«Weinen tut gut», sagte Richard, «obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich es je ausprobiert hätte.»
«Es ist wie ein Fass ohne Boden, wenn man erst mal damit angefangen hat», schniefte Patty. Ihr war plötzlich kalt in ihrem Badeanzug und körperlich unwohl. Sie ging zu Richard, schlang die Arme um seine warmen, breiten Schultern und legte sich mit ihm auf den Orientteppich, und so verging der lange, hellgraue Nachmittag.
Dreimal, summa summarum. Eins, zwei, drei. Einmal im Schlaf, einmal stürmisch, und einmal mit vollem Orchester. Drei: armselige kleine Zahl. Die Autobiographin hat inzwischen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit als Mittvierzigerin damit zugebracht, zu zählen und nochmal zu zählen, aber es kommt nie mehr als drei dabei heraus.
Ansonsten bleibt nicht viel zu berichten, und das meiste, was jetzt noch folgt, setzt sich aus weiteren Fehlern zusammen. Den ersten beging sie gemeinsam mit Richard, als sie dort auf dem Teppich lagen. Sie beschlossen einmütig — stimmten darin überein — , dass er abfahren solle. Ganz schnell, solange sie noch wund und erschöpft waren, beschlossen sie, er solle sofort abfahren, bevor sie immer tiefer hineingerieten, und jeder für sich müsse dann gründlich nachdenken und zu einer nüchternen Entscheidung kommen, die, falls sie negativ ausfiele, nur umso schmerzhafter wäre, wenn er noch länger bliebe.
Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatten, setzte Patty sich auf und stellte erstaunt fest, dass die Bäume und die Terrasse nass waren. Der Regen war so fein, dass sie ihn auf dem Dach nicht gehört, so sanft, dass er in den Traufen nicht gerieselt hatte. Sie zog Richards ausgeblichenes rotes T-Shirt an und fragte ihn, ob sie es behalten dürfe.
«Warum willst du mein T-Shirt haben?»
«Es riecht nach dir.»
«Das wird sonst meistens nicht als Vorzug angesehen.»
«Ich möchte einfach irgendwas haben, das von dir ist.»
«Na gut. Hoffen wir mal, dass es das Einzige bleibt.»
«Ich bin zweiundvierzig», sagte sie. «Schwanger zu werden würde mich zwanzigtausend Dollar kosten. Nicht dass ich deine Hoffnungen zerstören will oder so.»
«Meine Trefferquote liegt bei null, und darauf bin ich sehr stolz. Versuch, sie mir nicht zu vermasseln, okay?»
«Und ich?», sagte sie. «Muss ich jetzt befürchten, dass ich irgendeine Krankheit eingeschleppt habe?»
«Ich bin gegen alles geimpft, falls du das meinst. Normalerweise neige ich zu paranoider Vorsicht.»
«Ich wette, das sagst du zu jeder.»
Es war alles ganz locker und flockig, und in der Unbeschwertheit des Augenblicks sagte sie ihm, er habe jetzt keine Ausrede mehr, vor seiner Abfahrt nicht noch einen Song für sie zu singen. Während sie Sandwiches machte und sie einwickelte, packte er sein Banjo aus und zupfte drauflos.
«Vielleicht solltest du die Nacht noch hier verbringen und erst morgen früh losfahren», rief sie ihm zu.
Er lächelte, als weigerte er sich, dies einer Antwort zu würdigen.
«Im Ernst», sagte sie. «Es regnet, und es wird bald dunkel.»
«Vergiss es», sagte er. «Tut mir leid. Du hast jedes Vertrauen verspielt, und zwar für immer. Damit musst du leben.»
«Hahaha», sagte sie. «Warum singst du nicht was? Ich möchte deine Stimme hören.»
Um ihr einen Gefallen zu tun, sang er «Shady Grove». Entgegen anfänglicher Erwartungen war er über die Jahre zu einem geübten, ziemlich facettenreichen Vokalisten geworden, und sein Brustkasten hatte einen solchen Umfang, dass die Wände wackelten, wenn er loslegte.
«Na gut, jetzt verstehe ich, was du gemeint hast», sagte sie, als der Song zu Ende war. «Das macht die Sache für mich nicht leichter.»
Wenn man Musiker aber erst einmal in Fahrt gebracht hat, hören sie äußerst ungern wieder auf. Richard stimmte seine Gitarre und sang drei Countrysongs, die Walnut Surprise später für Nameless Lake aufnehmen sollte. Manche Textzeilen bestanden aus kaum mehr als Nonsens-Silben, die noch verworfen und durch anderes ersetzt werden mussten, aber Patty war von seinem Gesang, in einem Countrystil, den sie kannte und liebte, trotzdem so berührt und aufgewühlt, dass sie mitten im dritten Song «AUFHÖREN! HE! DAS REICHT! AUFHÖREN! DAS REICHT! HE!» brüllte. Aber er hörte nicht auf, und als sie merkte, wie vollkommen er in seine Musik versunken war, fühlte sie sich so einsam und verlassen, dass sie stockend zu weinen begann, ja schließlich regelrecht hysterisch schluchzte, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als mitten im Song abzubrechen — obwohl es ihn eindeutig schwarzärgerte! — , um sie zu beruhigen, was ihm jedoch nicht gelang.
«Hier sind deine Sandwiches», sagte sie und knallte sie ihm in die Hand, «und da ist die Tür. Wir haben gesagt, du sollst abfahren, also fährst du ab. Verstanden? Jetzt. Ich meine es ernst. Jetzt. Tut mir leid, dass ich dich gebeten habe zu singen, SCHON WIEDER MEINE SCHULD, aber wir können ja mal versuchen, aus unseren Fehlern zu lernen, oder?»
Er holte tief Luft und richtete sich auf, als wäre er im Begriff, eine Erklärung abzugeben, aber seine Schultern sackten nach vorn, und er ließ die große Verlautbarung unausgesprochen aus seinen Lungen entweichen.
«Du hast recht», sagte er gereizt. «Ich brauche das hier auch nicht.»
«Wir haben doch eine gute Entscheidung getroffen, glaubst du nicht?»
«Ja, wahrscheinlich.»
«Dann fahr.» Und er fuhr.
Und sie wurde zu einer besseren Leserin. Zuerst aus verzweifeltem Eskapismus, später, weil sie Hilfe suchte. Als Walter aus Saskatchewan zurückkam, hatte sie sich den Rest von Krieg und Frieden in drei Marathon-Lesetagen einverleibt. Natascha, die sich Andrej versprochen hatte, wurde von dem bösen Anatol verführt, und aller Hoffnung beraubt, zog Andrej in den Krieg, wurde tödlich verwundet und überlebte gerade lange genug, um sich von Natascha pflegen zu lassen und ihr vergeben zu können, worauf der gute alte Pierre, der als Kriegsgefangener in der Zwischenzeit einen gewissen Reifeprozess durchgemacht und tiefschürfend nachgedacht hatte, vortrat und sich als Nataschas Trostpreis präsentierte; und etliche Kinder folgten. Patty war, als hätte sie in diesen drei Tagen ein ganzes komprimiertes Leben gelebt, und als ihr eigener Pierre, trotz sorgfältigen Einreibens mit dem allerstärksten Sonnenschutzmittel schlimm verbrannt, aus der Wildnis zurückkehrte, war sie so weit, versuchen zu wollen, ihn wieder zu lieben. Sie holte ihn in Duluth ab und befragte ihn nach seinen Tagen mit naturbegeisterten Millionären, die ihm ihre Brieftaschen anscheinend weit geöffnet hatten.
«Unglaublich», sagte Walter, als sie ins Haus kamen und er die fast fertige Terrasse sah. «Er ist vier Monate hier und kriegt es nicht hin, die letzten acht Stunden Arbeit zu tun.»
«Ich glaube, er hatte die Nase voll von den Wäldern«, sagte Patty. «Ich habe ihm gesagt, er soll ruhig nach New York zurückfahren. Er hat hier ein paar großartige Songs geschrieben. Er wollte weg.»
Walter runzelte die Stirn. «Er hat dir Songs vorgespielt?»
«Drei», sagte sie und wandte sich von ihm ab. «Und waren sie gut?»
«Sehr.» Sie ging zum See hinunter, und Walter folgte ihr. Es war nicht schwer, Abstand von ihm zu halten. Nur ganz am Anfang waren sie ein Paar gewesen, das sich bei jedem Wiedersehen um den Hals fiel und küsste.
«Seid ihr einigermaßen miteinander klargekommen?», fragte Walter.
«Es war ein bisschen komisch. Ich war froh, als er fuhr. An dem einen Abend, den wir zusammen hier waren, musste ich ein großes Glas Sherry trinken.»
«Das geht doch noch. Ein Glas.»
Zu der Abmachung, die sie mit sich selbst getroffen hatte, gehörte, dass sie Walter keine Lügen auftischen würde, auch keine kleinen; dass sie nichts sagen würde, was sich nicht gerade noch als Wahrheit auslegen ließ.
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