Er blies Rauch in den Lampenschein.
»Wie stellst du dir das eigentlich vor? Da spiele ich nicht mit! Ich kann dir einen Rechtsanwalt empfehlen, ich kann dir Geld leihen, aber ich kann keine Leichen beseitigen!«
Ich hatte auch keine gute Idee. Schließlich wohnte ich mitten in Mannheim, in einem Mehrfamilienhaus in einer belebten Straße. Aber der Tote mußte verschwinden, das war mein größtes Bestreben.
Witold überlegte auch.
»Verheiratet ist er nicht, aber wahrscheinlich hat er eine Freundin, die auf ihn wartet. Vielleicht ruft sie auf der Wache an, wenn er nicht pünktlich kommt.«
Ich fügte hinzu: »Vielleicht ist sie aber auch daran gewöhnt, daß er spät kommt, und außerdem lebt er am Ende allein. Alles ist möglich.«
»Ich rufe jetzt an«, entschloß sich Witold, »Thyra, wir sind doch keine Gangsterbande. Das Unrecht wird schlimmer, je länger wir warten«, er stand wieder auf.
»Ich habe das nur für dich getan«, warnte ich ihn, »wenn sie mich befragen, muß ich auch alles über dich sagen.«
»Es kommt doch sowieso heraus. Es war ein großer Fehler, daß ich versucht habe, mich bei Hilkes Tod auf diese Art aus der Affäre zu ziehen. Thyra, es hat keinen Zweck.«
Ich weinte, aber es schien diesmal nicht den erwarteten Eindruck zu machen. Immerhin hatte er das Telefon bis jetzt noch nicht angerührt.
»Man könnte den Toten in den Keller tragen«, fiel mir plötzlich ein, »sein Auto kann man in eine Einfahrt stellen, wo früher die Kohle abgeladen wurde. Dann könnte man ihn ziemlich unbemerkt in sein Auto legen und wegfahren.«
»Thyra, die Leiche wird auf jeden Fall untersucht, und dann stellt man natürlich fest, daß er mit demselben Revolver getötet wurde wie meine Frau.«
Witold stutzte. Mit Schrecken fiel ihm ein, daß nun der Verdacht durchaus wieder auf ihn fallen könnte.
»Hättest du doch den Revolver weggeworfen!« schrie er mich an.
Ich wurde nun ruhig.
»Wenn er im Auto liegt, fährst du mit ihm zu einem Steinbruch und läßt das Auto runterfallen und explodieren. Ich fahre mit meinem Wagen hinterher und nehme dich wieder mit zurück.«
»Sag mal, wie viele Krimis…« Aber er schien doch über meinen Vorschlag nachzudenken.
»Es geht nicht. Schon auf der Treppe können wir gesehen werden!«
»Wenn wir bis Mitternacht warten, ist es völlig problemlos.
Meine Nachbarin geht früh ins Bett, die Alten unter mir erst recht, das junge Paar ist sowieso verreist…«
»Ich habe Hunger«, sagte Witold unvermutet. Ich wertete das als positives Zeichen.
»Was soll ich dir machen? Käsebrot, Eier?«
»Ja, ein Brot. Von mir aus Brot mit einem Spiegelei darauf.«
Ich ging in die Küche und ließ Butter in der Pfanne heiß werden. Der Geruch verursachte mir einen Magenkrampf.
Doch ich bin zäh, brachte nach fünf Minuten das Gewünschte auf den Tisch und fragte, was Witold trinken wollte. Er hörte nicht hin, schien nachzudenken und mechanisch zu essen.
Nun wagte ich mich noch einmal ins Bad. Ich wischte wieder gründlich auf und betrachtete mir dann den Toten. Die Kopfwunde hatte nicht allzulange geblutet, nur der kleine Frotteeteppich vor der Badewanne war blutgetränkt. Auch das Hirn war nicht ausgetreten oder sonstige schleimige Substanzen.
Der erste Mann, den ich umgebracht hatte! Ich sah ihn mir eingehend an; er war relativ klein, drahtig und sportlich. Hätte er sich nicht in vollkommener Sicherheit gewähnt, wäre mir die Überrumpelung niemals geglückt. Ein wenig spürte ich jetzt Stolz und Erleichterung, wenn auch die Angst und der stets lauernde körperliche Zusammenbruch noch im Vordergrund standen.
Inzwischen hatte Witold aufgegessen. Er hatte es geschafft, daß mein kleines Zimmer schon in kurzer Zeit voller Qualm war. Aber ich verlor kein Wort darüber, da er ernsthaft zu überlegen schien, wie man die Leiche verschwinden lassen könnte.
»Die Idee mit dem Steinbruch ist nicht so übel«, sagte er, »wenn man die Leiche ungesehen ins Auto geschafft hat, ist alles andere gar nicht so problematisch.«
»Man müßte ihn jetzt schon etwas zusammenfalten«, schlug ich vor, »ich weiß nämlich nicht, wie schnell er steif wird.«
Witold ekelte sich bei meinen praktischen Worten, aber es leuchtete ihm ein. Er stand auf, und ich folgte ihm ins Badezimmer.
»Hast du einen großen Müllsack?« fragte er. Meine Müllsäcke waren leider klein, passend für meinen Küchenmülleimer, denn bei mir fielen ja keine Gartenabfälle an. Ich wickelte die blutige Badematte um den Kopf des Toten und stülpte die größte Plastiktüte darüber.
»Ich könnte ja einen Bettbezug nehmen«, schlug ich vor, »wenn uns dann jemand auf der Treppe sehen sollte, sieht es wie ein großer Wäschesack aus.« Witold sagte nur: »Wir probieren es mal.« Ich holte meinen schlechtesten Bezug aus dem Schrank. Gemeinsam brachten wir den Toten in eine zusammengekauerte Stellung, die er ansatzweise schon vorher eingenommen hatte, und schoben ihn in den Bettbezug. Es war ein sehr unhandliches Bündel. Witold hob es probeweise hoch; er konnte dieses Paket zwar tragen, aber wie ein Sack voll Wäsche sah es nicht aus.
»Wir müssen noch etwas warten«, sagte ich, »es ist erst elf, da laufen noch zu viele Leute auf der Straße und vielleicht sogar auf der Treppe herum.«
Der Dieskau kam plötzlich aus dem Wohnzimmer gelaufen und begann unser Wäschepaket ausgiebig zu beschnüffeln. Ich sperrte ihn wieder ins Schlafzimmer, irgendwie schämte ich mich vor dem Hund.
Wir saßen zusammen und berieten.
»Entweder wir nehmen den Steinbruch in Dossenheim oder den in Weinheim«, überlegte Witold. Ich hatte den Verdacht, daß er einen gewissen sportlichen Ehrgeiz entwickelte, diese Aufgabe vorbildlich zu lösen. Pfadfinderträume, am Lagerfeuer singen, mit dem Taschenmesser schnitzen, Spuren auslöschen, Räuber und Gendarm spielen — solche kindlichen Wünsche waren in seinem Herzen nicht verkümmert, sie warteten geradezu darauf, irgendwann in die Tat umgesetzt zu werden.
Dazu kam seine ausgeprägte Ader, den großen Bruder zu spielen, der alle Frauen als kleine Schwester sieht und an die Hand nimmt, sie dazu bringt, ihn zu verehren, sie tröstet und anleitet. Er war genau der richtige Komplize. Abgesehen davon standen seine Moral und Entschlußkraft auf wackligen Füßen; ich war, was die Schnelligkeit einer pragmatischen Entscheidung angeht, ihm weit überlegen.
»Um zwölf hole ich den Wagen wieder her. Du kannst mir ja schon zeigen, wo die Kellereinfahrt ist.«
Ich begleitete Witold nach unten, er besah sich die Stelle, wo er den Wagen hinstellen sollte. Er war zufrieden.
»Wir werden die Leiche auf den Rücksitz legen, nicht in den Kofferraum. Auf dem Weg nach Weinheim werden wir in der Nacht bestimmt nicht aufgehalten. Auf jeden Fall nimm eine alte Decke mit, die wir auf den Toten legen. Hast du einen Reservetank mit Benzin im Auto?«
Nein, natürlich nicht. Und dabei fiel mir ein, daß mein Tank praktisch leer war.
»Dann nimm meinen Wagen«, bestimmte Witold, »es wäre ja ein schlechter Scherz, wenn wir beim Heimfahren steckenblieben, weil kein Benzin mehr im Tank ist.«
Ich fahre ungern mit fremden Autos, aber ich nickte gehorsam. Witold würde mir helfen, da durfte ich keine Zicken machen. Die Zeit verstrich sehr langsam. Der Tote lag ordentlich gebündelt im Bad, die Tür war geschlossen. Der Hund klagte leise. Die Lichter waren bis auf eine kleine Lampe im Wohnzimmer gelöscht. Wenn es schellen sollte, wollte ich nicht öffnen. Eine alte Decke lag bereit. Witold qualmte mir weiter die Bude voll und redete viel dummes Zeug.
Kurz vor zwölf ging er den Wagen holen. Ich war allein und sofort wieder ängstlicher. Als Witold zurückkam, mußte er zuerst eine weitere Zigarette rauchen. Dann sagte er, fast zu forsch: »Packen wir’s an!« Ich schlich in den Flur. Alles war still. Ich winkte Witold, er schulterte das Bündel, ich knipste mein Flurlicht aus. Er ging leise und langsam, die Bürde war schwer. Zweimal mußte er absetzen.
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