Ich schüttelte den Kopf. Sollte ich nach einem Durchsuchungsbefehl fragen und einen Anwalt anrufen?
Er stand auf.
»Ach so, ich möchte auch einen Blick ins Bad werfen.«
Ich ging mit ihm. Zuerst begab er sich ans Schuhregal, das er, ohne zu fragen, im Schlafzimmer fand. Der Hund knurrte ihn böse an. Er prüfte mehrere Paare und sagte vorwurfsvoll:
»Größe einundvierzig, bei neununddreißig würden Sie sich arg quälen!«
Am Kleiderschrank hielt er sich nicht sehr lange auf.
Darauf ging er ins Bad. Ich folgte. Er zog die weißen Resopalschubladen der kleinen Kommode auf und kontrollierte das Funktionieren meines Föns.
»Machen Sie mal den Medizinschrank auf!« befahl er wie ein Zöllner. Ich stand außerdem näher dran als er. Seine Augen glitten hurtig über meine Pillen- und Kosmetikvorräte.
»Und was ist da drin?« er deutete auf die Kulturtasche, die oben darauf lag.
»Ausrangierte Lockenwickler«, sagte ich.
Mit einer Kopfbewegung kommandierte er: »Runterholen, aufmachen«, gleichzeitig ging er selbst auf die Knie und öffnete die Klapptür unter dem Waschbecken, hinter der ein Eimer mit Scheuerpulver und Putzlappen stand. Ich riß den Revolver aus der Tasche und schoß ihm aus nächster Nähe direkt in die linke Schläfe, er hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich nach mir umzudrehen.
Da lag er mit einem Loch im Kopf, Blut lief auf den Badevorleger, der Schuß dröhnte mir im Ohr. Er hatte sicher nach Scarletts Lockenstab gesucht, er hatte mein Sektglas eingesteckt, und er hätte am Ende noch herausbekommen, daß ich das Grillhähnchen bei meinem Metzger gekauft hatte.
Ich saß benommen und verstört auf dem Badewannenrand (wie schon einmal) und starrte das Blut an. Das schwerhörige Ehepaar unter mir hatte den Schuß wahrscheinlich nicht registriert, aber meine Nachbarin um so sicherer. Ich lief auf den Flur und lauschte, aber das stets dudelnde Radio war nicht zu hören, kein Licht schien durch die milchige Glasscheibe der Tür.
Was sollte ich jetzt machen? Ich nahm als erstes das Glas wieder an mich, dann wischte ich Blut weg und betäubte mich mit dieser anstrengenden Arbeit in gebückter Haltung.
Plötzlich mußte ich erbrechen. Ich verfehlte das Klo, und der Anblick und Geruch von Blut, Tod und säuerlichem Mageninhalt ließ mich in die Knie gehen. Ich verließ taumelnd mein kleines, sonst immer pieksauberes Bad und ließ mich im Wohnzimmer aufs Sofa gleiten. In den Schläfen pochte es, das Herz schlug wie ein Preßlufthammer, gleichzeitig trat mir eiskalter Schweiß auf die Stirn. Ein Kreislaufkollaps, ich wußte es. Gnädigerweise verstand es die Natur in Krisenmomenten, den gebeutelten Menschenkopf kurzfristig durch Ohnmacht abzustellen. Aber ich tauchte wohl nur sekundenlang weg. Bald waren Angst und Verstand wieder voll da. Das da im Bad muß verschwinden! sagten sie.
Nach einigen Minuten wählte ich mit zitternden Fingern Witolds Nummer, ich vertat mich zweimal. Er war gleich dran und merkte an meiner tonlosen Stimme sofort, daß eine Katastrophe eingetreten war.
»Was ist, sag doch!« schrie er beinahe.
»Komm sofort«, konnte ich eben noch sagen und auflegen.
Dann sank ich wieder aufs Sofa und fühlte, daß ich nun mit akutem Durchfall rechnen mußte. Es war grauenhaft, das Bad wieder zu betreten, aber es ging nicht anders.
Ich öffnete kurz darauf die Tür für Witold, der mich mit einem ahnenden Entsetzen anstarrte. Ich sah wohl selbst aus wie eine Leiche. Aus dem Schlafzimmer hörte man den Hund wolfsartig heulen.
Er schüttelte mich an den Schultern.
»Nun sag doch!« schrie er, selbst in Panik.
»Ich mußte ihn umbringen!« stieß ich hervor.
»Wen?«
»Den Polizisten.«
Witold glaubte mir nicht.
»Warum, wo ist er, nun dreh mal nicht durch«, er drückte mich aufs Sofa. Auf einmal sah er Blut auf meinem grauen Pullover. Er machte sich eine Zigarette an.
»Ganz ruhig, Thyra«, sagte er, wobei er nun selber zum Nervenbündel wurde, »ganz ruhig. Nun sag mal langsam und vernünftig, was passiert ist.«
»Ich habe ihn umgebracht«, ich konnte es kaum sagen, meine Zähne klapperten.
»Wo denn?« Witold regte sich schrecklich auf.
»Im Bad.«
Er rannte im Glauben hinaus, mich über die Ausgeburten meiner hysterischen Phantasie aufklären zu können. Nach unendlich langer Zeit, wie mir schien, kam er zurück. Er rauchte, ging aufs Telefon zu.
»Witold, er wollte dich verhaften«, sagte ich, »ich mußte es tun.«
»Mich, warum?« Witold blieb zögernd vorm Telefon stehen.
»Er wußte, daß du mit Scarlett zusammen gewesen bist, weil eine Kellnerin meinte, euch im Garten gesehen zu haben.«
Witold starrte mich mit offenem Mund an.
»Das wäre wirklich kein Grund für eine Verhaftung«, fand er.
»Außerdem hat er aus mir herausgequetscht, daß du den Schuß auf Hilke abgefeuert hast; ich kann so schlecht lügen«, log ich.
Witold überlegte offensichtlich, ob er einen Psychiater oder die Polizei anrufen sollte.
»Warum hast du eigentlich den Wahn, mich vor dem Fallbeil retten zu müssen?« fragte er mich streng, aber doch in einer fernen Kammer seines Herzens gerührt, daß ich seinetwegen diesen Polizistenmord begangen hatte.
»Ich habe dich vom ersten Blick an geliebt«, flüsterte ich.
Witold war sichtlich bestürzt. Nun stand er vor der schrecklichen Aufgabe, mich, die ihn liebte und schützen wollte, an die Justiz oder die Nervenheilanstalt auszuliefern.
»Was soll ich denn machen?« fragte er mich und sich, »womit hast du ihn überhaupt erschossen? Etwa mit dem gleichen Revolver wie Hilke…?«
Ich nickte. Dann murmelte ich erklärend: »Wahrscheinlich habe ich ihn aufgehoben, um mich selbst damit umzubringen.
Das Leben hat keinen Sinn für mich, weil du mich niemals lieben wirst.«
Witold konnte nicht gegen seine Natur. Er nahm meine Hand. »Thyra, sag so was nicht! Du weißt, daß ich dich sehr gern mag und dir helfen will.«
Er warf wieder einen abwägenden Blick aufs Telefon.
»Der Hund macht mich wahnsinnig«, schimpfte er, als wieder ein langgezogener Heulton aus dem Schlafzimmer drang. Ich ging hin und ließ den Dieskau heraus. Er begrüßte Witold aufgeregt und wollte zum Badezimmer laufen. Ich hielt ihn zurück.
»War der Polizist mit dem Auto da?« fragte Witold, »wahrscheinlich weiß man auf der Wache, daß er hier ist, und sie werden ihn bald vermissen.«
Er sah auf die Uhr.
»Merkwürdig, daß der Bursche überhaupt so spät noch unterwegs war, es ist ja gleich neun. Bei mir ist er gegen halb acht gegangen.«
Unschlüssig ging er auf und ab.
»Ich seh’ mal in seinen Taschen nach, ob er Wagenschlüssel bei sich hat.«
Witold ging mit Überwindung zurück ins Badezimmer. Er kam mit einer Brieftasche, Schlüsseln, einem Taschentuch und einem Notizblock zurück.
»Ich erinnere mich jetzt, er war bei mir auch mit dem Wagen da, er muß ihn unten stehen haben, ich schau’ mal nach«, sagte er und ging hinunter. Ich hatte die Befürchtung, daß er von einer Telefonzelle aus den Notruf betätigen wollte. Aber Witold kam schnell wieder, einen jungenhaften und verschwörerischen Ausdruck im Gesicht.
»Ich habe den Wagen eine Ecke weiter geparkt, aber es ist gar kein Polizeiauto«, sagte er atemlos, »und nun werden wir überlegen, was weiter zu tun ist.«
Ich hatte inzwischen die Notizen des Toten gelesen, soweit man seine Kürzel und Wortfetzen deuten konnte. Er hatte nach dem Besuch bei Witold geschrieben »R. Hirte aufsuchen.
Verdacht durch Engsterns Aussage — Hühnerbein«. Ich zerriß das Blatt und spülte die Fetzen ins Klo, damit Witold es nicht las. »Man muß die Leiche beseitigen«, schlug ich vor.
»Ganz einfach«, sagte Witold, »nichts leichter als das. Wir nehmen die Leiche und legen sie auf die Straße.«
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