Zutiefst verbittert machte sich der Schriftsetzer an seiner Arbeitsstelle an den nächsten Auftrag. Welche Ironie des Schicksals, dass es zufällig zweitausend Bibeln waren, die an diesem Tag gedruckt werden sollten! Außerdem handelte es sich um eine Bestellung aus Schweden, und soweit der Setzer informiert war, lebte dort sein Vater, der die Familie verlassen hatte, als sein Sohn sechs Jahre alt war.
Mit Tränen in den Augen gab der Setzer ein Kapitel nach dem anderen in das spezielle Programm ein. Als er beim letzten Kapitel war – die Offenbarung des Johannes –, platzte ihm der Kragen. Wie sollte Jesus jemals wieder auf die Erde zurückkehren? Die war doch völlig in der Hand des Bösen! Das Böse hatte ein für alle Mal über das Gute gesiegt, was sollte das also alles? Und die Bibel … war doch der reinste Witz!
So kam es, dass der Schriftsetzer mit dem ruinierten Nervenkostüm dem allerletzten Vers des allerletzten Kapitels der schwedischen Bibel noch etwas hinzufügte, bevor das Ganze in Druck ging. Er erinnerte sich nicht mehr so gut an die Muttersprache seines Vaters, aber ihm fiel noch ein Kinderreim ein, der seines Erachtens bestens hier hinpasste. Im Druck sahen die letzten beiden Bibelverse mit dem Extravers des Setzers folgendermaßen aus:
20 Es spricht, der solches bezeugt: Ja, ich komme bald. Amen, ja komm, Herr Jesus.
21 Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!
22 Damit ist die Geschichte aus, und alle Leute gehn nach Haus.
Aus einem späten Abend wurde Nacht auf Klockaregård. Schnaps und Bruderliebe flossen in Strömen, und so wäre es sicher noch eine ganze Weile weitergegangen, wenn der Abstinenzler Benny nicht irgendwann gemerkt hätte, wie spät es schon war. Da setzte er den Festlichkeiten ein Ende und verkündete, es sei höchste Zeit, dass sie alle schlafen gingen. Am nächsten Tag gebe es schließlich eine Menge zu organisieren, und dann sollten sie doch gut ausgeruht sein.
»Wenn ich neugierig wäre, dann würde ich mich wohl fragen, mit was für einer Laune der Kerl aufwachen wird, der uns vorhin ohnmächtig geworden ist«, sagte Allan.
16. KAPITEL 1948–1953
Der Mann, der sich neben ihn auf die Parkbank gesetzt hatte, hatte gerade »Good afternoon, Mr. Karlsson« gesagt, woraus der Angesprochene ein paar Schlüsse zog. Erstens war der Mann offensichtlich kein Schwede, sonst hätte er es wohl zuerst mit Schwedisch probiert. Zweitens wusste er, wer Allan war, denn er hatte ihn ja mit Namen angesprochen.
Nach der gepflegten Erscheinung zu urteilen – grauer Hut mit schwarzem Hutband, grauer Mantel und schwarze Schuhe –, mochte der Mann vielleicht ein Geschäftsmann sein. Er sah nett aus und hatte sicher ein Anliegen. Also erwiderte Allan auf Englisch:
»Steht in meinem Leben wohl wieder eine neue Wendung bevor?«
Der Mann antwortete, das könne er noch nicht sagen, fügte aber freundlich hinzu, es komme ganz auf Herrn Karlsson selbst an. Sein Auftraggeber wünsche jedenfalls, Herrn Karlsson zu treffen, um ihm eine Stelle anzubieten.
Allan meinte, es gehe ihm derzeit zwar ziemlich gut, aber er könne natürlich auch nicht den Rest seines Lebens auf einer Parkbank sitzen. Also erkundigte er sich, ob es wohl zu viel verlangt sei, wenn er nach dem Namen dieses Auftraggebers frage. Er meinte, es sei doch immer viel leichter, etwas anzunehmen oder abzulehnen, wenn man wusste, was man annahm oder ablehnte. Ob der andere nicht derselben Meinung sei?
Da musste ihm der nette Mann absolut zustimmen, doch der betreffende Auftraggeber sei ein wenig eigen und würde sich doch lieber selbst vorstellen.
»Ich bin jedoch bereit, Sie unverzüglich zum betreffenden Auftraggeber zu führen, wenn es Ihnen jetzt passt, Herr Karlsson.«
Das gehe in Ordnung, meinte Allan, woraufhin er erfuhr, dass sie zu diesem Zwecke aber eine kleine Reise unternehmen müssten. Wenn Herr Karlsson seine Wertsachen aus dem Hotelzimmer holen wolle, würde er gerne so lange im Foyer warten, versprach der Mann. Außerdem könnte er ihn auch gleich zum Hotel fahren, denn sein Auto nebst Chauffeur warte ganz in der Nähe.
Es handelte sich um ein todschickes Auto, ein roter Ford Coupé, natürlich das allerneueste Modell. Und ein Privatchauffeur! Schweigsamer Typ freilich. Der sah bei Weitem nicht so nett aus wie der nette Mann.
»Das mit dem Hotelzimmer können wir uns auch sparen«, sagte Allan. »Ich bin es gewöhnt, mit leichtem Gepäck zu reisen.«
»Abgemacht«, erwiderte der nette Mann und klopfte dem Fahrer auf die Schulter, um ihm das Signal zum Losfahren zu geben.
Die Fahrt ging nach Dalarö, eine gute Stunde südwärts auf gewundenen Straßen. Allan und der nette Mann unterhielten sich unterdessen über dies und das. Während der Mann ihm die unendliche Größe der Oper erläuterte, erzählte Allan, wie man den Himalaya überquert, ohne zu erfrieren.
Die Sonne war bereits untergegangen, als das rote Coupé in der kleinen Gemeinde ankam, die im Sommer so beliebt bei den Schärentouristen war – und im Winter dafür so dunkel und still, dass man sich nichts Dunkleres oder Stilleres hätte vorstellen können.
»Hier wohnt Ihr Auftraggeber also«, sagte Allan.
»Nicht wirklich«, erwiderte der nette Mann.
Der überhaupt nicht so nette Fahrer des netten Mannes verließ die beiden schweigend kurz nach Dalarö-Hafen. Vorher hatte der nette Mann sich noch einen Pelzmantel aus dem Kofferraum geschnappt und ihn Allan netterweise um die Schultern gelegt. Dabei entschuldigte er sich, weil sie jetzt leider einen kleinen Spaziergang durch die Winterkälte unternehmen müssten.
Allan gehörte nicht zu den Menschen, die mit zu hohen Erwartungen (oder zu geringen) an die Geschehnisse herangingen. Was passierte, passierte eben, es lohnte sich einfach nicht, sich schon im Voraus den Kopf darüber zu zerbrechen.
Trotzdem war Allan überrascht, als der nette Mann ihn aus der Ortsmitte von Dalarö weg und hinaus aufs Eis führte – in die absolute Dunkelheit des nächtlichen Schärengartens.
Der nette Mann und Allan marschierten dahin, und manchmal machte der nette Mann eine Taschenlampe an, mit der er in die schwarze Winternacht blinkte, um dann in ihrem Schein seinen Kompass zu kontrollieren, damit sie auch in die richtige Richtung liefen. Während des Ausflugs unterhielt er sich nicht mit Allan, sondern zählte mit lauter Stimme die Schritte – in einer Sprache, die Allan noch nie gehört hatte.
Nachdem sie fünfzehn Minuten zügig geradewegs ins Nichts gestiefelt waren, verkündete der nette Mann, sie seien am Ziel. Ringsum war es stockfinster, abgesehen von einem flackernden Licht auf einer entfernten Insel. Der nette Mann erläuterte, dass dieses Licht in südöstlicher Richtung von Kymmendö kam, einem Ort, der seines Wissens von historischer Bedeutung für die schwedische Literatur sei. Davon wusste Allan nichts, und die Sache wurde auch nicht weiter diskutiert, denn im nächsten Moment gab der Boden unter ihren Füßen nach.
Wahrscheinlich hatte sich der nette Mann verzählt. Oder der Kommandeur des U-Boots hatte nicht so akkurat gearbeitet, wie er sollte. Auf jeden Fall brach das siebenundneunzig Meter lange U-Boot viel zu nahe neben ihnen durchs Eis. Die beiden fielen hintenüber und wären um ein Haar ins eiskalte Wasser geplumpst. Doch es ging noch einmal gut, und wenig später half man Allan hinunter in die Wärme.
»Da sieht man mal wieder, wie sinnvoll es ist, morgens nicht lange herumzuraten, wie der Tag wohl enden wird«, kommentierte Allan. »Ich meine – wie lange hätte ich herumraten müssen, bis ich das hier erraten hätte?«
Nun fand der nette Mann, dass er der Heimlichtuerei ein Ende setzen könne. Er erzählte, er heiße Julij Borissowitsch Popow und arbeite für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Er war weder Politiker noch Mitarbeiter des Militärs, sondern Physiker und war nach Stockholm geschickt worden, um Herrn Karlsson zu überreden, mit ihm nach Moskau zu fahren. Julij Borissowitsch war für diesen Auftrag auserwählt worden, weil man damit gerechnet hatte, auf einen gewissen Widerstand von Herrn Karlssons Seite zu stoßen. Man schätzte, dass Julij Borissowitschs Hintergrund als Physiker das Unternehmen begünstigte, weil Herr Karlsson und Julij Borissowitsch sozusagen dieselbe Sprache sprachen.
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