In Baku standen am Pier rüstige Soldaten mit hohen Fellmützen. Iljas Beg salutierte mit dem Degen, und der türkische Oberst hielt eine Ansprache, in der er sich bemühte, das weiche Stambul-Türkisch den rohen Klängen unseres heimatlichen Dialektes anzupassen. Wir zogen in unser verwüstetes, ausgeraubtes Haus, und für Tage und Wochen verwandelte sich Nino in eine Hausfrau. Sie verhandelte mit den Zimmerleuten, durchstöberte Möbelgeschäfte und rechnete mit sorgenvollem Gesicht die Längen und Breiten unserer Zimmer aus. Sie führte geheimnisvolle Unterredungen mit Architekten, und eines Tages füllte sich das Haus mit dem Lärm der Arbeiter und dem Geruch von Farbe, Holz und Mörtel.
Inmitten dieses häuslichen Durcheinanders stand Nino, strahlend und ihrer Verantwortung bewußt, denn sie hatte freie Hand bei der Auswahl der Möbel, Stilarten und Tapeten gehabt.
Abends berichtete sie beschämt und glückselig:
»Zürne nicht deiner Nino, Ali Khan. Ich habe Betten bestellt, richtige Betten statt Diwans. Die Tapeten werden hell sein, und die Teppiche werden den Boden bedecken. Das Kinderzimmer wird weiß gestrichen. Es soll alles ganz anders werden als im persischen Harem.«
Sie umschlang meinen Hals und rieb ihr Gesicht an meiner Wange, denn sie hatte ein schlechtes Gewissen. Dann drehte sie den Kopf zur Seite, die schmale Zunge glitt über ihre Lippen und versuchte angestrengt die Nasenspitze zu erreichen. So tat sie immer vor schweren Lebensaufgaben, Prüfungen, Ärztebesuchen oder Beerdigungen. Ich dachte an das Fest des Jünglings Hussein und ließ sie gewähren, obwohl es ein schmerzlicher Gedanke war, die Teppiche mit Füßen treten zu müssen und an europäischen Tischen zu sitzen. Mir verblieb nur das flache Dach mit dem Blick auf die Wüste. Einen Umbau des Daches hatte Nino nicht vorgeschlagen.
Kalk, Staub und Lärm erfüllten das Haus. Ich saß auf dem Dach mit meinem Vater, hielt den Kopf zur Seite geneigt, ließ genau wie Nino die Zunge um die Lippen gleiten und hatte schuldbewußte Augen. In den Blicken des Vaters lag Spott.
»Nichts zu machen, Ali Khan. Haushalt ist der Bereich der Frau. Nino hat sich in Persien gut gehalten, obwohl es ihr nicht leichtfiel. Jetzt bist du an der Reihe. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe: Baku ist Europa geworden. Für immer! Das kühle Dunkel der verschlossenen Zimmer und die roten Teppiche an der Wand gehören nach Persien.«
»Und du, Vater?«
»Auch ich gehöre nach Persien, und ich fahre hin, so bald ich dein Kind gesehen habe. Ich werde in Schimran in unserem Hause wohnen und warten, bis auch dort weiße Tapeten und Betten eingeführt werden.«
»Ich muß hierbleiben, Vater.«
Er nickte ernst.
»Ich weiß. Du liebst diese Stadt, und Nino liebt Europa. Mich aber stört die neue Fahne, der Lärm des neuen Staates und der Geruch der Gottlosigkeit, der über unserer Stadt hängt.«
Er blickte ruhig vor sich hin und glich plötzlich seinem Bruder Assad es Saltaneh.
»Ich bin ein alter Mann, Ali Khan. Das Neue ist mir zuwider. Du mußt hierbleiben. Du bist jung und mutig, und das Land Aserbaidschan wird dich brauchen.«
In der Dämmerung wanderte ich durch die Straßen meiner Stadt. Türkische Patrouillen standen an den Ecken, hart und stramm, mit gedankenlosen Blicken. Ich sprach mit den Offizieren, und sie erzählten von den Moscheen Stambuls und den Sommerabenden von Tatlysu. Am alten Gouverneursgebäude flatterte die Fahne des neuen Staates, und in der Schule war das Parlament untergebracht. Die alte Stadt schien in ein maskenballartiges Leben getaucht. Der Rechtsanwalt Feth Ali Khan war Premierminister und erließ Gesetze, Verordnungen und Befehle. Mirza Assadullah, der Bruder jenes Assadullah, der alle Russen in der Stadt umbringen wollte, war Außenminister und schloß Verträge mit den Nachbarländern ab. Das ungewohnte Gefühl der staatlichen Selbständigkeit riß mich mit, und ich liebte plötzlich die neuen Wappen, Uniformen, Ämter und Gesetze. Zum erstenmal war ich wirklich zu Hause in meinem eigenen Land. Die Russen schlichen schüchtern an mir vorbei, und meine ehemaligen ‘Schullehrer grüßten mich ehrerbietig.
Abends wurden im Klub einheimische Weisen gespielt, man durfte die Mützen aufbehalten, und Iljas Beg und ich bewirteten die türkischen Offiziere, die von der Front kamen und zur Front zogen. Sie erzählten von der Belagerung Bagdads und von dem Feldzug durch die Sinaiwüste. Sie kannten die Sanddünen Tripolitaniens, die kotigen Wege Galiziens und die Schneestürme in den armenischen Bergen. Sie tranken Sekt, ungeachtet der Gebote des Propheten, und sprachen von Enver und dem kommenden Reiche Turan, in dem alle Menschen türkischen Blutes vereint sein sollten. Ich hing an ihrem Munde voller Staunen und Hingabe, denn das Ganze war unwirklich und schattenhaft, wie ein schöner, unvergeßlicher Traum. Am Tage ertönte in den Straßen der Stadt Militärmusik. Der Pascha, hoch zu Roß, mit sternbedeckter Brust, ritt die Front ab und grüßte die neue Fahne. Stolz und Dankbarkeit erfüllten uns, wir vergaßen alle Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten und wären bereit gewesen, die sehnige Hand des Paschas zu küssen und für den osmanischen Kalifen zu sterben. Nur Seyd Mustafa stand abseits, und in seinem Gesicht lagen Haß und Verachtung. Zwischen den Sternen und Halbmonden, die die Brust des Paschas bedeckten, entdeckte er ein bulgarisches Militärkreuz und grollte dem Symbol des fremden Glaubens an der Brust eines Muslims.
Nach der Parade saßen Iljas, Seyd und ich an der Strandpromenade, herbstliches Laub fiel von den Bäumen, und meine Freunde stritten erbittert über die Grundsätze des neuen Staates. Aus den Feldzügen und den Kämpfen bei Gandscha, aus den Gesprächen mit jungtürkischen Offizieren, aus den Erfahrungen des Krieges gewann Iljas Beg die feste Überzeugung, daß nur rascheste europäische Reformen unser Land vor einer neuen russischen Invasion schützen könnten.
»Man kann Festungen bauen, Reformen einführen und Straßen ziehen und dennoch ein guter Mohammedaner bleiben«, rief er pathetisch.
Der Seyd runzelte die Stirn und hatte müde Augen.
»Geh einen Schritt weiter, Iljas Beg«, meinte er kühl, »sag, man kann Wein trinken, Schweinefleisch essen und dennoch ein guter Mohammedaner bleiben. Denn die Europäer haben schon längst entdeckt, daß Wein gesund und Schweinefleisch nahrhaft ist. Natürlich kann man dennoch ein guter Mohammedaner sein, nur wird der Erzengel an der Schwelle des Paradieses es nicht glauben wollen.«
Iljas lachte.
»Zwischen Exerzieren und Schweinefleischessen ist noch ein gewaltiger Unterschied.«
»Aber nicht zwischen Schweinefleischessen und Weintrinken. Die türkischen Offiziere trinken öffentlich Sekt und tragen Kreuze an der Brust.«
»Seyd«, fragte ich, »kann man ein guter Mohammedaner sein und auf Betten schlafen und mit Messer und Gabel essen?«
Der Seyd lächelte fast zärtlich.
»Du wirst immer ein guter Mohammedaner bleiben. Ich habe dich am Tage des Moharrem gesehen.«
Ich schwieg. Iljas Beg schob seine Militärmütze zurecht.
»Ist es wahr, daß du ein europäisches Haus bekommst, mit modernen Möbeln und hellen Tapeten?«
»Ja, das ist wahr, Iljas Beg.«
»Das ist gut«, sagte er entschieden, »wir sind jetzt eine Hauptstadt. Fremde Gesandte werden ins Land kommen. Wir brauchen Häuser, in denen wir sie empfangen können, und wir brauchen Damen, die sich mit den Damen der Diplomaten unterhalten können. Du hast die richtige Frau, Ali Khan, und du bekommst das richtige Haus. Du solltest im Außenministerium arbeiten.«
Ich lachte.
»Iljas Beg, du beurteilst meine Frau, mein Haus und mich, als wären wir Pferde, die zum Rennen der internationalen Verständigung starten sollen. Du glaubst, daß ich mein Haus nur im Hinblick auf unsere internationalen Interessen umbauen lasse.«
Читать дальше