»Die gute«, bat Allan. »Die schlechte kannst du einfach weglassen.«
In Ordnung, fand Julius und teilte ihm mit, die gute Nachricht sei die, dass in der Küche schon fürs Frühstück gedeckt sei. Es gab Kaffee, Brote mit kaltem Elchbraten und Eier von den Nachbarshühnern.
Dass Allan das noch erleben durfte – ein Frühstück ohne Haferbrei! Das war wahrhaftig eine gute Nachricht. Als er sich an den Küchentisch setzte, spürte er, dass er jetzt auch noch die schlechte Nachricht verkraften konnte.
»Die schlechte Nachricht ist die …«, begann Julius und senkte die Stimme ein wenig. »Die schlechte Nachricht ist die, dass wir gestern in unserem Rausch ganz vergessen haben, die Kühlung wieder auszuschalten.«
»Und?«, fragte Allan.
»Und … na ja, der da drinnen ist jetzt so ziemlich tot.«
Allan kratzte sich bekümmert im Nacken, bevor er beschloss, dass er sich von dieser Schlamperei nicht den Tag verderben lassen wollte.
»Zu dumm«, meinte er. »Aber ich muss schon sagen, das Ei hast du perfekt hingekriegt. Nicht zu hart und nicht zu weich.«
* * * *
Kriminalkommissar Aronsson wachte um acht Uhr morgens auf und stellte fest, dass er schlechte Laune hatte. Wenn ein alter Mann verschwand, ob nun vorsätzlich oder nicht, war das nicht die Art Fall, mit dem sich jemand mit dem beruflichen Profil des Kommissars befassen sollte.
Aronsson duschte, zog sich an und ging ins Erdgeschoss in den Frühstücksraum des Hotels Plevnagården. Dabei lief ihm die Empfangsdame über den Weg, die ihm das Fax in die Hand drückte, das am Vorabend gekommen war, kurz nachdem die Rezeption geschlossen hatte.
Eine Stunde später sah Kommissar Aronsson den Fall schon mit ganz anderen Augen. Im ersten Moment war noch nicht sicher, ob das Fax von der Notrufzentrale der Landespolizei wirklich aussagekräftig war, aber als Aronsson im Reisezentrum bei einem totenblassen Ronny Hulth auftauchte, dauerte es nur ein paar Minuten, bis der Mann zusammenbrach und erzählte, was ihm widerfahren war.
Kurz darauf kam ein Anruf aus Eskilstuna. Die Sörmländer Verkehrsgesellschaft in Flen hatte soeben festgestellt, dass seit gestern Abend ein Bus fehlte. Außerdem solle Aronsson eine gewisse Jessica Björkman anrufen, die Freundin eines Busfahrers, der offenbar entführt, dann aber wieder freigelassen worden war.
Kommissar Aronsson fuhr zurück ins Hotel, um bei einer Tasse Kaffee seine neuesten Erkenntnisse zusammenzufassen. Während er überlegte, notierte er seine Gedanken:
Ein älterer Herr, Allan Karlsson, verlässt sein Zimmer im Altersheim, kurz bevor im Gemeinschaftsraum sein hundertster Geburtstag gefeiert werden soll. Karlsson ist oder war in bemerkenswert guter Verfassung für sein Alter. Dafür gibt es eine Reihe von Beweisen, z.B. die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, aus einem Fenster zu klettern – das heißt natürlich, falls er nicht Hilfe von außen hatte, aber spätere Beobachtungen deuten darauf hin, dass er komplett auf eigene Faust handelte. Des Weiteren bezeugt die Krankenschwester und Heimleiterin Alice Englund: » Allan ist zwar alt, aber er hat es faustdick hinter den Ohren. Der weiß sehr genau, was er tut, das können Sie mir glauben .«
Der Spürhund hat angezeigt, dass Karlsson zunächst eine Weile in einem Stiefmütterchenbeet herumtrampelte, um dann durch die Gemeinde Malmköping zu laufen und irgendwann in den Wartesaal des Reisezentrums, wo er, nach Angaben des Zeugen Ronny Hulth, direkt an Hulths Schalter trat beziehungsweise schlurfte. Dem Beamten fielen Karlssons kleine Schritte auf – und dass Karlsson Pantoffeln statt Schuhe trug.
Hulths weitere Aussage deutet darauf hin, dass Karlsson eher auf der Flucht war und kein bestimmtes Reiseziel im Sinn hatte. Er wollte rasch aus Malmköping verschwinden, Richtung und Fahrtziel schienen von untergeordneter Bedeutung.
Diese Angaben werden von einer Jessica Björkman bestätigt, der Freundin des Busfahrers Lennart Ramnér. Der Fahrer selbst konnte bis jetzt noch nicht vernommen werden, dazu hat er zu viele Schlaftabletten genommen. Doch Frau Björkmans Aussage klingt ganz vernünftig. Karlsson hatte von Ramnér eine Fahrkarte gekauft, indem er eine bestimmte Geldsumme hinlegte, statt ein konkretes Ziel zu nennen. So wurde Byringe Bahnhof aus purem Zufall das Fahrtziel. Es wurde aus purem Zufall das Fahrtziel . Es gab also keinen Grund zu der Annahme, dass dort irgendjemand oder -etwas auf Karlsson wartete.
Doch zu der Geschichte gehört ein weiteres Detail. Der Schalterbeamte Hulth hat zwar nicht gesehen, ob Karlsson tatsächlich einen Koffer entwendet hat, bevor er den Bus nach Byringe bestieg, aber wenig später wusste er Bescheid, weil nämlich ein mutmaßliches Mitglied der kriminellen Organisation Never Again gewalttätig gegen ihn wurde.
In der Erzählung, die Jessica Björkman aus ihrem zugedröhnten Freund herausgekitzelt hat, kam zwar kein Koffer vor, aber das Fax aus der Notrufzentrale bestätigt, dass Karlsson dem Never-Again -Mitglied höchstwahrscheinlich den Koffer gestohlen hat – so unglaublich das auch klingen mag.
Die weitere Erzählung der Freundin sowie das Fax aus Eskilstuna legen die Vermutung nahe, dass zunächst Karlsson in Byringe Bahnhof ausstieg, nämlich um 15.20 Uhr plus minus ein paar Minuten, und ungefähr vier Stunden später das Never-Again -Mitglied, um den Weg mit unbekanntem Ziel fortzusetzen. Ersterer hundert Jahre alt, mit einem Koffer im Schlepptau, Letzterer circa siebzig bis fünfundsiebzig Jahre jünger.
Kommissar Aronsson klappte seinen Notizblock zu und trank den letzten Schluck Kaffee. Es war 10.25 Uhr.
»Auf nach Byringe Bahnhof.«
* * * *
Beim Frühstück ging Julius mit Allan noch einmal durch, was er in den Morgenstunden alles erledigt und überlegt hatte, während sein Gast noch schlief.
Zunächst der Unfall mit dem Kühlraum. Als Julius klar wurde, dass die Temperatur mindestens zehn Stunden unter dem Gefrierpunkt gelegen hatte, bewaffnete er sich vorsichtshalber mit einem Kuhfuß und öffnete die Tür. Er fürchtete sich nicht, denn wenn der junge Mann jetzt noch am Leben sein sollte, hatte er nicht einen Bruchteil der Kraft, die nötig gewesen wäre, um Julius mitsamt seinem Kuhfuß zu überwältigen.
Doch die Vorsichtsmaßnahme hatte sich als überflüssig erwiesen. Der junge Mann saß zusammengekauert auf seiner Kiste. Sein ganzer Körper war mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die kalten Augen starrten ins Leere. Kurz und gut: Er war tot wie ein zerlegter Elch.
Das fand Julius zwar bedauerlich, aber im Grunde auch ganz praktisch. Diesen Hitzkopf hätte man ja ohnehin nicht so ohne Weiteres wieder laufen lassen können. Julius stellte den Kühlgenerator ab und ließ die Tür offen. Tot war der junge Mann sowieso, er musste ja nicht auch noch tiefgefroren sein.
Julius schürte das Feuer im Holzofen in der Küche, damit es warm blieb, und dann zählte er das Geld noch einmal durch. Es waren keine siebenunddreißig Millionen, wie er am Abend zuvor hastig überschlagen hatte. Sondern genau fünfzig Millionen.
Allan lauschte Julius’ Bericht mit Interesse, während er sein Frühstück mit einem so gesegneten Appetit verzehrte wie schon lange nicht mehr. Er sagte kein Wort, bis Julius zum finanziellen Teil kam.
»Na, fünfzig Millionen lassen sich aber auch viel leichter durch zwei teilen. Ganz glatt und gerecht. Wärst du wohl mal so nett, mir das Salz zu reichen?«
Julius tat, worum Allan ihn gebeten hatte, und erwiderte, er hätte auch die siebenunddreißig durch zwei teilen können, wenn nötig, aber er finde nun auch, dass es mit den fünfzig viel leichter sei. Dann wurde er wieder ernst. Er setzte sich gegenüber von Allan an den Küchentisch und erklärte, es sei an der Zeit, den stillgelegten Bahnhof für immer zu verlassen. Der junge Mann im Kühlraum könne zwar keinen Schaden mehr anrichten, aber wer wusste schon, was der auf dem Herweg für Staub aufgewirbelt hatte? Jeden Moment konnten zehn neue junge Männer in der Küche stehen und herumtoben, genauso fuchsteufelswild wie der, der gerade ausgetobt hatte.
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