«Muss es nicht.»
«Ich kann's nicht ändern.»
«Es gibt keinen Grund dafür.»
Das war genau das, was sie nicht hatte hören wollen. «Ich trinke nur dieses eine Glas», sagte sie.
«Du bist da irgendeinem Irrtum aufgesessen — es schert mich einen Dreck, wie viel du trinkst.»
Sie nickte. «Na dann. Schön. Gut zu wissen.»
«Du hättest also die ganze Zeit gern was getrunken? Mann. Dann trink doch was.»
«Genau das tue ich ja gerade.»
«Weißt du, du bist ein merkwürdiger Mensch. Das meine ich als Kompliment.»
«Kompliment angenommen.»
«Walter hat sehr, sehr viel Glück gehabt.»
«Ha, also, das ist ja das Dumme, oder? Ich bin mir nicht sicher, ob er das noch so sieht.»
«0 doch. Das tut er. Glaub mir, das tut er.»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich wollte sagen, dass er sicher nicht das Merkwürdige an mir mag. Das gute Merkwürdige geht ja vielleicht noch, aber von dem schlechten Merkwürdigen ist er nicht so begeistert, und ausgerechnet das schlechte Merkwürdige ist es, womit er es in letzter Zeit hauptsächlich zu tun bekommt. Ich wollte sagen, es ist paradox, dass du, den das schlechte Merkwürdige an mir nicht zu stören scheint, nicht derjenige bist, mit dem ich verheiratet bin.»
«Du würdest nicht mit mir verheiratet sein wollen.»
«Nein, das wäre bestimmt schlimm. Ich kenne die Geschichten.»
«Schade, aber es überrascht mich nicht.»
«Walter erzählt mir alles.»
«Klar.»
Draußen auf dem See schnatterte eine Ente wegen irgendetwas. Stockenten nisteten am schilfreichen anderen Ufer.
«Hat Walter dir gegenüber mal erwähnt, dass ich Blakes Winterreifen zerstochen habe?», sagte Patty.
Richard zog die Augenbrauen hoch, und sie erzählte ihm die Geschichte.
«Das ist ja richtig krank», sagte er bewundernd, als sie mit dem Erzählen fertig war.
«Irgendwie schon, oder?»
«Weiß Walter denn davon?»
«Hm. Gute Frage.»
«Ich nehme mal an, dass du ihm nicht alles erzählst.»
«Ach, Richard, ich erzähle ihm überhaupt nichts.»
«Ich glaube, das könntest du ruhig. Du würdest vielleicht feststellen, dass er viel mehr über dich weiß, als du's für möglich hältst.»
Sie holte tief Luft und fragte ihn, was für geheime Dinge Walter denn über sie wisse.
«Zum Beispiel, dass du nicht glücklich bist», sagte Richard.
«Dazu bedarf es allerdings keiner großen Hellseherei. Was noch?»
«Dass du ihm die Schuld an Joeys Auszug gibst.»
«Ach das», sagte sie. «Das habe ich ihm mehr oder weniger selbst gesagt. Das zählt nicht richtig.»
«Na schön. Dann verrätst du's eben mir. Was hat er denn sonst noch alles nicht mitbekommen, abgesehen davon, dass du eine Reifenstecherin bist?»
Als Patty über diese Frage nachdachte, sah sie nichts vor sich als die große Leere ihres Lebens, die Leere des Nests, das sie gebaut hatte, die Sinnlosigkeit ihres Daseins, jetzt, da die Kinder flügge geworden waren. Der Sherry hatte sie traurig gemacht. «Du könntest etwas für mich singen, während ich das Essen auf den Tisch bringe. Würdest du das für mich tun?»
«Ich weiß nicht», sagte Richard. «Fühlt sich ein bisschen komisch an.»
«Warum?»
«Keine Ahnung. Fühlt sich einfach komisch an.»
«Du bist doch Sänger. Das ist dein Beruf. Du singst.»
«Ich hatte nie den Eindruck, dass dir das, was ich singe, sonderlich gut gefällt.»
«Sing . Den Song liebe ich.»
Er seufzte und senkte den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und schien einzuschlafen.
«Was?», sagte sie.
«Ich denke, ich fahre morgen ab, wenn du damit einverstanden bist.»
«Ja.»
«Den Rest der Arbeit schafft ihr in zwei Tagen. Die Terrasse kann man auch so schon benutzen.»
«Ja.» Sie stand auf und stellte ihr Sherryglas ins Spülbecken. «Aber darf ich fragen, warum? Ich meine, es ist wirklich nett hier mit dir.»
«Es ist einfach besser, wenn ich fahre.»
«Na schön. Was immer das Beste ist. Das Huhn braucht noch ungefähr zehn Minuten, wenn du schon mal den Tisch decken willst.» Er rührte sich nicht vom Fleck.
«Den Song hat Molly geschrieben», sagte er nach einer Weile. «Ich hätte ihn nicht aufnehmen dürfen. Das war richtig schäbig von mir. Bewusste, kalkulierte Schäbigkeit meinerseits.»
«Er ist sehr traurig und schön. Was hättest du tun sollen? Den Text nicht verwenden?»
«Im Grunde ja. Ihn nicht verwenden. Das wäre das Nettere gewesen.»
«Tut mir leid mit euch beiden. Ihr wart ziemlich lange zusammen.»
«Ja und nein.»
«Klar, ich weiß schon, aber trotzdem.»
Er saß da und grübelte, während sie den Tisch deckte, den Salat schleuderte und das Huhn tranchierte. Sie hatte geglaubt, sie würde keinen Appetit haben, aber kaum hatte sie sich das erste Stück Huhn in den Mund geschoben, merkte sie, dass sie seit dem Abend zuvor nichts mehr gegessen hatte und dass sie seit fünf Uhr früh auf den Beinen war. Auch Richard aß, schweigend. Nach einer gewissen Zeit wurde ihr Schweigen greifbar und aufregend, dann, noch etwas später, mühsam und entmutigend. Sie räumte den Tisch ab, stellte die Essensreste in den Kühlschrank, spülte das Geschirr und sah, dass Richard sich auf die kleine, von Fliegengittern geschützte Veranda zurückgezogen hatte, um zu rauchen. Die Sonne war inzwischen untergegangen, aber der Himmel war immer noch hell. Ja, dachte sie, es war besser, wenn er abreiste. Besser, besser, besser.
Sie trat hinaus auf die Veranda. «Ich geh dann jetzt wohl mal ins Bett und lese noch ein bisschen.»
Richard nickte. «Klingt gut. Dann also bis morgen früh.»
«Die Abende sind so lang», sagte sie. «Es will einfach nicht dunkel werden.»
«Ich fand's hier richtig klasse. Ihr beide seid sehr großzügig.»
«Ach, das hast du alles Walter zu verdanken. Mir ist es offen gestanden nicht eingefallen, dir das anzubieten.»
«Er vertraut dir», sagte Richard. «Wenn du ihm auch vertraust, renkt sich alles wieder ein.»
«Tja, wer weiß — vielleicht, vielleicht auch nicht.»
«Willst du nicht mit ihm zusammen sein?»
Das war eine gute Frage.
«Ich will ihn nicht verlieren», sagte sie, «wenn es das ist, was du meinst. Ich denke nicht die ganze Zeit darüber nach, ihn zu verlassen. Aber ich zähle schon irgendwie die Tage, bis Joey endlich die Nase voll von den Monaghans hat. Immerhin hat er noch ein ganzes Jahr Highschool vor sich.»
«Verstehe nicht ganz, was du damit sagen willst.»
«Nur, dass ich mich meiner Familie immer noch verpflichtet fühle.»
«Gut. Ist ja auch eine tolle Familie.»
«Klar, also, dann bis morgen früh.»
«Patty.» Er drückte seine Zigarette in der dänischen Weihnachtsschale aus — einem Erinnerungsstück von Dorothy — , die er als Aschenbecher benutzt hatte. «Ich werde nicht derjenige sein, der die Ehe meines besten Freundes zerstört.»
«Nein! O Gott! Natürlich nicht!» Sie heulte fast vor Enttäuschung. «Ich meine, also wirklich, Richard, entschuldige, aber was habe ich denn gesagt? Ich habe gesagt, ich gehe jetzt ins Bett, und wir sehen uns morgen früh. Das ist alles, was ich gesagt habe! Ich habe gesagt, dass mir meine Familie wichtig ist. Genau das habe ich gesagt.»
Er sah sie sehr ungehalten und skeptisch an. «Im Ernst!»
«Schon gut», sagte er. «Ich wollte nichts unterstellen. Habe mich nur gefragt, wo die Anspannung herkommt. Du erinnerst dich vielleicht, dass wir schon mal so eine Unterhaltung geführt haben.»
«Ja, daran erinnere ich mich durchaus.»
«Deshalb dachte ich mir, ich spreche es besser mal an.»
«Sehr schön. Freut mich. Du bist wirklich ein guter Freund. Und du brauchst nicht zu denken, du müsstest meinetwegen morgen abfahren. Es gibt nichts, wovor du Angst haben musst. Keinen Grund zur Flucht.»
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