Als Aronsson nach Malmköping zurückfuhr, klingelte ungefähr auf halber Strecke das Telefon. Es waren die Kollegen von der Notrufzentrale. Ein gewisser Landwirt Tengroth aus Vidkärr hatte sich mit einem interessanten Hinweis gemeldet. Ein bekannter Kleinganove aus der Gegend war vor ein paar Stunden an Tengroths Ackerland vorbeigefahren, auf dem stillgelegten Gleis zwischen Byringe und Åkers Styckebruk, und zwar auf einer Draisine. Außerdem befanden sich auf der Draisine noch ein alter Mann, ein großer Koffer und ein junger Mann mit Sonnenbrille. Es sah so aus, als hätte der junge Mann das Kommando, meinte Bauer Tengroth. Obwohl er keine Schuhe an den Füßen hatte …
»Jetzt kapier ich gar nichts mehr«, sagte Kommissar Aronsson und wendete so hastig, dass die Pantoffeln vom Beifahrersitz in den Fußraum segelten.
* * * *
Nach ein paar hundert Metern nahm Allans ohnehin schon langsames Gehtempo ab. Er beklagte sich nicht, aber Julius merkte, dass dem alten Mann die Knie wirklich wehtun mussten. Da entdeckte er weiter vorn am rechten Straßenrand einen Imbissstand, und er versprach Allan, wenn er sich noch bis dorthin weiterkämpfte, würde Julius ihm ein Würstchen ausgeben, denn das konnte er sich leisten, und ihnen ein neues Transportmittel verschaffen. Allan erwiderte, er habe sich sein Lebtag nicht über irgendwelche lumpigen Schmerzen beklagt und habe auch nicht vor, jetzt damit anzufangen, aber andererseits würde ihm ein Würstchen mit Brot jetzt schon sehr entgegenkommen.
Julius beschleunigte also seine Schritte, und Allan humpelte hinterher. Als er ihn eingeholt hatte, war Julius mit seinem Grillwürstchen schon halb fertig und hatte nebenbei noch ein paar andere Dinge organisiert.
»Allan«, sagte er, »komm her, ich möchte dir Benny vorstellen. Das ist unser neuer Privatchauffeur.«
Benny war der Betreiber der Imbissbude. Er war Mitte fünfzig und hatte noch alle Haare, ja, sogar einen Pferdeschwanz. Innerhalb von zwei Minuten hatte Julius nicht nur ein Würstchen, eine Fanta und Bennys silbernen Mercedes Baujahr ’88 erworben, sondern auch noch Benny selbst als Chauffeur engagiert, und das alles für hunderttausend Kronen.
Allan musterte den Imbissbudenbetreiber, der immer noch hinter seinem Tresen stand.
»Haben wir dich auch gekauft oder nur gemietet?«, erkundigte er sich schließlich.
»Das Auto ist gekauft, der Chauffeur gemietet«, antwortete Benny. »Für zehn Tage erst mal, dann müssen wir neu verhandeln. Eine Wurst ist inklusive. Kann man dich mit einem Bratwürstchen locken?«
Nein, das konnte man nicht. Allan wollte eine ganz normale Bockwurst. Überdies, meinte er, seien hunderttausend ziemlich viel für so ein altes Auto, selbst wenn der Chauffeur inbegriffen war, also hielt er es nur für recht und billig, wenn er auch noch einen Kakao dazubekam.
Darauf ließ Benny sich ohne Weiteres ein. Er würde seinen Kiosk ja gleich ganz verlassen, da kam es auf einen Kakao mehr oder weniger auch nicht an. Außerdem hatte er sowieso nur noch rote Zahlen geschrieben – die Idee mit der Imbissbude bei Åkers Styckebruk war so dumm gewesen, wie er von Anfang an befürchtet hatte.
Wie Benny ihnen ferner mitteilte, hatte er sich schon länger mit dem Gedanken getragen, etwas anderes mit seinem Leben anzufangen, noch bevor passenderweise die beiden Herren aufgetaucht waren. Wenn er auch ganz sicher nicht damit gerechnet hatte, dass er ausgerechnet eine Laufbahn als Privatchauffeur einschlagen würde.
Im Lichte dieser Erzählung schlug Allan Benny vor, doch gleich noch einen ganzen Karton Kakao in den Kofferraum zu stellen. Julius wiederum versprach Benny bei Gelegenheit eine eigene Privatchauffeursmütze, wenn er jetzt nur endlich seine Kochmütze abnahm und sich hinter dem Tresen herausbequemte, denn es wurde höchste Zeit für den Aufbruch.
Benny fand nicht, dass es zu den Aufgaben eines Chauffeurs gehörte, mit seinen Arbeitgebern zu diskutieren, also tat er wie geheißen. Die Kochmütze flog in die Tonne, und der Kakao wanderte in den Kofferraum, zusammen mit ein paar Fantadosen. Doch den Koffer wollte Julius lieber neben sich auf dem Rücksitz haben. Allan durfte vorne sitzen, damit er die Beine bequem ausstrecken konnte.
Und dann setzte sich der erste und einzige Imbissbudenbetreiber von Åkers Styckebruk hinters Steuer des Mercedes, der bis vor wenigen Minuten noch ihm gehört hatte, jetzt aber an die beiden Gentlemen verkauft war, in deren Gesellschaft Benny sich befand.
»Wohin wollen die Herrschaften denn?«, erkundigte sich Benny.
»Wie wäre es mit Richtung Norden?«, fragte Julius.
»Ja, das klingt gut«, sagte Allan. »Oder auch Richtung Süden.«
»Dann sagen wir doch einfach Richtung Süden«, sagte Julius.
»Richtung Süden«, sagte Benny und fuhr los.
Zehn Minuten später traf Kommissar Aronsson in Åker ein. Er brauchte den Schienen nur mit dem Blick zu folgen, da erspähte er auch schon eine alte Draisine direkt hinter dem Industriegelände.
Aber das Gefährt war leer. Die Arbeiter auf dem Werksgelände luden gerade irgendwelche zylindrischen Objekte in Container. Keiner von ihnen hatte die Draisine ankommen sehen. Hingegen waren kurz nach dem Mittagessen zwei ältere Männer in unmittelbarer Nähe spazieren gegangen, vorneweg der eine mit einem großen Koffer, ein Stückchen hinter ihm der andere. Sie waren Richtung Tankstelle und Imbissbude unterwegs gewesen, aber wohin sie dann verschwunden waren, konnte niemand sagen.
Aronsson fragte, ob es wirklich nur zwei Männer gewesen seien, nicht drei? Doch keiner der Arbeiter hatte eine dritte Person bemerkt.
Während Aronsson so zu Tankstelle und Würstchenbude fuhr, dachte er über die neuesten Aussagen nach. Aber die Zusammenhänge waren ihm unbegreiflicher denn je zuvor.
Zuerst hielt er an der Imbissbude. Langsam kriegte er auch Hunger, das passte also ganz gut. Natürlich war der Kiosk geschlossen. In dieser abgelegenen Gegend eine Imbissbude zu betreiben, konnte sich ja auch kaum lohnen, dachte sich Aronsson und fuhr weiter zur Tankstelle. Dort hatte man aber nichts gehört oder gesehen. Immerhin konnte man Aronsson hier ein Würstchen verkaufen, das allerdings nach Benzin schmeckte.
Nach seinem schnellen Mittagessen stattete Aronsson dem ICA-Supermarkt, dem Blumenhändler und dem Immobilienmakler einen Besuch ab. Außerdem blieb er stehen, um sich mit den wenigen Dorfbewohnern zu unterhalten, die zufällig gerade mit ihren Hunden, Kinderwägen oder besseren Hälften unterwegs waren. Doch niemand konnte Angaben zu zwei oder drei Männern mit einem Koffer machen. Die Spur verlor sich einfach irgendwo zwischen dem Stahlwalzwerk und der Statoil-Tankstelle. Kommissar Aronsson beschloss, nach Malmköping zurückzufahren. Immerhin hatte er ein Paar Pantoffeln, die identifiziert werden mussten.
* * * *
Unterwegs rief Kriminalkommissar Göran Aronsson den Polizeipräsidenten an und setzte ihn über den neuesten Stand der Ermittlungen in Kenntnis. Der war ihm dankbar, weil er um 14 Uhr eine Pressekonferenz in Plevnagården abhalten sollte und bis vor Kurzem keine Ahnung gehabt hatte, was er dort überhaupt sagen sollte.
Der Polizeipräsident hatte einen leichten Hang zum Theatralischen, und wenn es sich irgend vermeiden ließ, machte er sich ungern der Tiefstapelei schuldig. Und jetzt hatte Kommissar Andersson ihm den kleinen Finger gereicht, den er für die heutige Show brauchte.
Also trug er auf der Pressekonferenz schön dick auf, bevor Aronsson in Malmköping war und ihn daran hindern konnte (was er ja sowieso nicht geschafft hätte). Der Polizeipräsident verkündete, dass Allan Karlssons Verschwinden sich zu einem mutmaßlichen Entführungsdrama entwickelt hatte, genau wie die Lokalzeitung tags zuvor auf der Titelseite spekuliert hatte. Außerdem habe die Polizei Hinweise, dass Karlsson noch lebte, aber gewissen Unterweltgestalten in die Hände gefallen war.
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