Ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was dann geschah; ich kann natürlich nicht behaupten, ich sei besessen gewesen, aber gleichzeitig war ich nicht ich selbst. Es war, als wären wir verzaubert, in eine Welt verpflanzt worden, in der ich Chris war und sie mit Chris zusammen war, und wir liebten uns mit einer körperlichen Vertrautheit, die Erica und ich nie zuvor genossen hatten. Ihr Körper verweigerte sich mir nicht mehr; ich sah auf ihre geschlossenen Augen, und ihre geschlossenen Augen sahen auf ihn .
Ich erinnere mich noch immer daran, wie muskulös sie war, was durch ihre Hagerkeit noch stärker zur Geltung kam, und an die beinahe unbelebte Glätte und Kühle ihres Fleischs, wenn sie sich zurückbeugte und mir ihre Brüste darbot. Der Eingang zwischen ihren Beinen war nass und weit, gleichzeitig aber seltsam starr; ich fühlte mich – widerwillig – an eine Wunde erinnert, die unserem Sex trotz der Sanftheit, um die ich mich bemühte, etwas Gewalttätiges gab. Mehr als einmal meinte ich Blut zu riechen, doch als ich mit den Fingern prüfte, ob sie ihre Tage hatte, fand ich sie unbefleckt. Zum Ende hin erschauerte sie – schmerzerfüllt, fast tödlich; auf ihren Schauder folgte meiner.
»Du bist ein freundlicher Mensch«, sagte sie danach, als wir nebeneinanderlagen; »es klingt vielleicht blöd, aber es ist wahr.« Ich hielt sie im Arm und sagte nichts. Ich empfand etwas, was ich nie zuvor und danach empfanden habe, ich erinnere mich noch gut daran: Ich war befriedigt und beschämt zugleich. Meine Befriedigung war mir begreiflich, meine Scham verwirrte mich eher. Vielleicht hatte ich, indem ich in die Haut eines anderen geschlüpft war, mich selbst herabgesetzt, vielleicht war ich in der eigentümlichen Dreiecksgeschichte, deren Teil ich nun war, von der fortgesetzten Dominanz meines toten Rivalen gedemütigt, vielleicht fürchtete ich auch, selbstsüchtig gewesen zu sein, und schon da spürte ich, dass ich Erica zutiefst verletzt hatte. Doch diese letzte Erklärung ist – hoffe ich jedenfalls – unwahrscheinlich; natürlich konnte ich nicht wissen, was ihr in den folgenden Wochen und Monaten widerfahren sollte.
In jener Nacht schlief Erica ohne Medikamente ein; ich blieb wach, auch deshalb, weil ich noch nichts gegessen hatte. Aus Angst, sie zu stören, zögerte ich aufzustehen und zum Kühlschrank zu gehen, doch sie schlief tief, wie ein Kind, und schließlich ging ich doch. Ich aß nur Brot und trank nur Wasser, ein fades Mahl, doch ich aß und trank weiter, bis mein Bauch voll war, und als ich wieder ins Bett ging, war es, als hätte ich eine straff gespannte Trommel umgeschnallt, die mich zwang, mich auf die Seite zu legen.
In dem Dunkel um uns herum und dem ausdruckslosen Umriss Ihres Gesichts ist es kaum zu erkennen, Sir, aber ich vermute, dass Sie mich mit einer gewissen Abscheu betrachten; ich jedenfalls würde Sie so ansehen, wenn Sie mir gerade so etwas erzählt hätten. Aber ich hoffe, Ihr Ekel hat Ihnen nicht den Appetit verdorben, denn ich will gerade den Kellner rufen, damit er unsere Bestellung aufnimmt. Ich kann Ihnen versichern, dass unser Mahl alles andere als fade sein wird – da kommt er auch schon. Hallo!
Irgendetwas, Sir, muss an unserem Kellner sein, das Sie weiterhin beunruhigt. Ich gebe zu, er ist ein einschüchternder Bursche, größer noch als Sie. Doch die Härte seines wettergegerbten Gesichts lässt sich leicht erklären: Er stammt aus unserem gebirgigen Nordwesten, wo das Leben alles andere als einfach ist. Und falls Sie meinen, er habe eine Abneigung gegen Sie, so möchte ich Sie bitten, darüber hinwegzusehen; das Gebiet seines Stammes erstreckt sich zu beiden Seiten unserer Grenze mit dem benachbarten Afghanistan, und er hat unter den Offensiven gelitten, die Ihre Landsleute durchgeführt haben.
Ob er betet, fragen Sie? Nein, Sir, keineswegs! Was er da aufsagt – rhythmisch, formelhaft, aus dem Gedächtnis und aus diesem Grund in der Tat einem Gebet nicht unähnlich –, ist in Wirklichkeit der Versuch, unsere Speisefolge zu übermitteln, ganz so, wie man in Ihrem Land die Tagesgerichte gesagt bekommt. Hier gibt es natürlich keine Tagesgerichte; das hervorragende Haus, dessen Gäste wir heute Abend sind, bereitet aller Wahrscheinlichkeit nach seit vielen Jahren immer die gleichen Gerichte zu. Ich könnte es Ihnen übersetzen, aber vielleicht ist es besser, wenn ich ein paar Köstlichkeiten auswähle, die wir beide uns dann teilen. Wollen Sie mir diese Ehre gewähren? Vielen Dank. So, schon erledigt, und weg ist er.
Ich hatte Ihnen von meiner Unruhe in der Nacht erzählt, als ich schließlich mit Erica schlief – eine Nacht, die, hätten wir eine normalere Beziehung gehabt, eine große Freude hätte sein sollen. Sie ging noch vor Tagesanbruch. Schreckte aus dem Schlaf hoch und wollte trotz meiner Bitten, doch zu bleiben, unbedingt nach Hause. Erneut verging eine ganze Weile, bis ich wieder von ihr hörte; meine Anrufe wurden nicht entgegengenommen, meine Nachrichten nicht beantwortet. Ich hatte meine Lektion gelernt und unterließ weitere Bemühungen, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Doch nachdem zwei Wochen verstrichen waren, versuchte ich es erneut und wurde mit einer Antwort belohnt. Sie entschuldigte sich wie zuvor, dass sie auf diese Weise verschwunden sei, sagte, sie halte es für das Beste, vielleicht für sie, aber ganz gewiss für mich, wenn wir versuchten, einander nicht zu oft zu sehen, und sie entsprach meiner Bitte um ein Treffen. »Aber komm zu mir«, sagte sie, »mir ist nicht nach Weggehen.«
An Ericas Wöhnungstür begrüßte mich ihre Mutter; sie geleitete mich in ein Vorzimmer – in dem zwischen antikem Zierrat auch ein Bonsai und ein Cembalo standen – und sagte: »Ich glaube, wir sollten uns einmal unterhalten. Erica hat Ihnen ihre Geschichte erzählt, oder?« Ich nickte. »Nun, ihr Zustand hat sich wieder verschlechtert. Es ist ernst. Im Moment braucht sie Stabilität. Keine Gefühlsaufwallungen, Sie verstehen? Sie sind ein netter junger Mann, und ich weiß, dass Sie ihr etwas bedeuten. Aber Sie müssen einsehen, dass sie im Augenblick krank ist. Sie braucht einen Freund, einen platonischen.« Sie schaute mich flehend an. »Ich verstehe, Madam«, sagte ich. »Ich will tun, was Ihrer Meinung nach das Beste für sie ist.« »Danke«, sagte sie. Dann lächelte sie und fügte hinzu: »Man versteht sofort, warum sie Sie mag.«
Dieses Gespräch hinterließ einen tiefen Eindruck auf mich, weniger das, was sie sagte – auch wenn mich diese düstere Charakterisierung von Ericas Zustand bestürzte –, sondern vielmehr, wie sie es sagte; die Tonlage von Ericas Mutter war stille Verzweiflung, und das machte mir Angst. Zögernd betrat ich Ericas Zimmer und versuchte mich dagegen zu wappnen, was dort auf mich zukommen würde. Und das war zunächst nicht sonderlich beängstigend: Erica lag auf dem Bett, blass, ja, als hätte sie Fieber, und ihre Haare waren seit einiger Zeit nicht mehr gewaschen worden, doch sie schien guter Laune zu sein. Sie klopfte auf den Platz neben sich und bot mir, als ich mich setzte, ihre Stirn zum Kuss.
Wir unterhielten uns eine Weile, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen und als begegneten wir uns unter völlig normalen Umständen. Ich erzählte ihr von meinem Projekt in New Jersey – von der negativen Reaktion der Angestellten der Kabelfirma auf unsere Anwesenheit, von Jims Ratschlägen – und von den alltäglichen Begebenheiten in meinem Leben, seit sie mich zuletzt gesehen hatte. Sie erzählte mir von ihrem Arzt und ihren Medikamenten, wie sie es ihr erschwerten, sich zu konzentrieren, und wie ihr die Tage so dahingingen, ohne dass sich etwas ereignete. Angesichts der entspannten Art, mit der sie das beschrieb, hätte man es einem Beobachter nachsehen können, wenn er ihren Zustand für nicht ernst gehalten und sie auf dem Wege der Besserung gesehen hätte – bis ich sie nach ihrem Roman fragte.
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