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Kommissar Göran Aronsson saß im Restaurant des Royal-Corner-Hotels in Växjö und aß Chicken Cordon Bleu . Das Hähnchen, das nicht aus Västergötland stammte, war trocken und fad. Doch Aronsson spülte es mit einer guten Flasche Wein herunter.
Inzwischen hatte der Staatsanwalt bestimmt schon irgendeinem Journalisten etwas zugeflüstert, und morgen würden die Reporter ihnen wieder die Bude einrennen. Staatsanwalt Ranelid hatte selbstverständlich recht, wenn er sagte, dass die Hinweise zum Verbleib des gelben Busses mit dem zerbeulten Kühler nur so hereinfluten würden. Während Aronsson darauf wartete, konnte er genauso gut bleiben, wo er war. Er hatte ja sonst nichts: keine Familie, keine engen Freunde, nicht mal ein vernünftiges Hobby. Wenn diese seltsame Jagd hier erst mal überstanden war, musste er sein Leben dringend mal einer Rundum-Generalüberholung unterziehen.
Kommissar Aronsson beschloss den Abend mit einem Gin Tonic. Während er vor seinem Glas saß, bemitleidete er sich selbst und malte sich aus, wie es wäre, die Dienstwaffe zu ziehen und den Barpianisten zu erschießen. Wenn er stattdessen nüchtern geblieben wäre und über die eine oder andere Information gründlich nachgedacht hätte, hätte die ganze Geschichte sicher auch eine andere Wendung nehmen können.
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In der Redaktion des Expressen gab es am selben Abend noch eine kurze Auseinandersetzung, bevor man sich auf die Schlagzeile für den nächsten Tag einigte. Schließlich entschied der Nachrichtenchef, ein Toter könne Mord, zwei Tote Doppelmord, aber drei Tote noch lange nicht Massenmord sein, wie es manche am Besprechungstisch gern interpretiert hätten. Trotzdem machte die Schlagzeile dann ziemlich was her:
Verschwundener
HUNDERT-
JÄHRIGER
unter Verdacht:
DREIFACH-
MORD?
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Auf Klockaregård war es spät geworden, und die Stimmung war prächtig. Eine vergnügte Anekdote gab die andere. Bosse erzielte einen Lacherfolg, als er die Bibel hervorholte und verkündete, jetzt wolle er ihnen erzählen, wie es dazu gekommen war, dass er einmal unfreiwillig das ganze Buch von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hatte. Allan fragte, welcher teuflischen Folter man Bosse da wohl ausgesetzt habe, doch er lag falsch. Bosse war von niemandem gezwungen worden, vielmehr hatte ihn seine eigene Neugier getrieben.
»So neugierig werde ich bestimmt nie sein«, meinte Allan.
Julius fragte, ob Allan wohl mal aufhören wolle, Bosse ständig zu unterbrechen, damit sie die Geschichte irgendwann auch zu hören kriegten. Allan meinte, das lasse sich einrichten. Bosse fuhr fort:
Vor ein paar Monaten bekam er einen Anruf von einem Bekannten in der Müllverwertungsanlage bei Skövde. Sie hatten sich auf der Trabrennbahn Axevalla kennengelernt, wo sie regelmäßig ihre Träume begraben mussten, wenn sie ihre V75-Kombinationswetten abgaben. Sein Bekannter hatte erfahren, dass Bosses Gewissen leidlich manövrierfähig war und dass er sich immer für neue Methoden interessierte, sein Einkommen aufzubessern.
Nun war bei diesem Bekannten gerade eine Palette mit fünfhundert Kilo Büchern eingetroffen, die verbrannt werden sollten, da sie nicht als Literatur, sondern als Brennmaterial klassifiziert worden waren. Bosses Bekannter wurde neugierig, um was für ausrangierte Literatur es sich da handelte. Also riss er die Verpackungsfolie auf und – stellte fest, dass er eine Bibel in der Hand hatte. (Seine Hoffnungen waren ja in eine ganz andere Richtung gegangen.)
»Aber das war nicht einfach irgend so eine Scheißbibel«, fuhr Bosse fort und ließ ein Exemplar zur Begutachtung herumgehen. »Hier ist die Rede von einer Slimline-Bibel mit echtem Ledereinband, Goldschnitt und allem Pipapo … Und schaut mal hier: Personenverzeichnis, Kartenmaterial in Vierfarbdruck, Register …«
»Das ist ja verteufelt luxuriös«, rief die Schöne Frau beeindruckt.
»Vielleicht nicht unbedingt ›verteufelt‹«, korrigierte Bosse, »aber ich versteh schon, was du meinst.«
Der Bekannte war genauso beeindruckt wie die Freunde, und statt die ganze Pracht zu verbrennen, rief er Bosse an und erbot sich, die Ware herauszuschmuggeln gegen ein Trinkgeld von … sagen wir mal tausend Kronen für die Mühe.
Bosse schlug sofort zu und hatte noch am selben Nachmittag fünfhundert Kilo Bibeln im Stall stehen. Und er konnte beim besten Willen keinen Fehler an den Büchern finden, es machte ihn schier wahnsinnig. Also setzte er sich eines Abends an den Kamin im Wohnzimmer und begann zu lesen, von »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde …« an immer so weiter. Zur Sicherheit legte er seine eigene Konfirmationsbibel zum Abgleichen daneben. Das musste doch ein Fehldruck sein, warum sonst sollte man etwas so Schönes und … Heiliges wegwerfen?
Bosse las und las, einen Abend nach dem andern, das Alte Testament ging über ins Neue, und Bosse las weiter, verglich den Text mit seiner Konfirmationsbibel – und konnte immer noch keinen Fehler finden.
Eines Abends war er dann beim letzten Kapitel angelangt. Der letzten Seite, dem letzten Vers.
Und da war es! Da war der unverzeihliche und unbegreifliche Druckfehler, der den Eigentümer der Bücher die Verbrennung beschließen ließ.
Nun gab Bosse jedem am Tisch ein Exemplar, und alle mussten selbst die letzte Seite aufblättern, um einer nach dem anderen in schallendes Gelächter auszubrechen.
Bosse gab sich damit zufrieden, dass dieser Druckfehler eben dort war, er machte sich nicht die Mühe herauszufinden, wie er dort hingeraten war. Seine Neugier war befriedigt. Obendrein hatte er seit der Schulzeit zum ersten Mal ein ganzes Buch gelesen und war dabei sogar noch ein kleines bisschen religiös geworden. Nicht in dem Maße, dass Bosse Gottes Ansichten zu seinen geschäftlichen Unternehmungen berücksichtigt hätte, auch nicht so sehr, dass der Herr bei der Abfassung von Bosses Steuererklärung zugegen gewesen wäre – aber ansonsten hatte Bosse sein Leben in die Hände des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gelegt. Denn von denen dürfte doch wohl keiner Einwände haben, wenn sich Bosse am Wochenende auf die Marktplätze von Südschweden stellte und Bibeln mit einem kleinen Druckfehler verkaufte? (»Nur 99 Kronen das Stück! Du lieber Gott, was für ein Schnäppchen!«)
Doch wenn Bosse sich die Mühe gemacht hätte, wenn er wider jede Erwartung Klarheit in die Sache gebracht hätte, dann hätte er zu allem anderen seinen Freunden auch noch Folgendes erzählen können:
Ein Schriftsetzer am Stadtrand von Rotterdam durchlitt gerade eine persönliche Krise. Er war vor ein paar Jahren von den Zeugen Jehovas angeworben worden, doch dann warfen sie ihn wieder hinaus, als er entdeckte – und überdies etwas zu laut aussprach –, dass die Versammlung die Wiederkunft Christi für nicht weniger als vierzehn Gelegenheiten zwischen 1799 und 1980 prophezeit – und sage und schreibe vierzehnmal danebengelegen hatte.
Daraufhin wandte sich der Setzer der Pfingstbewegung zu, denn die Lehre von den letzten Dingen sagte ihm zu, er begrüßte den Gedanken, dass Gott das Böse endgültig besiegen, dass Jesus wiederkehren (ein Ereignis, für das die Pfingstkirche aber kein konkretes Datum angab) und dass die meisten Menschen, unter denen der Setzer aufgewachsen war, einschließlich seines Vaters, dereinst in der Hölle schmoren würden.
Doch dann wurde der Mann auch von seiner neuen Gemeinde wieder vor die Tür gesetzt. Der Hintergrund war der, dass die Kollekte eines gesamten Monats auf Abwege geraten war, während sie sich in der Obhut des Setzers befand. Der Mann leugnete hartnäckig, etwas mit dem Verschwinden des Geldes zu tun zu haben. Außerdem gehe es im Christentum doch um Vergebung, oder nicht? Habe er denn eine andere Wahl gehabt, als sein Auto kaputtging und er ein neues brauchte, um seinen Job behalten zu können?
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