Es verhielt sich nämlich so, dass Stalin eigentlich Dichter war, überdies sogar ein sehr begabter. Der Geist der Zeit hatte ihn dann zwar zum revolutionären Kämpfer gemacht, doch sein Interesse an Poesie hatte Stalin sich ebenso bewahrt wie seine Kenntnisse über die führenden zeitgenössischen Lyriker.
Für Allan war es also recht ungünstig, dass Stalin den schwedischen Dichter sehr gut kannte. Und im Gegensatz zu Allan war er auch bestens im Bilde über Heidenstams Liebe zu – Deutschland. Eine Liebe, die erwidert wurde: Rudolf Heß, Hitlers rechte Hand, hatte Heidenstam in den dreißiger Jahren besucht, und kurz darauf war Heidenstam die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen worden.
Das alles ließ Stalins Stimmung dramatisch umschlagen.
»Wollen Sie etwa den großzügigen Wirt beleidigen, der Sie mit offenen Armen empfangen hat?«, brauste er auf.
Allan versicherte ihm, dass er das keineswegs beabsichtige. Wenn Heidenstam den Herrn Stalin so wütend gemacht habe, bitte Allan vielmals um Entschuldigung. Vielleicht tröste es ihn ja zu hören, dass Heidenstam schon seit ein paar Jahren tot war?
»Und dieses ›hoppsassa fiderallala‹ , was bedeutet das überhaupt? Ist das am Ende ein Loblied auf die Feinde der Revolution, das Sie Stalin da in den Mund gelegt haben?«, fragte Stalin, der immer in der dritten Person von sich sprach, wenn er sich aufregte.
Allan erwiderte, für die englische Übersetzung von » hoppsassa fiderallala! « brauche er eine kurze Bedenkzeit, doch Herr Stalin könne ganz beruhigt sein, das sei nichts anderes als ein fröhlicher Ausruf.
»Ein fröhlicher Ausruf?« Jetzt wurde Genosse Stalin langsam laut. »Finden Sie etwa, dass Stalin fröhlich aussieht?«
Langsam ging Allan Stalins Überempfindlichkeit auf die Nerven. Der Kerl war ja schon ganz rot im Gesicht, so regte der sich auf, und das im Grunde über nichts und wieder nichts. Doch Stalin fuhr fort:
»Und wie war das eigentlich mit dem spanischen Bürgerkrieg? Vielleicht sollte man den Herrn Heidenstam-Anhänger doch noch mal fragen, auf welcher Seite er da überhaupt gekämpft hat?«
Mist, hatte der jetzt auch noch einen siebten Sinn?, überlegte Allan. Na, er war ja sowieso schon so wütend, wie ein Mensch nur werden konnte, da konnte man auch gleich sagen, wie sich die Dinge wirklich verhielten.
»Eigentlich habe ich gar nicht gekämpft, Herr Stalin. Am Anfang habe ich den Republikanern geholfen, aber zum Schluss habe ich eher durch Zufall die Seiten gewechselt und Freundschaft mit General Franco geschlossen.«
»Mit General Franco?«, kreischte Stalin und sprang so jäh auf, dass sein Stuhl umfiel.
Offensichtlich konnte er doch noch wütender werden. In Allans ereignisreichem Leben war es schon ein paarmal vorgekommen, dass man ihn angebrüllt hatte, aber er hatte nie zurückgebrüllt, und er hatte auch nicht vor, bei Stalin damit anzufangen. Was natürlich nicht hieß, dass die Situation ihn unberührt ließ. Im Gegenteil, der kleine Schreihals hier war ihm im Handumdrehen unsympathisch geworden. Allan beschloss, zum Gegenangriff überzugehen, auf seine ganz eigene bescheidene Weise.
»Nicht nur das, Herr Stalin. Ich war auch in China, um Krieg gegen Mao Tse-tung zu führen, bevor ich dann in den Iran fuhr, um ein Attentat auf Churchill zu verhindern.«
»Churchill? Diese fette Sau!«, schrie Stalin.
Er fasste sich lange genug, um ein ganzes Wasserglas voll Wodka herunterzuschütten. Neidisch beobachtete ihn Allan. Er hätte es ganz nett gefunden, wenn man ihm auch noch einmal nachgeschenkt hätte, aber er fand, dies war vielleicht nicht der richtige Moment, um einen derartigen Wunsch vorzubringen.
Marschall Berija und Julij Borissowitsch sagten gar nichts, hatten aber sehr unterschiedliche Mienen aufgesetzt. Berija funkelte Allan zornig an, während Julij einfach nur unglücklich dreinblickte.
Stalin schüttelte sich und senkte dann die Stimme auf fast normale Lautstärke. Böse war er immer noch.
»Hat Stalin das richtig verstanden?«, sagte Stalin. »Sie standen auf Francos Seite, Sie haben gegen Genosse Mao gekämpft, Sie haben … dem Schwein aus London das Leben gerettet und den Erzkapitalisten in den USA die tödlichste Waffe der Welt in die Hände gelegt?«
»Genosse Stalin stellt die Dinge vielleicht ein bisschen überspitzt dar, aber im Wesentlichen ist das korrekt so, ja. Mein Vater hat sich am Ende übrigens dem Zaren angeschlossen, wenn der Herr Stalin mir das auch noch zum Nachteil auslegen will.«
»Mir doch egal«, murmelte Stalin und vergaß vor lauter Wut, in der dritten Person zu sprechen. »Und jetzt sind Sie also hier, um sich an den Sowjetsozialismus zu verkaufen? Hunderttausend Dollar – das ist also der Preis für Ihre Seele? Oder ist der im Laufe des Abends noch mal gestiegen?«
Inzwischen war Allan jede Lust zur Zusammenarbeit vergangen. Julij war zwar immer noch ein netter Mann, und im Grunde brauchte er ja seine Hilfe. Doch man konnte nicht außer Acht lassen, dass das Ergebnis von Julijs Arbeit letztlich in den Händen von Genosse Stalin landen würde, und der war ja nicht gerade ein Genosse im eigentlichen Sinne des Wortes. Obendrein wirkte er ziemlich labil, vielleicht war es doch am besten, wenn er gar nicht erst mit dieser Bombe herumspielen konnte.
»Nee«, wehrte Allan ab, »in dieser Sache ist es von Anfang an nie um Geld gegangen.«
Weiter kam Allan nicht, denn da explodierte Stalin schon wieder.
»Wofür halten Sie sich eigentlich? Sie verfluchte Ratte!«, schrie Stalin. »Glauben Sie etwa, dass Sie , ein Repräsentant des Faschismus, des ekelhaften amerikanischen Kapitalismus, sämtlicher Dinge, die Stalin auf dieser Erde so abgrundtief verachtet, glauben Sie, dass Sie, Sie , in den Kreml kommen können, in den Kreml , um mit Stalin zu feilschen, mit Stalin zu feilschen? «
»Warum sagen Sie denn alles zweimal?«, wollte Allan wissen, doch Stalin fuhr fort:
»Merken Sie sich eines: Die Sowjetunion ist bereit, wieder in den Kampf zu ziehen! Es wird Krieg geben, es wird unausweichlich Krieg geben, bis der amerikanische Imperialismus vernichtet ist.«
»Ach ja, meinen Sie wirklich?«, sagte Allan.
»Um zu kämpfen und zu gewinnen, brauchen wir Ihre verdammte Atombombe nicht! Was wir brauchen, sind sozialistische Seelen und Herzen ! Wer fühlt, dass er niemals besiegt werden kann, der kann auch niemals besiegt werden!«
»Solange keiner eine Atombombe über ihm abwirft«, entgegnete Allan.
»Ich werde den Kapitalismus zerschmettern! Hören Sie? Ich werde jeden einzelnen Kapitalisten zerschmettern! Und mit Ihnen werde ich gleich anfangen, Sie elender Hund, wenn Sie uns mit der Bombe nicht helfen!«
Allan stellte fest, dass er innerhalb einer Minute sowohl als Ratte als auch als Hund tituliert worden war. Und dass Stalin wohl nicht alle Tassen im Schrank hatte, denn jetzt hatte er offenbar doch noch vor, Allans Dienste in Anspruch zu nehmen.
Doch der hatte keine Lust, sich weitere Unverschämtheiten an den Kopf werfen zu lassen. Er war nach Moskau gekommen, um den Leuten zu helfen, nicht, um sich anschreien zu lassen. Sollte Stalin doch zusehen, wie er alleine zurechtkam.
»Ich hab mir da gerade was überlegt«, verkündete Allan.
»Was?«, fuhr Stalin ihn an.
»Wie wär’s, wenn Sie sich mal diesen Schnurrbart abrasieren?«
Damit war das Abendessen beendet, denn der Dolmetscher wurde ohnmächtig.
* * * *
In aller Eile wurden die Pläne geändert. Allan wurde nie in die feinste Gästewohnung des Kreml einquartiert, sondern in eine fensterlose Zelle im Keller der russischen Geheimpolizei. Genosse Stalin hatte zum Schluss entschieden, dass die Sowjetunion entweder durch die eigenen Experten an die Formel für die Atombombe kommen musste oder durch ehrenwerte Spionage. Weitere Westler würde man nicht entführen, und man würde auch definitiv nicht mehr mit Kapitalisten oder Faschisten oder beiden feilschen.
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