zu tun , als wäre es ein Versehen gewesen. Auf diese Weise würde das Essen wenigstens irgendwie erträglich werden, denn nun konnte er sich mit der indonesischen Botschafterin – eine Frau in der Botschaft! – unterhalten statt mit diesem Johnson .
Präsident de Gaulle mochte Johnson nicht, aber das hatte eher geschichtliche als persönliche Gründe. Die USA hatten gegen Kriegsende versucht, Frankreich unter amerikanische Militärverwaltung zu stellen – die hatten ihm glatt sein Land stehlen wollen! Wie sollte de Gaulle ihnen das jemals verzeihen? Da war es ganz egal, ob der jetzige Präsident etwas damit zu tun gehabt hatte oder nicht. Der jetzige Präsident übrigens … … Johnson … Johnson hieß er. Die Amerikaner hatten eben einfach keinen Stil.
Fand Charles André Joseph Marie de Gaulle.
* * * *
Amanda und Herbert berieten sich und waren sich bald einig, dass es besser war, wenn er zu Hause blieb, während sie sich mit den Präsidenten im Élysée-Palast traf. Damit war das Risiko eines totalen Fiaskos nämlich gleich nur noch halb so groß, dachten sie sich. Ob Allan das nicht auch fand?
Er schwieg einen Moment und erwog mehrere Antwortmöglichkeiten, bis er schließlich sagte:
»Ach, Herbert, weißt du was? Bleib du mal schön zu Hause.«
* * * *
Die Gäste waren schon alle versammelt und warteten auf den Gastgeber, der wiederum in seinem Büro saß und um des Wartens willen wartete. Das wollte er noch ein paar Minuten ausdehnen, in der Hoffnung, dass die Warterei diesem Johnson die Laune verhagelte.
In der Ferne hörte de Gaulle die Krawalle und Demonstrationen, die in seinem geliebten Paris tobten. Die Fünfte Französische Republik war plötzlich ins Wanken geraten, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts. Zuerst waren es nur ein paar Studenten, die für freie Liebe und gegen den Vietnamkrieg waren und ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verliehen. So weit, so gut, fand der Präsident, denn die Studenten hatten ja von jeher immer etwas zu meckern gehabt.
Doch die Demonstrationen wurden immer mehr und größer und gewalttätiger, und dann meldeten sich auch noch die Gewerkschaften zu Wort und drohten, zehn Millionen Arbeiter zum Streik aufzurufen. Zehn Millionen! Damit wäre ja die ganze Nation lahmgelegt!
Die Arbeiter wollten weniger arbeiten und mehr Lohn. Und de Gaulle sollte abtreten. Dreimal falsch geraten, fand der Präsident, der schon schlimmere Schlachten als diese gekämpft und gewonnen hatte. Sein wichtigster Berater im Innenministerium, der über die Geschehnisse am besten von allen informiert war, riet dem Präsidenten, hart durchzugreifen. Es ging ganz sicher nicht um Größeres, wie etwa einen von den Sowjets orchestrierten kommunistischen Versuch, das Land zu übernehmen. Dazu würde dieser Johnson sicher wieder seine Spekulationen anstellen, sobald er die Gelegenheit bekam. Die Amerikaner witterten ja Kommunisten an jeder Ecke. Sicherheitshalber hatte de Gaulle auch Innenminister Fouchet und seinen besonders wohlinformierten Mitarbeiter eingeladen. Diese beiden waren dafür verantwortlich, wie das derzeit herrschende Chaos in der Nation angegangen wurde. Dann konnten sie auch gleich selbst Stellung nehmen, falls dieser Johnson naseweis werden wollte.
»Ach, verdammt«, sagte Präsident de Gaulle und stand auf.
Jetzt konnte er das Essen wirklich nicht mehr länger aufschieben.
Der Sicherheitsdienst des französischen Präsidenten hatte den langhaarigen, bärtigen Dolmetscher, den die indonesische Botschafterin mitgebracht hatte, besonders sorgfältig kontrolliert. Doch seine Papiere waren in Ordnung, und er war unbewaffnet. Außerdem verbürgte sich ja die Botschafterin – eine Frau in der Botschaft! – für ihn. Somit durfte auch der Bärtige an der Tafel Platz nehmen, zwischen einem wesentlich jüngeren und schickeren amerikanischen Dolmetscher auf der einen Seite und dessen französischer Kopie auf der anderen.
Am meisten hatte allerdings der bärtige Indonesier zu tun. Sowohl Präsident Johnson als auch de Gaulle richteten ihre Fragen nämlich ausschließlich an die Frau Botschafterin, statt miteinander zu reden.
Präsident de Gaulle erkundigte sich zunächst nach ihrem beruflichen Hintergrund. Amanda Einstein antwortete, dass sie eigentlich eher dumm war, sich durch Bestechung den Gouverneursposten auf Bali geangelt und ebenfalls durch Schmiergelder zweimal ihre Wiederwahl gesichert hatte. Außerdem habe sie sich und ihre Familie in all diesen Jahren gründlich bereichert, bis sie eines Tages völlig überraschend der neue Präsident Suharto angerufen habe, um ihr die Botschafterstelle in Paris anzubieten.
»Ich wusste nicht mal, wo Paris liegt, und dachte zuerst sogar, das wäre ein Land, keine Stadt. Haben Sie schon mal so was Blödes gehört?«, prustete Amanda Einstein.
Das alles hatte sie in ihrer Muttersprache vorgebracht, und der langhaarige, bärtige Dolmetscher übersetzte es ins Englische. Gleichzeitig ersetzte Allan aber fast alles, was Amanda gesagt hatte, durch Äußerungen, die ihm passender erschienen.
Als sich das Essen seinem Ende zuneigte, waren die zwei Präsidenten tatsächlich in einer Sache der gleichen Meinung, auch wenn sie es nicht wussten. Beide fanden die Frau Botschafterin Einstein nämlich unterhaltsam, interessant, aufgeklärt und klug. Nur hätte sie vielleicht ein bisschen mehr Umsicht bei der Auswahl ihres Dolmetschers walten lassen sollen. Der sah ja aus wie frisch aus dem Urwald.
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