«Und dasselbe gilt für Katz», schien Lalitha zu sagen.
«Moi?»
«Katzen», sagte sie. «C-A-T-S. Jeder liebt sein Kätzchen und lässt es draußen rumlaufen. Ist doch bloß eine Katze — wie viele Vögel kann sie schon töten? Tja, Jahr für Jahr werden in den USA eine Milliarde Singvögel von Hauskatzen und welchen, die verwildert sind, getötet. Es ist einer der Hauptgründe für den Rückgang der Singvogelbestände in Nordamerika. Aber das interessiert kein Schwein, weil eben jeder sein Kätzchen liebt.»
«Daran will keiner denken», sagte Walter. «Jeder will einfach ein normales Leben.»
«Und du sollst uns dabei helfen, die Leute zum Nachdenken zu bewegen», sagte Lalitha. «Über die Überbevölkerung. Wir haben nicht die Mittel, uns für Familienplanung und Frauenbildung im Ausland starkzumachen. Wir sind eine auf Artenschutz ausgerichtete Umweltgruppe. Welche Hebel können wir also ansetzen? Wie kriegen wir Regierungen und NGOs dazu, ihren Einsatz für die Bevölkerungskontrolle zu verfünffachen?»
Katz lächelte Walter an. «Hast du ihr erzählt, dass wir das alles schon mal hatten? Hast du ihr erzählt, was für Songs du mich schreiben lassen wolltest?»
«Nein», sagte Walter. «Aber weißt du noch, was du immer gesagt hast? Du hast gesagt, keiner interessiert sich für deine Songs, weil du nicht berühmt bist.»
«Wir haben dich gegoogelt», sagte Lalitha. «Es gibt da eine sehr eindrucksvolle Liste bekannter Musiker, die sagen, sie bewundern dich und die Traumatics.»
«Die Traumatics sind tot, Schätzchen. Und auch Walnut Surprise ist tot.»
«Hier also der Vorschlag», sagte Walter. «Wie viel du mit deinem Terrassenbau auch verdienst, wir zahlen dir ein Vielfaches davon, egal, wie lange du für uns arbeiten willst. Wir stellen uns eine Art Musik- und Politiksommerfestival vor, vielleicht in West Virginia, mit einem Haufen richtig guter Stars, um damit ein Bewusstsein für Bevölkerungsfragen zu schaffen. Alles ausschließlich auf junge Leute ausgerichtet.»
«Wir sind bereit, im ganzen Land für Studentensommerpraktika zu werben», sagte Lalitha. «Auch in Kanada und Lateinamerika. Mit den Geldern, über die Walter frei verfügen kann, können wir zwanzig bis dreißig Praktika finanzieren. Aber erst müssen wir die Praktika als etwas richtig Cooles darstellen. Als die Sache, die richtig coole junge Leute in diesem Sommer machen.»
«Vin ist hinsichtlich meiner freien Mittel absolut entspannt», sagte Walter. «Solange wir einen Pappelwaldsänger auf unser Infomaterial drucken, habe ich völlig freie Hand.»
«Aber es muss schnell passieren», sagte Lalitha. «Die machen jetzt schon Pläne für den Sommer. Wir müssen sie in den nächsten Wochen erreichen.»
«Als Minimum brauchten wir deinen Namen und dein Image», sagte Walter. «Wenn du ein Video für uns drehen könntest, noch besser. Wenn du uns ein paar Songs schreiben könntest, noch viel besser. Wenn du Jeff Tweedy, Ben Gibbard und Jack White anrufen und Leute auftreiben könntest, die bei dem Festival gratis mitmachen oder es finanziell sponsern würden, das wäre überhaupt das Beste.»
«Toll wäre auch, wenn wir potenziellen Praktikanten sagen könnten, dass sie direkt mit dir zusammenarbeiten würden», sagte Lalitha.
«Allein schon die Zusage irgendeines Minimalkontakts mit denen wäre phantastisch», sagte Walter.
«Wenn wir auf das Plakat schreiben könnten oder so was in der Art», sagte Lalitha.
«Es muss cool werden, und es muss wie ein Virus überspringen», sagte Walter.
Katz ließ dieses Bombardement traurig und distanziert über sich ergehen. Walter und die junge Frau waren unter dem Druck, zu detailversessen über die Kaputtheit der Welt nachzudenken, offenbar zerbrochen. Sie waren von einer Idee gepackt worden und redeten sie nun einander ein. Hatten eine Seifenblase entstehen lassen, die sich von der Wirklichkeit abgekoppelt hatte und sie davontrug. Ihnen schien nicht klar zu sein, dass die Bevölkerung der Welt, in der sie lebten, nur aus zwei Personen bestand.
«Ich weiß nicht, was ich sagen soll», sagte er.
«Sag ja!», sagte Lalitha flackernd.
«Ich bin die nächsten zwei Tage in Houston», sagte Walter, «aber ich schicke dir ein paar Links, und am Dienstag können wir dann weiterreden.»
«Oder sag einfach jetzt gleich ja», sagte Lalitha.
Die hoffnungsfrohe Erwartung der beiden war wie eine unerträglich helle Glühbirne. Katz drehte sich davon weg und sagte: «Ich denke mal drüber nach.»
Auf dem Gehweg vor dem Walker's überzeugte er sich, als er sich von der jungen Frau verabschiedete, dass mit ihrem Unterkörper alles stimmte, aber das war jetzt nicht mehr wichtig, es steigerte nur seine Traurigkeit Walters wegen. Sie wollte nach Brooklyn, um eine Collegefreundin zu besuchen. Da Katz die PATH-Bahn ebenso gut an der Penn Station nehmen konnte, ging er mit Walter Richtung Canal Street. Vor ihnen, in der sich verdichtenden Dämmerung, waren die freundlich leuchtenden Fenster der überbevölkertsten Insel der Welt.
«Gott, wie ich New York liebe», sagte Walter. «An Washington ist etwas grundverkehrt.»
«Hier ist auch jede Menge verkehrt», sagte Katz, während er einer rasenden Mutti-Buggy-Kombi auswich.
«Aber das hier ist wenigstens eine richtige Stadt. Washington ist völlig abstrakt. Es dreht sich um den Zugang zur Macht und sonst gar nichts. Ich meine, es hat bestimmt was, Tür an Tür mit Seinfeld, Tom Wolfe oder Mike Bloomberg zu wohnen, aber mit solchen Leuten Tür an Tür zu wohnen, darum geht es in New York doch überhaupt nicht. In Washington reden die Leute buchstäblich darüber, wie viele Meter ihr Haus von John Kerrys Haus entfernt steht. Und alle Viertel sind so öde, das Einzige, was die Leute antreibt, ist die Nähe zur Macht. Es ist die totale Fetischkultur. Die Leute kriegen so eine Art orgasmisches Beben, wenn sie einem erzählen, sie hätten bei einer Konferenz neben Paul Wolfowitz gesessen oder seien zum Frühstück bei Grover Norquist eingeladen gewesen. Alle sind rund um die Uhr davon besessen, sich in einen Bezug zur Macht zu setzen. Sogar mit der schwarzen Szene läuft etwas schief. In Washington als armer Schwarzer zu leben muss noch entmutigender sein als irgendwo sonst im Land. Da machst du den Leuten nicht mal mehr Angst. Da bist du einer unter ferner liefen.»
«Ich möchte dich daran erinnern, dass die Bad Brains und Ian MacKaye aus Washington kommen.»
«Ja, das war ein seltsamer historischer Zufall.»
«Trotzdem haben wir sie in unserer Jugend bewundert.»
«Gott, wie ich die New Yorker U-Bahn liebe!», sagte Walter, als er Katz nach unten zu dem uringetränkten Uptown-Bahnsteig folgte. «So sollen die Menschen leben. Hohe Dichte! Hohe Effizienz!» Er warf den müden Fahrgästen ein wohlwollendes Lächeln zu.
Katz fand, er sollte sich nach Patty erkundigen, war aber zu feige, ihren Namen auszusprechen. «Und ist das Mädchen eigentlich Single oder was?», sagte er.
«Wer, Lalitha? Nein. Sie hat seit dem College denselben Freund.»
«Und der wohnt auch bei euch?»
«Nein, er ist in Nashville. Er hat in Baltimore Medizin studiert, und jetzt macht er sein praktisches Jahr.»
«Und trotzdem ist sie in Washington geblieben.»
«Sie investiert viel in das Projekt», sagte Walter. «Und ehrlich gesagt, ich glaube, der Freund wird bald abserviert. Er ist ein sehr traditionsbewusster Inder. Als sie nicht mit ihm nach Nashville gegangen ist, hat er einen Riesenanfall gekriegt.»
«Und was hast du ihr geraten?»
«Ich habe versucht, sie dazu zu bewegen, dass sie auf eigenen Beinen steht. Er hätte auch etwas in Washington finden können, wenn er es wirklich gewollt hätte. Und ich habe ihr gesagt, sie muss nicht alles für seine Karriere opfern. Sie und mich verbindet so ein Vater-Tochter-Ding. Ihre Eltern sind konservativ. Ich glaube, sie arbeitet gern für jemanden, der an sie glaubt und sie nicht nur als künftige Frau von irgendwem sieht.»
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