Insofern war der Schaden also nicht allzu groß, doch offenbar war die einzige Panzerlimousine des Schahs mit verbrannt. Daher fiel das Treffen des Schahs mit Churchill nicht nur wesentlich kürzer aus als geplant, sondern musste außerdem aus Sicherheitsgründen am Flughafen abgehalten werden.
Trotzdem war es gut, dass der Besuch stattgefunden hatte. Nach den Angaben des Schahs war die Situation unter Kontrolle. Die Explosion im Hauptquartier der Sicherheitspolizei war freilich unangenehm für ihn; bis jetzt konnte man nicht einmal sagen, was die Ursache gewesen war. Damit, dass der Polizeichef dabei umgekommen war, konnte der Schah durchaus leben. Es hatte ja doch ganz so ausgesehen, als hätte der Mann die Dinge nicht mehr richtig im Griff gehabt.
Insgesamt also eine stabile politische Lage. Demnächst würde man den neuen Chef der Geheimpolizei ernennen. Und die Anglo-Iranian Oil Company erwirtschaftete Rekordumsätze. Das Öl machte England und den Iran unglaublich reich. In erster Linie England, um genau zu sein, doch das war schließlich nur recht und billig, denn der Iran steuerte zu dem ganzen Projekt ja nicht mehr als die günstigen Arbeitskräfte bei. Na gut, das Öl natürlich auch.
»Alles in Butter im Iran«, fasste Winston Churchill zusammen, als er den schwedischen Militärattaché begrüßte, der mit ihm zurück nach London flog.
»Freut mich zu hören, dass Sie zufrieden sind, Herr Churchill«, erwiderte Allan. »Und dass es Ihnen offenbar so gut geht.«
* * * *
Via London erreichte Allan schließlich den Flughafen Bromma und betrat zum ersten Mal nach elf Jahren wieder schwedischen Boden. Es war Spätherbst 1947, und das Wetter gab sich entsprechend.
In der Ankunftshalle wartete ein junger Mann auf Allan. Er teilte ihm mit, er sei der Assistent von Ministerpräsident Erlander, und dieser wünsche Herrn Karlsson unverzüglich zu sprechen, wenn es einzurichten sei.
Aber durchaus, meinte Allan und folgte bereitwillig dem Assistenten, der ihn stolz bat, in das nagelneue Regierungsauto zu steigen, einen schwarz glänzenden Volvo PV 444.
»Haben Sie schon einmal so etwas Schickes gesehen?«, fragte der autobegeisterte Assistent. »Vierundvierzig PS!«
»Ich habe letzte Woche einen ganz hübschen weinroten DeSoto gesehen«, erwiderte Allan. »Aber Ihr Wagen ist eindeutig in einem besseren Zustand.«
Die Fahrt ging von Bromma nach Stockholm, und Allan sah sich interessiert um. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass er noch nie in der Hauptstadt gewesen war. Wirklich eine schöne Stadt, überall Wasser und ungesprengte Brücken.
Bei der Staatskanzlei angelangt, wurde Allan durch die Korridore geführt, bis man beim Büro des Ministerpräsidenten war. Der hieß Allan herzlich willkommen mit einem: »Herr Karlsson! Ich habe schon so viel von Ihnen gehört!«, schubste seinen Assistenten aus dem Zimmer und schloss die Tür.
Allan sprach es nicht laut aus, dachte sich aber, dass er für seinen Teil noch überhaupt nichts von Tage Erlander gehört hatte. Er wusste nicht mal, ob der Ministerpräsident eigentlich links oder rechts stand. Mit Sicherheit war es entweder das eine oder das andere, denn eines hatte Allan in seinem Leben ganz sicher gelernt: Die Leute beharrten darauf, entweder so oder so zu denken.
Nun gut, mochte der Ministerpräsident sein, was er mochte. Jetzt wollte sich Allan erst mal anhören, was der Mann ihm zu sagen hatte.
Wie sich herausstellte, hatte Erlander Präsident Truman noch einmal zurückgerufen und sich mit ihm länger über Allan unterhalten. Somit wusste er jetzt alles über …
Doch da verstummte Ministerpräsident Erlander. Er hatte noch nicht ganz ein Amtsjahr hinter sich und musste noch viel lernen. Eines wusste er allerdings jetzt schon, und zwar, dass es in bestimmten Situationen besser war, nichts zu wissen. Oder vielmehr dafür zu sorgen, dass einem keiner nachweisen konnte, was man wusste.
Daher brachte er seinen Satz nicht zu Ende. Was Präsident Truman ihm über Allan Karlsson erzählt hatte, würde für immer unter ihnen bleiben. Also kam der Ministerpräsident lieber gleich zur Sache:
»Wenn ich das recht verstanden habe, haben Sie hier in Schweden nichts, worauf Sie zurückgreifen könnten. Daher habe ich dafür gesorgt, dass Sie eine Entschädigung in bar für die Dienste erhalten, die Sie unserer Nation erwiesen haben … gewissermaßen … Hier haben Sie jedenfalls zehntausend Kronen.«
Dann reichte er ihm ein dickes Kuvert mit Scheinen, und Allan quittierte den Empfang. Schließlich musste alles seine Ordnung haben.
»Ich danke Ihnen sehr, Herr Ministerpräsident. Mit diesem netten Zuschuss kann ich mir ja neue Kleidung leisten und heute Nacht in einem sauberen Hotelbett schlafen. Vielleicht könnte ich mir sogar zum ersten Mal seit August 1945 wieder die Zähne putzen.«
Bevor Allan ihm darlegen konnte, in welchem Zustand sich seine Unterhosen befanden, unterbrach ihn der Ministerpräsident und versicherte ihm, die erhaltene Summe sei selbstverständlich an keinerlei Bedingungen geknüpft. Nichtsdestoweniger wolle er Herrn Karlsson mitteilen, dass in Schweden gerade Kernspaltungsexperimente durchgeführt wurden, und es wäre sehr freundlich, wenn er sich die mal näher ansehen wolle.
In Wirklichkeit war Ministerpräsident Erlander noch ziemlich überfordert mit einer ganzen Reihe äußerst wichtiger Angelegenheiten, die er so plötzlich geerbt hatte, als Per Albins Herz im letzten Herbst einfach stehen blieb. Dazu gehörte auch die Frage, wie Schweden sich zum Thema Atombombe stellen sollte. Der Oberbefehlshaber Jung lag ihm damit in den Ohren, dass das Land sich vor den Kommunisten schützen müsse, denn zwischen Schweden und Stalin hätte man ja gerade mal diesen kleinen Puffer Finnland.
Freilich hatte die Sache zwei Seiten. Einerseits hatte Oberbefehlshaber Jung gerade reich geheiratet, und es war allgemein bekannt, dass er Freitagabend mit dem alten König bei einem Gläschen zusammensaß. Der Sozialdemokrat Erlander konnte den Gedanken nur schwer ertragen, Gustav V. könnte sich auch nur einbilden , noch Einfluss auf die schwedische Sicherheitspolitik zu nehmen.
Andererseits konnte Erlander nicht ausschließen, dass der Oberste Befehlshaber und der König tatsächlich recht hatten. Stalin und den Kommunisten konnte man nicht über den Weg trauen, und wenn sie auf die Idee kamen, ihr Interessengebiet nach Westen auszudehnen, war Schweden wirklich ungemütlich nah.
Das militärische Forschungsinstitut FOA hatte gerade sein gesamtes (begrenztes) Wissen über Kernkraft in die neu gegründete Firma AB Atomenergi gesteckt. Dort saßen die Experten nun und versuchten herauszufinden, was genau in Hiroshima und Nagasaki passiert war. Hinzu kam noch ein eher allgemein gehaltener Auftrag: die Analyse der nuklearen Zukunft aus schwedischer Perspektive . Man sprach es nie offen aus, und das war auch besser so, doch Ministerpräsident Erlander wusste, dass diese vage Formulierung im Klartext lauten musste:
Wie zum Teufel bauen wir selbst eine Atombombe, falls wir mal eine brauchen?
Und jetzt saß ihm die Antwort direkt gegenüber. Tage Erlander wusste das, aber er wusste vor allem, dass er nicht wollte, dass auch andere wussten, dass er es wusste. Politik war nun mal ein Eiertanz.
Daher hatte Ministerpräsident Erlander tags zuvor Kontakt mit Dr. Sigvard Eklund, dem Forschungsleiter der AB Atomenergi, aufgenommen und ihn gebeten, Herrn Karlsson zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen und sich dabei gründlich zu erkundigen, ob dieser dem Unternehmen wohl von Nutzen sein könnte. Vorausgesetzt natürlich, Herr Karlsson sei an einer solchen Tätigkeit interessiert, was der Ministerpräsident gleich am nächsten Tag zu erfahren wünsche.
Dr. Eklund war überhaupt nicht begeistert von dem Gedanken, dass sich der Ministerpräsident in die Personalpolitik des Atomprojekts einmischte. Er argwöhnte nämlich, Allan Karlsson könnte von der Regierung geschickt worden sein, damit man einen sozialdemokratischen Spion vor Ort hatte. Doch er versprach, ihn zu einem Gespräch zu empfangen – obwohl sich der Ministerpräsident seltsamerweise nicht zu den Qualifikationen des Mannes äußern wollte. Erlander wiederholte nur das Wort »sorgfältig«. Dr. Eklund sollte sich sorgfältig nach Herrn Karlssons Hintergrund erkundigen.
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