Der Junge wartete in seinem Übungsraum mit einem Apple-Laptop und einer ausgedruckten Liste seiner Fragen, als Katz hereinkam, und kaum war er in der Zimmerwärme, lief ihm die Nase, und seine halb abgefrorenen Hände schmerzten. Zachary deutete auf den Klappstuhl, auf den er sich setzen sollte. «Ich hab mir überlegt», sagte er, «ob du erst einen Song spielst und dann vielleicht noch einen, wenn wir fertig sind.»
«Nein, das mache ich nicht», sagte Katz.
«Nur einen Song. Das wäre echt cool.»
«Stell mir einfach deine Fragen, ja? Das ist auch so schon demütigend genug.»
F: Also, Richard Katz, vor drei Jahren kam Nameless Lake heraus, und vor genau zwei Jahren wurde Walnut Surprise für den Grammy nominiert. Kannst du mir ein bisschen erzählen, wie sich dein Leben seither verändert hat? A: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Du musst mir bessere Fragen stellen.
F: Also, vielleicht kannst du mir dann ein bisschen was über deinen Entschluss sagen, zur körperlichen Arbeit zurückzukehren. Fühlst du dich künstlerisch blockiert?
A: Du musst es wirklich mal anders versuchen.
F: Na gut. Was hältst du von der MP3-Revolution?
A: Ah, Revolution, wow. Toll, wieder mal das Wort «Revolution» zu hören. Toll, dass ein Lied jetzt genauso viel wie eine Packung Kaugummi kostet und genau dieselbe Zeit vorhält, bis es seinen Geschmack verliert und man wieder einen Dollar hinlegen muss. Diese Ära, die irgendwann, gestern, zu Ende ging — du weißt schon, die Ära, als wir so taten, als wäre Rock die Geißel von Konformität und Konsumismus und nicht deren gesalbte Magd — , diese Ära hat mich echt genervt. Ich finde es gut für die Ehrlichkeit von Rock n' Roll und überhaupt gut für das Land, dass wir Bob Dylan und Iggy Pop endlich als das sehen können, was sie wirklich waren: als Hersteller von Wintergreen-Chiclets-Kaugummi.
F: Dann würdest du also sagen, Rock hat sein subversives Element verloren?
A: Ich will sagen, Rock hatte nie ein subversives Element. Er war schon immer Wintergreen-Chiclets, wir haben nur gern so getan, als wäre es anders gewesen. F: Und als Dylan auf E-Gitarre umstieg? A: Wenn du über die graue Vorzeit reden willst, dann doch besser gleich über die Französische Revolution. Weißt du noch, als, ich habe seinen Namen vergessen, na, dieser Rocker, der die «Marseillaise» geschrieben hat, Jean Jacques Sowieso — weißt du noch, als sein Lied 1792 ständig im Radio kam und sich dann plötzlich die Bauern erhoben und die Aristokratie stürzten? Das war ein Lied, das die Welt veränderte. Den Bauern fehlte das Kämpferische. Alles andere hatten sie schon — demütigende Knechtschaft, drückende Armut, unbezahlbare Schulden, grauenhafte Arbeitsbedingungen. Aber ohne ein Lied war das alles nicht doli, Mann. Erst der Sansculotte-Style hat die Welt dann richtig verändert.
F: Und was ist für Richard Katz der nächste Schritt? A: Ich mische in der Politik der Republikaner mit.
F: Haha.
A: Im Ernst. Die Nominierung für den Grammy war eine so unerwartete Ehre, dass ich mich verpflichtet fühle, in diesem entscheidenden Wahljahr das Beste daraus zu machen. Man hat mir die Gelegenheit geboten, am Popmusik-Mainstream teilzuhaben, Kaugummi herzustellen und zu versuchen, Vierzehnjährige davon zu überzeugen, dass Aussehen und Anmutung der Produkte von Apple Computer Hinweise auf das Weltverbesserungsengagement von Apple Computer sind. Denn die Welt zu verbessern ist doch cool, oder? Und Apple Computer muss sich doch viel stärker für eine bessere Welt einsetzen, weil iPods so viel cooler aussehen als andere MP3-Player, weswegen sie auch so viel teurer und mit der Software anderer Unternehmen nicht kompatibel sind, weil, na, eigentlich ist es nicht so recht klar, warum, in einer besseren Welt die allercoolsten Produkte einer winzigen Zahl von Bewohnern dieser besseren Welt die allerobszönsten Profite bringen müssen. An dem Punkt müsstest du dann alles mit ein wenig Abstand und Weitsicht betrachten, damit du erkennst, dass allein schon die Anschaffung eines neuen iPods die Welt verbessert. Und genau das finde ich an der Republikanischen Partei so erfrischend. Sie überlässt dem Einzelnen die Entscheidung, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Es ist doch die Partei der Freiheit, stimmt's? Deshalb verstehe ich auch nicht, warum diese intoleranten christlichen Moralisten so einen großen Einfluss auf die Partei haben. Diese Leute sind total gegen die freie Entscheidung. Einige sogar gegen die Vergötterung des Geldes und materieller Güter. Ich finde, der iPod ist das wahre Gesicht der republikanischen Politik, und ich bin dafür, dass die Musikindustrie hier eine Vorreiterrolle übernimmt und politisch aktiver wird, sich stolz erhebt und laut verkündet: Uns in der Kaugummibranche geht es nicht um soziale Gerechtigkeit, uns geht es nicht um exakte oder objektiv verifizierbare Information, uns geht es nicht um sinnvolle Arbeit, uns geht es nicht um ein einheitliches Paket nationaler Ideale, uns geht es nicht um Weisheit. Es geht uns um die Entscheidung, was WIR hören wollen, und die Freiheit, alles andere zu ignorieren. Es geht uns darum, Leute lächerlich zu machen, die aus Mangel an Manieren nicht so cool wie wir sein wollen. Es geht uns darum, uns alle fünf Minuten ein hirnloses Wohlfühlding zu gönnen. Es geht uns um die gnadenlose Erzwingung und Ausbeutung unseres Rechts auf geistiges Eigentum. Es geht uns darum, Zehnjährige davon zu überzeugen, fünfundzwanzig Dollar für ein cooles kleines iPod-Silikongehäuse auszugeben, dessen Herstellung eine konzessionierte Apple-Computer-Tochter neununddreißig Cent gekostet hat.
F: Jetzt mal im Ernst. Bei der letztjährigen Grammy-Verleihung herrschte eine sehr heftige Antikriegsstimmung. Viele der Nominierten haben sich sehr freimütig geäußert. Glaubst du, erfolgreiche Musiker haben die Verantwortung, ein Vorbild zu sein?
A: Ich ich ich, kaufen kaufen kaufen, Party Party Party. Sitz in deiner eigenen kleinen Welt und schaukle mit geschlossenen Augen. Ich habe gerade versucht zu sagen, dass wir schon jetzt die perfekten republikanischen Vorbilder sind.
F: Wenn das der Fall ist, warum hat es dann letztes Jahr bei der Verleihung einen Zensor gegeben, der dafür sorgte, dass sich niemand gegen den Krieg ausgesprochen hat? Willst du etwa sagen, dass Sheryl Crow Republikanerin ist?
A: Das hoffe ich. Sie kommt so nett rüber, dass ich es schlimm fände, wenn sie Demokratin wäre.
F: Sie hat sich sehr klar gegen den Krieg ausgesprochen.
A: Meinst du denn, George Bush hasst Schwule wirklich? Meinst du, er schert sich persönlich um die Abtreibung? Meinst du, Dick Cheney glaubt tatsächlich, Saddam Hussein hätte den n. September angezettelt? Sheryl Crow ist Kaugummiherstellerin, und das sage ich als einer, der selbst jahrelang Kaugummihersteller war. Derjenige, den es interessiert, was Sheryl Crow über den Irakkrieg denkt, ist derselbe, der sich einen obszön überteuerten MP3-Player kauft, weil Bono Vox Schleichwerbung dafür macht.
F: Aber in einer Gesellschaft ist doch auch Platz für Wortführer, oder? Hat nicht das Amerika der Konzerne versucht, eben das bei der Grammy-Verleihung zu unterdrücken? Die Stimmen potenzieller Wortführer einer Antikriegsbewegung?
A: Soll denn der Vorstandsvorsitzende von Chiclets-Kaugummi Wortführer im Kampf gegen den Zahnverfall sein? Auf dieselben Werbemethoden zurückgreifen, um Kaugummi zu verkaufen und der Welt weiszumachen, dass Kaugummi schädlich ist? Ich weiß, gerade habe ich über Bono gewitzelt, aber der hat mehr Integrität als die ganze übrige Musikwelt zusammen. Wenn du mit dem Verkauf von Chiclets ein Vermögen gemacht hast, kannst du auch überteuerte iPods verkaufen und damit noch reicher werden und dann dein Geld und deinen Status dafür einsetzen, dir Zugang zum Weißen Haus zu verschaffen und zu versuchen, was richtig Gutes in Afrika zu tun. Nach dem Motto: Sei ein Mann, beiß die Zähne zusammen, gib zu, dass du ein Mitglied der herrschenden Klasse bist und dass du an die herrschende Klasse glaubst und dass du alles Nötige dafür tust, um deine Position darin zu festigen.
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