Es war nicht das erste Mal, dass Jim so mit mir redete; ich war mir immer unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Ein Geständnis, das sein Publikum mit einschließt, ist, wie wir beim Kricket sagen, immer ein höllisch schwer zu spielender Ball. Bestreitet man es, kränkt man den Gestehenden, akzeptiert man es, räumt man die eigene Schuld ein. Also sagte ich ziemlich vorsichtig: »Warum haben Sie nicht dazugehört?« Er lächelte – wieder so, als durchschaute er mich mühelos – und antwortete: »Weil ich auf der schlechten Seite aufgewachsen bin. Mein halbes Leben habe ich vor dem Süßigkeitenladen gestanden und hineingeschaut. Und in Amerika hat man, egal, wie arm man ist, durch das Fernsehen einen guten Blick darauf. Aber ich war bettelarm. Mein Vater starb an Brand. Mir entgeht also die Ironie keineswegs, die im Kauf einer Flasche fermentierten Traubensafts für hundert Eier liegt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Ich dachte darüber nach. Wie ich Ihnen schon sagte, bin ich nicht in Armut groß geworden. Allerdings mit der Sehnsucht des armen Jungen, in meinem Fall nicht danach, was meine Familie nie gehabt hatte, sondern was sie gehabt und verloren hatte. Einige meiner Verwandten klammerten sich an fantasierte Erinnerungen wie Obdachlose an ein Lotterielos. Ihr Crack war Nostalgie , wenn Sie so wollen, und meine Kindheit war übersät von den Folgen ihrer Sucht: Schulden, die sie nicht begleichen konnten, Erbstreitereien, hier ein Alkoholiker, da ein Selbstmord.
Darin waren Jim und ich uns tatsächlich ähnlich: Er war außerhalb des Süßigkeitenladens aufgewachsen, ich auf seiner Schwelle, als gerade die Tür geschlossen wurde.
Andere aus dem Team gesellten sich zu uns an die Bar, doch Jim saß, den Arm auf meiner Hockerlehne, in einer Weise da, dass ich das Gefühl hatte, er habe mich buchstäblich unter seine Fittiche genommen. Es war ein gutes Gefühl, und es wurde noch besser, als ich sah, wie das Hotelpersonal auf ihn reagierte; sie hatten Jim als vermögenden Mann identifiziert, und die freundlichen Blicke und die Aufmerksamkeit, die er erhielt, waren ziemlich beeindruckend. Ich war der einzige Nicht-Amerikaner der Gruppe, doch ich vermutete, dass mein Pakistanisein unsichtbar war, verdeckt von meinem Anzug, meinem Spesenkonto und – vor allem – meinen Begleitern.
Und dennoch ... Nein, ich sollte hier einmal innehalten, denn vermutlich werden Sie das, was ich als Nächstes sagen möchte, eher schwer verdaulich finden, und ich möchte Sie warnen, bevor ich fortfahre. Außerdem ist meine Kehle ausgedörrt; die Brise hat sich anscheinend völlig gelegt, und es ist, obwohl es schon dunkel ist, noch immer ziemlich warm. Möchten Sie noch eine Limonade? Nein? Sie sind neugierig, sagen Sie, und möchten, dass ich fortfahre? Nun gut. Ich gebe nur schnell unserem Kellner ein Zeichen, dass er mir noch eine Flasche bringt; da, schon geschehen. Er kommt, und wie er sich beeilt; man könnte meinen, wir wären seine einzigen Kunden! Ah, köstlich: genau das habe ich jetzt gebraucht.
Der folgende Abend sollte unser letzter in Manila sein. Ich war in meinem Zimmer und packte meine Sachen. Ich schaltete den Fernseher an und hielt das, was ich da sah, erst für einen Film. Doch als ich weiterschaute, wurde mir klar, dass es keine Filmszenen waren, sondern die Nachrichten. Ich sah mit an, wie einer – und danach der andere – der Zwillingstürme des World Trade Center in New York einstürzte. Und dann lächelte ich. Ja, so abscheulich es auch klingen mag, meine erste Reaktion war eine bemerkenswerte Freude.
Ihre Abscheu ist nicht zu übersehen; ja, Ihre große Hand hat sich, vielleicht haben Sie das gar nicht gemerkt, zur Faust geballt. Aber bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich kein Soziopath bin; das Leid anderer ist mir nicht gleichgültig. Wenn ich höre, dass bei einem Bekannten eine schwere Krankheit diagnostiziert worden ist, empfinde ich – fast durchweg – einen empathischen Schmerz, ein Stechen in den Nieren, so stark, dass ich scharf die Luft einziehe. Bittet man mich um eine Spende für die Wohlfahrt, komme ich ihr nach, wenigstens soweit es meine bescheidenen Mittel zulassen. Wenn ich Ihnen also sage, dass ich mich über den Mord an Tausenden Unschuldiger freute, dann bin ich dabei selbst tief verblüfft.
Aber in dem Augenblick waren meine Gedanken nicht bei den Opfern des Angriffs – der Tod im Fernsehen bewegt mich immer dann am meisten, wenn er fiktiv ist und Figuren ereilt, mit denen ich über mehrere Episoden hinweg eine Beziehung aufgebaut habe –, nein, mich ergriff die Symbolkraft dessen, die Tatsache, dass jemand Amerika so sichtbar in die Knie gezwungen hatte. Ah, ich sehe, ich verstärke Ihr Missfallen nur noch. Das verstehe ich natürlich; es ist abscheulich, wenn ein Fremder über das Unglück des eigenen Landes Schadenfreude empfindet. Aber auch Sie können von solchen Empfindungen doch nicht vollkommen frei sein. Empfinden Sie keine Freude angesichts der Videoclips, die heute so weit verbreitet sind und in denen amerikanische Geschosse die Gebäude Ihrer Feinde in Schutt und Asche legen?
Aber Sie befänden sich doch im Krieg, meinen Sie? Ja, da haben Sie nicht unrecht. Ich befand mich mit Amerika nicht im Krieg. Ganz und gar nicht: Ich war das Produkt einer amerikanischen Universität, ich bekam ein lukratives amerikanisches Gehalt, ich war in eine Amerikanerin verliebt. Warum wünschte also ein Teil von mir, dass Amerika Schaden zugefügt wurde? Damals wusste ich das noch nicht; ich wusste nur, dass meine Empfindungen für meine Kollegen nicht hinnehmbar sein würden, und ich tat alles, sie vor ihnen zu verbergen. Als mein Team abends dann in Jims Zimmer zusammenkam, gab ich mich ebenso schockiert und gequält, wie ich es auf den Gesichtern um mich herum sah.
Doch als ich sie von ihren Angehörigen sprechen hörte, schweiften meine Gedanken zu Erica, und da brauchte ich dann nicht mehr zu heucheln. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass sich das Sterben auf den begrenzten Raum dessen beschränkte, was später Ground Zero heißen sollte. Ebenso wenig wusste ich, dass Erica zu Hause in Sicherheit war, als die Angriffe stattfanden. Ich war fast erleichtert, dass ich mich um sie sorgte und nicht schlafen konnte; das gestattete mir, die Besorgnis meiner Kollegen zu teilen und mein anfängliches Gefühl der Freude eine Zeitlang zu ignorieren.
Wir konnten Manila mehrere Tage nicht verlassen, da die Flüge gestrichen waren. Am Flughafen wurde ich von bewaffneten Sicherheitsleuten in einen Raum gebracht, wo ich mich bis auf meine Boxershorts ausziehen musste – peinlicherweise hatte ich eine pinkfarbene mit Teddybären darauf angezogen, doch deren Enthüllung entlockte den strengen Mienen der Beamten keine Reaktion –, daher war ich der Letzte, der an Bord unseres Flugzeugs ging. Mein Erscheinen löste bei vielen Mitreisenden besorgte Blicke aus. Auf dem Flug nach New York war mir mein eigenes Gesicht unbehaglich: Ich spürte, dass man mich misstrauisch beobachtete, ich fühlte mich schuldig, daher versuchte ich, so lässig wie möglich zu sein, was natürlich dazu führte, dass ich steif und befangen wurde. Jim, der neben mir saß, fragte mich mehrmals, ob alles in Ordnung sei.
Nach unserer Ankunft wurde ich bei der Passkontrolle von meinen Kollegen getrennt. Sie stellten sich in die Schlange für US-Bürger, ich mich in die für Ausländer. Die stämmige Beamtin, die meinen Pass überprüfte, trug eine Pistole an der Hüfte und beherrschte das Englische schlechter als ich; ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu entwaffnen. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?«, fragte sie mich. »Ich lebe hier«, antwortete ich. »Danach habe ich Sie nicht gefragt, Sir«, sagte sie. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?« Unser Wortwechsel ging so mehrere Minuten lang. Schließlich wurde ich zu einer Untersuchung in einen Raum gebracht, wo ich dann neben einem tätowierten Mann in Handschellen auf einer Metallbank saß. Mein Team wartete nicht auf mich; als ich endlich wieder in der Abfertigungshalle war, hatten sie schon ihr Gepäck geholt und waren gegangen. Folglich fuhr ich an dem Abend sehr allein nach Manhattan.
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