«Warum sind wir überhaupt Freundinnen?», sagte sie schließlich eines Abends, als Eliza sich wieder einmal für irgendeine Unternehmung aufbrezelte.
«Weil du brillant und schön bist», sagte Eliza. «Du bist mir von allen Menschen auf der Welt am liebsten.»
«Ich bin Sportlerin. Ich bin langweilig.»
«Nein! Du bist Patty Emerson, und wir wohnen zusammen, und das ist wunderbar.»
Das waren wirklich ihre Worte, die Autobiographin erinnert sich lebhaft daran.
«Aber wir machen ja nie etwas zusammen», sagte Patty. «Was möchtest du denn machen?»
«Ich habe schon überlegt, eine Zeitlang zu meinen Eltern zu fahren.»
«Was? Soll das ein Witz sein? Du magst sie doch gar nicht! Bleib mal schön hier.»
«Aber du bist doch praktisch jeden Abend weg.»
«Na gut, dann lass uns mehr zusammen machen.»
«Aber du weißt doch, dass ich zu den Dingen, die du machst, keine Lust habe.»
«Dann gehen wir eben ins Kino. Jetzt sofort. Was willst du sehen? Days of Heaven?»
Und damit begann Eliza erneut mit ihrer aggressiven Ganzfeldverteidigung, die gerade lange genug anhielt, um Patty über den Sommer zu bringen und sicherzustellen, dass sie nicht floh. Während dieser dritten Flitterwochen der Double Features und Weinschorlen und bis zur Abnutzung der Rillen abgespielten Blondie-Alben hörte Patty immer häufiger von dem Musiker Richard Katz. «O mein Gott», sagte Eliza, «es könnte sein, dass ich mich verliebt habe. Ich sollte wohl mal anfangen, ein braves Mädchen zu sein. So ein Hüne von Mann — es ist, als ob man von einem Neutronenstern überrollt würde. Oder als ob ein Riesenradierer auf einem rumradiert.»
Der Riesenradierer hatte gerade am Macalester College Examen gemacht, arbeitete für ein Abbruchunternehmen und war Gründer einer Punkband, die The Traumatics hieß und nach Elizas fester Überzeugung ganz groß herauskommen würde. Das Einzige, was ihre Idealisierung von Katz ins Wanken brachte, war die Wahl seiner Freunde. «Er wohnt mit dieser streberhaften Klette Walter zusammen», sagte sie, «so einem verklemmten Groupie, echt merkwürdig, ich kapier's nicht. Zuerst dachte ich, der ist sein Manager oder so was, aber dafür ist er viel zu spießig. Als ich am Morgen aus Katz' Zimmer komme, sitzt da Walter am Küchentisch vor so einem großen Obstsalat, den er sich gemacht hat. Er liest die New York Times, und das Erste, was er mich fragt, ist, ob ich in letzter Zeit irgendwelche guten Inszenierungen gesehen hätte. Im Theater, verstehst du? Also, Ein seltsames Paar ist nichts dagegen. Du musst Katz mal kennenlernen, damit du begreifst, wie merkwürdig das ist.»
Letztlich haben sich für die Autobiographin wenige Umstände als so schmerzhaft erwiesen wie die besondere Freundschaft zwischen Walter und Richard. Zumindest oberflächlich betrachtet, gaben die beiden ein noch seltsameres Paar ab als Patty und Eliza. Irgendein Genie in der Wohnungs- und Zimmervermittlung am Macalester College hatte einen herzzerreißend verantwortungsbewussten jungen Mann aus einer ländlichen Region Minnesotas mit einem ichbezogenen, suchtgefährdeten, unzuverlässigen, gewieften Gitarrenspieler aus Yonkers, New York, zusammen in ein Zimmer gesteckt. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden, die dem Menschen in der Wohnungs- und Zimmervermittlung bekannt gewesen sein konnte, war die, dass sie beide mit finanzieller Unterstützung studierten. Walter, nordisch-blond und eher schlaksig, war zwar größer als Patty, aber nicht annähernd so groß wie Richard, der eins dreiundneunzig maß und ein breites Kreuz hatte und so dunkelhäutig war wie Walter hell. An Richard fiel eine starke Ähnlichkeit (im Lauf der Jahre von weit mehr Leuten bemerkt und kommentiert als nur von Patty) mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi auf. Er hatte das gleiche schwarze Haar, die gleichen braunen, pockennarbigen Wangen und das gleiche maskenhafte Zufriedener-Machthaber-nimmt-Truppenparade-ab-und-prüft-Raketenwerfer-Lächeln (Anm.: Erst ein paar Jahre nach dem College sah Patty ein Foto von Gaddafi, und obwohl ihr dessen Ähnlichkeit mit Richard Katz sofort ins Auge sprang, dachte sie sich nichts weiter dabei, dass Libyen das, wie ihr schien, attraktivste Staatsoberhaupt der Welt hatte.), und er sah ungefähr fünfzehn Jahre älter aus als sein Freund. Walter erinnerte an einen beflissenen «Sportwart», wie ihn Highschool-Mannschaften mitunter haben, einen jener unsportlichen Jungs, die den Trainern assistieren, zu den Spielen Schlips und Kragen tragen und mit einem Klemmbrett am Spielfeldrand stehen dürfen. Sportler sind meistens geneigt, sie zu tolerieren, weil sie allesamt präzise Spielbeobachter sind, und genau das war offenbar auch ein Element des Walter-Richard-Nexus, denn Richard, so leicht ablenkbar und unzuverlässig er in fast jeder Hinsicht sein mochte, nahm seine Musik rettungslos ernst, und Walter besaß die nötige Kennerschaft, die ein Fan von Richards Sachen haben musste. Später, als Patty beide Männer besser kannte, ging ihr auf, dass sie womöglich gar nicht so verschieden waren — dass beide sich, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, bemühten, gute Menschen zu sein.
Patty lernte den Radierer an einem schwülen Sonntagmorgen im August kennen, als sie vom Joggen zurückkam. Er saß, während Eliza in ihrem unsäglichen Badezimmer duschte, auf dem Wohnzimmersofa, das unter ihm gleich viel kleiner wirkte. Richard trug ein schwarzes T-Shirt und las einen Taschenbuchroman mit einem großen V auf dem Cover. Die ersten Worte, die er an Patty richtete, und zwar erst nachdem sie sich, schweißnass, wie sie war, ein Glas Eistee eingeschenkt hatte und daraus trank, lauteten: «Und was bist du für eine.»
«Wie bitte?»
«Was machst du hier.»
«Ich wohne hier», sagte sie.
«Ja, das sehe ich.» Richard musterte sie eingehend, Stück für Stück. Ihr kam es vor, als würde sie mit seinen Blicken stückweise immer weiter an die Wand hinter ihr getackert, sodass sie, nachdem er sie von oben bis unten gemustert hatte, ganz und gar zweidimensional und an der Wand befestigt war. «Hast du den Ordner gesehen?», sagte er.
«Hm. Ordner?»
«Ich zeig ihn dir», sagte er. «Wird dich interessieren.»
Er ging in Elizas Zimmer, kam zurück und gab Patty ein DIN-A4-Ringbuch, dann setzte er sich wieder und las weiter in seinem Roman, als hätte er vergessen, dass sie da war. Es handelte sich um ein altmodisches Ringbuch mit hellblauem Leinendeckel, auf dem in Blockbuchstaben, mit Tinte geschrieben, PATTY stand. Soweit Patty das beurteilen konnte, enthielt es alle Fotos von ihr, die je im Sportteil der Minnesota Daily abgedruckt gewesen waren, alle Postkarten, die sie Eliza je geschickt hatte, alle Fotostreifen, für die sie sich je zusammen in eine Kabine gequetscht hatten, und alle Blitzlichtschnappschüsse von ihrem Haschbrownies-Wochenende. Das Buch erschien Patty ein bisschen seltsam und extrem, vor allem aber erfüllte es sie mit Traurigkeit Elizas wegen — Traurigkeit und Reue, dass sie daran gezweifelt hatte, ob sie Eliza tatsächlich etwas bedeutete.
«Ist schon ein eigenartiges Mädchen», bemerkte Richard vom Sofa aus.
«Wo hast du das gefunden?», sagte Patty. «Schnüffelst du immer in den Sachen der Leute rum, bei denen du die Nacht verbringst?»
Er lachte. «J'accuse!»
«Und, tust du das?»
«Reg dich ab. Es war direkt hinter dem Bett. Vor aller Augen, wie die Bullen sagen.»
Elizas Duschgeräusche hatten aufgehört.
«Leg es wieder zurück», sagte Patty. «Bitte.»
«Ich dachte, es würde dich interessieren», sagte Richard, ohne sich vom Fleck zu rühren.
«Bitte leg es wieder dahin, wo es war.»
«Mir schwant allmählich, dass du selbst keinen entsprechenden Ordner hast.»
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