Und dann zogen die Traumatics weiter — erst zu ihrem nächsten Konzert in Madison und dann zur Veröffentlichung weiterer verschroben betitelter Alben, die eine bestimmte Art von Kritikern und ungefähr fünftausend andere Menschen auf der Welt gern hörten, mit Auftritten in kleinem Rahmen vor ungepflegten, gebildeten weißen Männern, die nicht mehr so jung waren wie früher — , während Patty und Walter ihr zumeist recht absorbierendes Alltagsleben weiterführten, in dem die wöchentlichen dreißig Minuten sexuellen Stresses eine chronische, aber geringfügige Unannehmlichkeit darstellten, ähnlich der hohen Luftfeuchtigkeit in Florida. Die Autobiographin räumt allerdings ein, dass zwischen dieser kleinen Unannehmlichkeit und den großen Fehlern, die Patty damals als Mutter machte, womöglich ein Zusammenhang bestand. Wo Elizas Eltern sich, vor langer Zeit, zu sehr miteinander und zu wenig mit Eliza befasst hatten, unterlief Patty in Bezug auf Joey wohl eher der gegenteilige Fehler. Aber auf diesen Seiten ist schon von so vielen anderen, nicht-elterlichen Irrtümern zu berichten, dass es schier unmenschlich schmerzhaft erscheint, zusätzlich noch auf ihren Fehlern mit Joey herumzureiten; die Autobiographin fürchtet, dass sie sich dann einfach auf den Boden legen müsste und nie wieder hochkommen würde.
Fürs Erste jedoch wurden Walter und Richard wieder dicke Freunde. Walter kannte eine Vielzahl von Leuten, aber die Stimme, die er beim Nachhausekommen am liebsten auf dem Anrufbeantworter hörte, war die von Richard, der dann zum Beispiel sagte: «Yo, Jersey City hier. Wollte mal wissen, ob du mir was Aufbauendes über die Lage in Kuwait sagen kannst. Ruf mich zurück.» Dank der Häufigkeit von Richards Anrufen, aber auch deshalb, weil er jetzt deutlich ungeschützter mit Walter sprach — er kenne niemanden wie ihn und Patty, sie seien die Rettungsleine, die ihn mit einer vernünftigen, hoffnungsvollen Welt verbinde — , begriff Walter endlich, dass Richard ihn wirklich mochte und brauchte und nicht nur passiv einwilligte, sein Freund zu sein. (Das war der Kontext, in dem Walter voller Dankbarkeit den Rat seiner Mutter in puncto Loyalität zitierte.) Wann immer also eine weitere Tournee die Traumatics in die Stadt führte, nahm Richard sich die Zeit, Walter und Patty zu besuchen; meistens allein. Ein besonderes Interesse zeigte er an Jessica, die er für eine wahrhaft gute Seele hielt, aus demselben Holz geschnitzt wie ihre Großmutter, und der er alle möglichen ernsthaften Fragen über ihre Lieblingsschriftsteller und ihre freiwillige Mitarbeit in der kommunalen Suppenküche stellte. Obwohl Patty sich vielleicht eine Tochter gewünscht hätte, die ihr mehr ähnelte und für die ihre eigenen, reichen Erfahrungen mit dem Fehlermachen eine Quelle des Trostes gewesen wären, war sie doch in erster Linie stolz, eine Tochter zu haben, die so genau wusste, wo es langging. Sie freute sich daran, Jessica mit Richards bewundernden Augen zu sehen, und es gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, wenn er und Walter ins Auto stiegen, um etwas zusammen zu unternehmen: der großartige Mann, den sie geheiratet, und der sexuell anziehende Mann, den sie nicht geheiratet hatte. Richards Zuneigung zu Walter bewirkte, dass sie selbst Walter positiver sah; sein Charisma hatte es an sich, alles annehmbar werden zu lassen, womit es in Berührung kam.
Ein deutlicher Schatten war Walters Missbilligung von Richards Verhältnis mit Molly Tremain. Sie hatte zwar eine sehr schöne Stimme, war aber ein schwermütiger, womöglich manisch-depressiver Mensch und verbrachte ungeheuer viel Zeit allein in ihrer Wohnung auf der Lower East Side, wo sie nächtelang freiberuflich Manuskripte lektorierte und die Tage verschlief. Molly stand stets zur Verfügung, wenn Richard bei ihr vorbeikommen wollte, und Richard behauptete, sie habe nichts dagegen einzuwenden, seine Teilzeitgeliebte zu sein, aber Walter wurde den Verdacht nicht los, dass ihre Beziehung auf Missverständnissen gründete. Über die Jahre entlockte Patty Walter diverse verstörende Sätze, die Richard unter vier Augen zu ihm gesagt hatte, darunter: «Manchmal denke ich, dass es meine Bestimmung im Leben ist, meinen Penis in die Scheide möglichst vieler Frauen zu stecken», und: «Die Vorstellung, für den Rest meines Lebens mit ein und demselben Menschen zu schlafen, ist für mich der Tod.» Walters Befürchtung, Molly glaube im Stillen, dass Richard diesen Empfindungen irgendwann entwachsen werde, erwies sich als richtig. Molly war zwei Jahre älter als Richard, und als sie auf einmal zu dem Schluss kam, sie wolle, bevor es zu spät sei, ein Kind mit ihm, sah Richard sich gezwungen, ihr begreiflich zu machen, warum es dazu nie kommen werde. Worauf es zwischen ihnen schnell derart scheußlich wurde, dass er gleich ganz mit ihr Schluss machte und sie im Gegenzug die Band verließ.
Es traf sich, dass Mollys Mutter eine altgediente Redakteurin im Kulturressort der New York Times war, was vielleicht erklärt, warum die Traumatics, trotz Plattenverkäufen im unteren vierstelligen und Konzertbesucherzahlen im oberen zweistelligen Bereich, mehrere große, positive Besprechungen in dieser Zeitung bekommen hatten («Konsequent originell und ewig unbekannt», «Vom Desinteresse ungebrochen, gehen die Traumatics ihren Weg») und, nach In Case You Hadn't Noticed, Kurzkritiken aller ihrer Alben. Ob es nun purer Zufall war oder nicht — Insanely Happy, ihr erstes Album ohne Molly und, wie sich zeigen sollte, ihr letztes überhaupt, wurde nicht nur von der Times, sondern sogar von den wöchentlichen Stadtteilmagazinen, die gratis verteilt wurden und lange Zeit ein Bollwerk der Traumatics-Unterstützung gewesen waren, ignoriert. Nach Richards Theorie, die er Walter und Patty bei einem frühen Abendessen unterbreitete, als die Band sich noch einmal durch die Twin Cities schleppte, lag das daran, dass er die Aufmerksamkeit der Presse bislang, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, auf Kredit gekauft hatte und die Presse nun zu dem Ergebnis gelangt war, niemand werde je ein Traumatics-Kenner sein müssen, um seine kulturelle Bildung oder sein Ansehen in der Szene unter Beweis zu stellen, weshalb es für weitere Kredite keinen Grund mehr gebe.
Patty, mit Ohrstöpseln ausgestattet, begleitete Walter an jenem Abend auf Richards Konzert. The Sick Chelseas, vier gleichklingende Mädchen aus der Gegend, kaum älter als Jessica, traten als Vorgruppe auf, und Patty ertappte sich bei der Überlegung, welche von ihnen Richard wohl hinter der Bühne angebaggert hatte. Sie war nicht eifersüchtig auf die Mädchen, sie war traurig Richards wegen. Sowohl Walter als auch ihr dämmerte allmählich, dass Richard, auch wenn er ein guter Musiker und Songwriter war, nicht das schönste Leben führte: dass all seine Selbstkritik und all seine Beteuerungen, wie sehr er sie beide bewunderte und beneidete, tatsächlich ernst gemeint gewesen waren. Nach dem Auftritt der Sick Chelseas verdünnisierten sich ihre spätpubertären Freunde und ließen in dem Club nicht mehr als dreißig unverwüstliche Traumatics-Fans zurück — weiß, männlich, ungepflegt und noch etwas weniger jung als früher — , die sich erst Richards trocken vorgebrachte Witzeleien anhörten («Wir möchten euch danken, dass ihr in diese 400 Bar gekommen und nicht in die andere, beliebtere 400 Bar gegangen seid… Wir selber haben offenbar denselben Fehler gemacht») und dann den übermütig gespielten Titelsong des neuen Albums
What tiny little heads up in those big fat SUVs!
My friends, you look insanely happy at the wheel!
And the Circuit City smiling of a hundred Kathy Lees!
A wall of Regis Philbins! I tell you I'm starting to feel
INSANELY HAPPY! INSANELY HAPPY!
und, später, einen endlosen und typischeren, abstoßenden Song, «TCBY», Gitarrenlärm hauptsächlich, der an Rasierklingen und zerbrochenes Glas erinnerte und zu dem Richard Lyrik sang -
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