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Wenn ein Journalist einer Boulevardzeitung erst einmal eine Geschichte gefunden hat, gibt es kaum etwas, was ihn bremsen kann. Schon nach wenigen Stunden hatten sich die Reporter von Expressen und Aftonbladet ein weitaus klareres Bild von den Ereignissen gemacht, die der Landespolizeichef auf der Pressekonferenz geschildert hatte. Diesmal hatte der Expressen die Nase vorn, weil sein Reporter den Schalterbeamten Ronny Hulth als Erster in die Finger bekam. Mit dem Versprechen, einen netten Kater für Hulths einsames Katzenmädchen aufzutreiben, konnte der Journalist ihn überreden, mit ins Hotel in Eskilstuna zu kommen und über Nacht dort zu bleiben, womit er dem Zugriff des Aftonbladet schon mal entzogen war. Zunächst hatte Hulth Angst zu reden, denn er entsann sich nur zu gut der Drohungen des jungen Mannes. Aber zum einen versicherte ihm der Journalist, dass Hulth anonym bleiben würde, zum andern beteuerte er ihm, dass er jetzt in Sicherheit war, weil der Biker-Club schließlich wusste, dass ihm die Polizei auf der Spur war.
Doch der Expressen begnügte sich nicht mit Hulth. Auch der Busfahrer ging ihnen ins Netz, die Einwohner von Byringe, der Landwirt aus Vidkärr und diverse Leute aus Åkers Styckebruk. Das gab mehrere dramatische Artikel für die morgige Ausgabe. Die waren zwar gespickt mit falschen Vermutungen, aber unter den gegebenen Umständen hatte der Reporter anständige journalistische Arbeit geleistet.
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Der silberne Mercedes rollte weiter über die Landstraße. Mittlerweile war auch Julius eingenickt. Allan schnarchte vorn, Julius hinten, den Koffer als unbequemes Kissen unter dem Kopf. Unterdessen versuchte Benny die bestmögliche Reiseroute zu finden.
In Mjölby hatte er beschlossen, die E4 zu verlassen und auf der Landstraße 32 Richtung Tranås weiterzufahren. In Tranås hielt er jedoch nicht an, sondern fuhr in südlicher Richtung weiter. Nachdem sie eine Weile durch die Provinz Kronoberg gefahren waren, nahm er wieder eine Abfahrt, mitten hinein in den Wald von Småland. Dort hoffte er eine passende Übernachtungsgelegenheit zu finden.
Allan wachte auf und fragte, ob nicht langsam Schlafenszeit war. Davon wachte Julius auf. Er blickte sich um, sah überall nur Wald und erkundigte sich, wo sie sich befanden.
Benny teilte ihm mit, dass sie ein gutes Stück nördlich von Växjö seien und dass er noch ein wenig nachgedacht habe, während die Herren schliefen.
Er war zu dem Schluss gekommen, dass es aus Sicherheitsgründen das Beste war, sich eine diskrete Bleibe für die Nacht zu suchen. Sie konnten ja nicht wissen, wer schon alles hinter ihnen her war, aber wer einen Koffer mit fünfzig unrechtmäßig erworbenen Millionen entwendet hatte, durfte kaum damit rechnen, dass man ihn in Frieden ließ, wenn er sich nicht auch ein bisschen anstrengte. Deswegen war Benny gerade von der Straße nach Växjö abgefahren, und nun näherten sie sich der bedeutend bescheideneren Gemeinde Rottne. Benny hatte sich vorgestellt, dass sie sich dort nach einem Hotel umsehen sollten.
»Gut gedacht«, lobte Julius. »Andererseits aber auch nicht so gut.«
Dann setzte er ihnen seinen eigenen Gedankengang auseinander. In Rottne würde es bestenfalls ein kleines, heruntergekommenes Hotel geben, zu dem sich kaum jemals ein Mensch verirrte. Wenn dort eines Abends unangekündigt drei Herren auftauchten, würde das mit Sicherheit eine gewisse Aufmerksamkeit im Ort erregen. Da war es doch besser, sich gleich einen Bauernhof oder eine Hütte im Wald zu suchen und den Bewohner mit ein paar Scheinchen dazu zu überreden, ihnen einen Schlafplatz und eine Kleinigkeit zu essen herzurichten.
Benny musste zugeben, dass Julius gute Argumente hatte, und bog daher auf den ersten unscheinbaren Waldweg ab, der von der Straße abging.
Es begann schon zu dämmern, als die drei Männer nach knapp vier kurvenreichen Kilometern einen Briefkasten am Wegesrand entdeckten. »Sjötorp« stand darauf, und daneben zweigte der Zufahrtsweg zu wahrscheinlich ebendiesem Anwesen ab. Und so war es auch. Nach hundert Metern auf einem nicht weniger kurvenreichen Weg tauchte ein Häuschen auf. Es war ein richtiges rotes Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen und einem Obergeschoss. Daneben stand noch ein Kuhstall und ein Stückchen weiter hinten an einem See ein undefinierbares Etwas, das früher wohl mal ein Geräteschuppen gewesen war.
Das Ganze sah bewohnt aus. Benny fuhr also mit dem Mercedes bis vor die Haustür, aus der jetzt eine mitteljunge Frau mit rotem Lockenkopf und einem noch röteren Jogginganzug trat, einen Schäferhund bei Fuß.
Die Reisegesellschaft stieg aus und ging auf die Frau zu. Julius warf einen scheelen Blick auf den Hund, der aber nicht allzu angriffslustig aussah. Vielmehr blickte er den Gästen neugierig, fast schon freundlich entgegen.
Daher wagte Julius auch, das Tier aus den Augen zu lassen und sich der Frau zuzuwenden. Höflich wünschte er ihr einen guten Abend und brachte das Ansinnen der Gruppe vor, hier eine Schlafstelle und vielleicht einen Happen zu essen zu finden.
Die Frau betrachtete das kunterbunte Trüppchen: ein Alter, ein Halbalter und ein … eigentlich ganz schicker Mann, wie sie zugeben musste. Sogar im richtigen Alter. Und mit Pferdeschwanz! Sie lächelte in sich hinein, und Julius glaubte schon, dass sie grünes Licht geben würde. Aber dann sagte sie:
» Verdammt , das ist hier doch kein Hotel!«
Oje, dachte Allan. Er sehnte sich wirklich ganz schrecklich nach einer Mahlzeit und einem Bett. Das Leben war kräftezehrend, seit er beschlossen hatte, noch etwas damit weiterzumachen. Man mochte über das Altersheim ja sagen, was man wollte, aber dort bekam man wenigstens keinen Ganzkörpermuskelkater.
Julius schaute auch ganz traurig drein. Er gab zu bedenken, dass seine Freunde und er sich verfahren hatten und schrecklich müde waren und dass sie selbstverständlich bereit waren, einen Obolus zu entrichten, wenn sie ihnen gestatten wollte, über Nacht zu bleiben. Notfalls würden sie eben auf die Mahlzeit verzichten.
»Sie bekommen tausend Kronen pro Person, wenn Sie uns einen Schlafplatz überlassen«, setzte er nach.
»Tausend Kronen?«, staunte die Frau. »Sind Sie etwa auf der Flucht?«
Julius schmetterte die treffsichere Frage ab und wiederholte, dass sie eine weite Reise hinter sich hätten, dass er für seinen Teil wohl auch noch ein Stückchen weiterfahren könnte, dass aber Allan wirklich schon zu alt für solche Strapazen sei.
»Ich bin gestern hundert geworden«, merkte Allan mit brüchiger Stimme an.
»Hundert?«, sagte die Frau fast erschrocken. » Ja, hau mir ab! «
Dann schwieg sie einen Moment und schien über die Sache nachzudenken.
»Ach, scheiß drauf «, meinte sie schließlich. »Von mir aus können Sie bleiben. Aber vergessen Sie Ihre dreitausend Kronen. Wie gesagt, ich führ hier kein Hotel, verdammt .«
Benny musterte sie bewundernd. Noch nie hatte er eine Frau innerhalb so kurzer Zeit so viel fluchen hören. In seinen Ohren klang das absolut bezaubernd.
»Wie ist es, schöne Frau«, mischte er sich ein, »darf man den Hund streicheln?«
»Schöne Frau?«, echote sie. »Sind Sie blind, oder was? Aber scheißegal , von mir aus streicheln Sie ihn ruhig. Buster ist ganz brav. Na, meinetwegen können Sie jeder ein Zimmer im ersten Stock haben, hier ist jede Menge Platz. Die Betten sind frisch bezogen, aber Vorsicht, auf dem Boden ist Rattengift ausgelegt. In einer Stunde gibt’s Essen.«
Sie ging an den Gästen vorbei zum Stall. Buster trottete ergeben rechts neben ihr her. Als Benny ihr nachrief, ob die schöne Frau denn auch einen Namen habe, antwortete sie, ohne sich umzudrehen, sie heiße Gunilla, finde aber, dass »schöne Frau« gut klinge, also könne er sie verdammt noch mal ruhig weiter so nennen. Benny versprach es.
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