Über diese Seite der Angelegenheit hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Wieviel Geld hatte man bei diesen drei Beerdigungen wohl insgesamt ausgegeben?
Wir saßen stumm nebeneinander. Witold rauchte, ich knüllte nervös sein nasses Taschentuch in meinen Händen.
»Die Kinder sind ins Kino gefahren«, sagt er auf einmal beiläufig, »ich war zu müde und hatte auch keine Lust dazu.«
»Die Kinder?« fragte ich.
»Na ja«, erklärte er, »vom Alter her gehört Vivian eher zu meinen Kindern als zu mir. Sie scheint in mir auch weniger den Liebhaber als den Papa zu suchen. Mein Gott, sie hat tausend Probleme, mit denen sie nicht fertig wird.«
Ich hätte gern gewußt, ob sie nun seine feste Freundin war oder nicht. Wie wir beide so traurig nebeneinander hockten, dachte ich, daß wir auch ein Ehepaar sein könnten, das nach dem Besuch seiner Kinder wieder schweigsam zusammensitzt.
Witold schien meine Neugierde in puncto Vivian zu ahnen.
»Ich bin zu alt für dieses Mädchen«, flüsterte er, »schließlich habe ich einen Beruf, auch den Haushalt und den Garten. Ich kann und mag nicht mehr die Nächte durchmachen — ich brauche meinen Schlaf.«
Tausend Gedanken schpssen mir durch den Kopf. Sollte ich ihm meine Liebe gestehen, sollte ich einen Versuch in diese Richtung wagen? Und wenn er dann in einem Anflug von Einsamkeit und Sentimentalität mit mir ins Bett gehen wollte?
Ich überlegte scharf, ob ich das überhaupt anstrebte.
Andererseits — wer nicht wagt, kann auch nicht gewinnen, ein alter Spruch. Ich lehnte mich ein wenig an ihn, ein zaghafter Test des Auslotens. Der Druck wurde nicht erwidert. Er ließ es geschehen, um nicht unhöflich zu sein, trachtete aber danach, sich nach Ablauf einer Toleranzminute durch Bewegung zu entziehen und nach einer weiteren Zigarette zu suchen.
Was sollte ich überhaupt über Möglichkeiten nachgrübeln, wenn sie doch von vornherein zum Scheitern verurteilt waren!
Er wollte mich nicht; nur meine platonische Verehrung tat ihm gut, und um sie zu erhalten, war er auch bereit, sich bei Gelegenheit tröstend und fürsorglich ins Zeug zu legen. Ich stand auf. Er tat es mir sofort nach, ohne mich auch nur mit der geringsten Geste zu weiterem Bleiben zu veranlassen. Wir gingen zur Tür.
»Also merk dir für die Zukunft: Ich bin immer für dich da.
Aber ich möchte nicht, daß jemand in meinem Garten steht und mich heimlich beobachtet. Allein bei diesem Gedanken könnte ich ausrasten!«, aber er lächelte ein wenig, um seinen warnenden Worten die Schärfe zu nehmen, und berührte federleicht mit seinen Lippen meine Wange. Ich verließ ihn.
Frau Römer fuhr nach Amerika. Ich bekam den Hund und fühlte mich durch seine Gegenwart ein wenig getröstet. Ich sprach viel mit ihm, wie es einsame Menschen zu tun pflegen; ich sprach auch mit den Toten, mit Beate, meiner Mutter, sogar mit Scarlett und klärte sie über meine Verwundungen und meine trübe Seelenlage auf.
Eines Abends rief Witold an; ich hatte ihn seit damals, als er mich im Garten gestellt hatte, weder gesehen noch gesprochen.
Im nachhinein war mir die Peinlichkeit dieser Situation immer deutlicher geworden, und ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihn nie wieder zu treffen.
Er sprach ohne lange Prämissen.
»Eben war der Computer-Polizist wieder hier. Ich rufe eigentlich nur an, um dich zu warnen. Es könnte gut sein, daß er auch bei dir noch auftaucht.«
»Gibt es neue Erkenntnisse? Muß ich auf irgend etwas besonders achten?« fragte ich.
»Na ja, wir haben ja schon darüber gesprochen. Du hattest mir zugesagt, nichts über mein nächtliches Treffen mit Scarlett und nichts über deine und meine Beteiligung an Hilkes Tod zu sagen. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Klar, kannst du. Im Fall Hilke beruht das ganz auf Gegenseitigkeit.«
Bereits eine halbe Stunde nach diesem Gespräch war der Ladenburger Kriminalist bei mir. Ich sperrte den maulenden Hund ins Schlafzimmer. Der Mann war höflich und kühl. Er habe einige Fragen, denn es gebe in drei Mordfällen noch ungelöste Probleme, zu denen mir unter Umständen etwas einfallen könne.
Zuerst fragte er mich eingehend über mein Verhältnis zu Beate aus, obgleich doch gerade dieser Fall nicht in seinem Kompetenzbereich lag. Ich sollte überdies präzise schildern, was ich über den Unfall wußte.
»Ich kann doch nur sagen, was in allen Zeitungen stand«, meinte ich.
»Nun, vielleicht doch noch mehr als das. Ich könnte mir denken, daß Ihre Freundin mit Ihnen telefoniert und Ihnen von einem bevorstehenden Picknick erzählt hat. Es ist immerhin möglich, Frau Hirte, daß Sie eine bestimmte Person decken wollen, beispielsweise Herrn Engstern. Immerhin wußten Sie als einzige, daß Ihre Freundin in ihn verliebt war, das scheint sie nämlich sonst keinem verraten zu haben.«
»Ja, das hat sie mir anvertraut. Aber Beate hat keinen Zweifel daran gelassen, daß diese Verliebtheit bisher eine einseitige Angelegenheit war. Wenn sie mit Herrn Engstern eine Verabredung gehabt hätte, hätte sie es mir vielleicht gesagt. Sie hat aber nicht!«
Der Kriminalbeamte sah mich aufmerksam an, er schien noch weitere Zweifel zu haben.
»Der Einkaufszettel Ihrer Freundin lag in ihrem Portemonnaie, der Korb mit den Wochenendeinkäufen stand im Auto. Den Sekt kann sie natürlich von zu Hause mitgenommen haben, aber das Essen stammte nicht von ihr, daß muß jemand anderes mitgebracht haben. Der Metzger, bei dem sie ihren Sauerbraten gekauft hat, verkauft nämlich keine fertig gegrillten Hähnchen. Woher wußten Sie eigentlich, daß Beate Sperber Grillhähnchen gegessen hat?«
»Habe ich das gesagt?« fragte ich.
»Sie haben es zu Herrn Engstern gesagt«, behauptete er, »er sprach nämlich von dieser letzten Mahlzeit, als sei er dabeigewesen. Mit Sektglas und Hühnerbein habe Beate Sperber auf dem Turm gestanden und sei heruntergefallen. Wir haben den Mageninhalt der Toten nicht für die Öffentlichkeit bekanntgegeben, nur über die leere Sektflasche stand etwas in einer Zeitung. Herr Engstern behauptete zuerst, vom Grillhähnchen in der Zeitung gelesen zu haben, aber nach längerem Diskutieren meinte er, Sie hätten davon gesprochen.«
Ich zuckte mit den Schultern. Mir fiel die Szene in Bickelbach ein: Scarlett mit Sekt und Huhn. Das hatte mich damals schockartig an Beate erinnert, und wahrscheinlich hatte ich es Witold gesagt.
»Ich kann mich nicht erinnern«, meinte ich und tat unbefangen. »Falls ich es gesagt haben sollte, kann ich es eigentlich auch nur gelesen oder von einer weiteren Person gehört haben. Beate jedenfalls hat mir über dieses Picknick nichts gesagt.«
Der Beamte ging an meinen Gläserschrank. Zielstrebig suchte er meine fünf kristallenen Sektgläser heraus.
»Ein solches Kristallglas wurde von Ihrer Freundin für den Sekt verwendet. Wo ist Ihr sechstes Glas?«
»Aber ich bitte Sie«, antwortete ich entrüstet, »Gläser gehen immer mal kaputt. Wer hat schon von allen Gläsern die vollständige Zahl.«
»Sie, Frau Hirte«, entgegnete er lakonisch, »hier sehe ich zum Beispiel sechs Sherrygläser, sechs Weingläser und sechs Wassergläser. Bei Ihnen sieht alles fast wie neu aus und äußerst ordentlich.«
Das war ein unverschämter Trick, ich wurde böse.
»Na und? Ich habe keine Familie und wenig Besuch, da werden Geschirr und Gläser naturgemäß nicht viel gebraucht.
Aber Sekt trinke ich auch, wenn ich allein bin, weil ich zu niedrigen Blutdruck habe. Mir ist schon vor langer Zeit ein Glas zersprungen. Wollen Sie mir aus einem fehlenden Sektglas einen Strick drehen?«
Er sagte nichts dazu, sondern betrachtete meine Füße.
»Welche Schuhgröße haben Sie?«
»Neununddreißig«, log ich, sollte er doch nachmessen.
»Ich werde eines Ihrer Gläser mitnehmen, wenn’s geht auch Ihre Fotoalben. Außerdem möchte ich mir Ihren Schuhschrank mal ansehen. Besitzen Sie Turnschuhe?«
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