»Zwei Dinge musst du wissen: Erstens brauchen wir wirklich deine Hilfe, denn wir haben ganz schön was angestellt. Zweitens ist das Geld, das ich dir gerade gegeben habe, deins, und du hast es verdient. Wenn du uns wegschicken willst, dann darfst du das tun, das Geld bleibt auf jeden Fall deins.«
Die Brüder standen im Schein des einzigen noch funktionstüchtigen Scheinwerfers des gelben Busses, direkt vor dem Eingang zu Bosses kleinem Anwesen Klockaregård in der Ebene von Västergötland, knapp zehn Kilometer südwestlich von Falköping. Bosse sammelte seine Gedanken, so gut es ging, und meinte dann, er habe da ein paar Fragen, und ob er die wohl stellen dürfe. Anhand ihrer Antworten versprach er zu entscheiden, wie er es mit seiner Gastfreundschaft halten würde. Benny nickte und versicherte, er würde seinem großen Bruder all seine Fragen wahrheitsgemäß beantworten.
»Dann fangen wir mal an«, sagte Bosse. »Ist das Geld, das du mir gerade gegeben hast, sauber?«
»Nicht im Geringsten«, erwiderte Benny.
»Ist die Polizei hinter euch her?«
»Vermutlich sowohl die Polizei als auch die Diebe«, erwiderte Benny. »Aber vor allem die Diebe.«
»Was ist mit dem Bus hier passiert? Der ist ja total beschädigt.«
»Mit dem haben wir in voller Fahrt einen Dieb gerammt.«
»Ist er gestorben?«
»Nein, leider nicht. Der liegt im Bus mit einer Gehirnerschütterung, gebrochenen Rippen, gebrochenem rechtem Arm und einer beträchtlichen offenen Wunde am rechten Oberschenkel. Sein Zustand ist zwar ernst, aber stabil, wie man immer so schön sagt.«
»Ihr habt ihn mitgebracht?«
»Ja, sieht leider ganz so aus.«
»Was muss ich sonst noch wissen?«
»Tja, vielleicht, dass wir unterwegs noch ein paar andere Diebe umgelegt haben, die Komplizen von dem Halbtoten im Bus. Die wollten alle unbedingt die fünfzig Millionen zurückhaben, die uns in die Hände gefallen sind.«
»Fünfzig Millionen?«
»Fünfzig Millionen. Abzüglich diverser Unkosten. Unter anderem für den Bus hier.«
»Warum fahrt ihr denn überhaupt in einem Bus rum?«
»Wir haben da hinten noch einen Elefanten drin.«
»Einen Elefanten?«
»Sonja heißt sie.«
»Einen Elefanten?«
»Einen asiatischen.«
»Einen Elefanten?«
»Einen Elefanten.«
Bosse schwieg einen Moment. Dann sagte er:
»Ist der Elefant auch gestohlen?«
»Nja nee, das kann man so nicht sagen.«
Bosse schwieg abermals. Dann sagte er:
»Zum Abendbrot gibt’s Grillhähnchen mit Backkartoffeln. Ist das recht?«
»Aber natürlich«, erwiderte Benny.
» Gibt’s auch was zu trinken dazu? «, tönte eine Greisenstimme aus dem Bus.
* * * *
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Leiche in ihrem Autowrack doch noch lebte, befahl Benny Julius, sofort den Verbandskasten zu holen, der hinter dem Fahrersitz im Bus lag. Benny meinte, er wisse durchaus, dass er der Gruppe dadurch neue Schwierigkeiten verursache, aber in seiner Eigenschaft als Beinahe-Arzt habe er auch seine Beinahe-ärztliche-Ethik zu berücksichtigen. Daher sei es ausgeschlossen, den Toten hier einfach verbluten zu lassen.
Zehn Minuten später ging die Reise weiter Richtung Västergötland-Ebene. Der Halbtote war aus seinem Wrack gefriemelt worden, Benny hatte ihn untersucht, die Diagnose gestellt und mit Hilfe des Verbandskastens die entsprechenden Maßnahmen ergriffen. In erster Linie hatte er dafür gesorgt, dass die starke Blutung aus dem Oberschenkel des Halbtoten zum Stillstand kam, und dann den gebrochenen rechten Unterarm stabilisiert.
Allan und Julius mussten nach hinten zu Sonja, damit der Halbtote sich in der Fahrerkabine des Busses hinlegen konnte. Die Schöne Frau setzte sich als Krankenschwester neben ihn, nachdem Benny sich vergewissert hatte, dass Puls und Blutdruck in Ordnung waren. Mit einem wohldosierten Morphinpräparat ermöglichte Benny es dem Halbtoten, trotz seiner Schmerzen einzuschlafen.
Sowie feststand, dass die Freunde in Bosses Heim wirklich willkommen waren, untersuchte Benny den Patienten noch einmal. Der Halbtote schlief immer noch tief und fest seinen Morphinschlaf, und Benny entschied, dass sie ihn vorerst liegen lassen sollten, wo er war.
Dann schloss er sich den anderen in Bosses geräumiger Küche an. Während ihr Gastgeber mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war, berichteten ihm die Freunde von den dramatischen Geschehnissen der letzten Tage. Allan begann, dann übernahm Julius, dann Benny – mit dem einen oder anderen Einwurf von der Schönen Frau – und dann wieder Benny, als es darum ging, wie man den BMW von Bösewicht Nummer drei gerammt hatte.
Obwohl Bosse sich gerade in allen Einzelheiten angehört hatte, wie zwei Menschen ihr Leben gelassen hatten und die Angelegenheit gegen jedes schwedische Gesetz vertuscht worden war, hakte er nur an einer Stelle nach:
»Ich will nur sichergehen, dass ich das richtig verstanden habe … Ihr habt also wirklich einen Elefanten in dem Bus da draußen?«
»Ja, aber morgen früh kommt sie raus«, antwortete die Schöne Frau.
Ansonsten fand Bosse, dass es da nicht viel nachzuhaken gab. Die Gesetze sagen oft das eine, während die Moral einem etwas ganz anderes sagt, meinte er. Er fand, da müsse er sich bloß sein eigenes kleines Unternehmen ansehen, um Beispiele dafür zu finden, wie man die juristische Seite getrost mal ignorieren könne.
»Ungefähr so, wie du unser Erbe gehandhabt hast, nur umgekehrt«, meinte Bosse zu seinem Bruder.
»Aha? Und wer hat noch mal mein neues Motorrad zertrümmert?«, konterte Benny.
»Aber bloß, weil du den Schweißerkurs abgebrochen hast«, sagte Bosse.
»Das hab ich bloß gemacht, weil du mich die ganze Zeit gepiesackt hast«, gab Benny zurück.
Es sah ganz so aus, als hätte Bosse eine Antwort auf Bennys Antwort, worauf Benny auch wieder eine Antwort auf Bosses Antwort gehabt hätte, doch da unterbrach Allan das Gekabbel der Brüder mit der Bemerkung, er sei weit in der Welt herumgekommen, und eines habe er dabei gelernt, nämlich dass die größten und unmöglichsten aller Konflikte immer auf derselben Grundlage beruhten: »Du bist doof, nein, du bist doof, nein, DU bist doof!« Die Lösung lag oft darin, dass man zusammen eine Flasche Schnaps leerte und nach vorn blickte. Doch leider sei Benny ja Abstinenzler. Allan würde sich ja gern bereit erklären, Bennys Part zu übernehmen, doch das sei wahrscheinlich nicht ganz dasselbe.
»Eine Flasche Schnaps würde also den Konflikt zwischen Israel und Palästina lösen?«, fragte Bosse. »Der geht doch zurück bis in biblische Zeiten.«
»Es könnte gut sein, dass man für diesen Konflikt mehr als eine Flasche veranschlagen müsste«, erwiderte Allan. »Aber das Prinzip bleibt dasselbe.«
»Könnte das nicht auch funktionieren, wenn ich was anderes trinke?«, schlug Benny vor. Mit seiner strengen Abstinenzlereinstellung fühlte er sich gerade wie ein Störfaktor des Weltfriedens.
Allan indes war zufrieden mit der Entwicklung der Dinge, denn die Brüder hatten ja tatsächlich aufgehört zu streiten. Das teilte er ihnen auch mit, und er fügte hinzu, der betreffende Schnaps könne nun gern auch zu anderen Zwecken eingesetzt werden als zur Konfliktlösung.
Der Schnaps konnte warten, fand Bosse, denn jetzt war erst mal das Essen fertig. Frisches Grillhähnchen und Ofenkartoffeln, dazu ein Pils für die Erwachsenen und Saft für seinen kleinen Bruder.
Während man sich in der Küche zu Tisch setzte, erwachte Per-Gunnar »Chef« Gerdin aus seinem Dämmer. Er hatte Kopfschmerzen, jeder Atemzug schmerzte, sein einer Arm war offensichtlich gebrochen, denn er steckte in einer Schlinge, und als er sich aus der Fahrerkabine des Busses herabhangelte, begann er aus einer Wunde am rechten Oberschenkel zu bluten. Seltsamerweise hatte er vorher im Handschuhfach seinen Revolver gefunden. Unglaublich, aber es sah ganz so aus, als wären auf dieser Welt alle Menschen außer ihm heillos beschränkt.
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