Weil es während des Karnevals diesmal absolut keine Festlichkeiten bei Hofe gab, fiel es dem Großfürsten ein, in meinem Zimmer Maskenbälle zu veranstalten. Seine Diener, sowie die meinigen und meine Frauen mußten Maskenkostüme anziehen und in meinem Schlafzimmer tanzen, was meist bis tief in die Nacht hinein währte. Was mich betraf, so legte ich mich meist unter dem Vorwande von Kopfweh oder Müdigkeit auf ein Sofa, jedoch immer im Maskenkostüm, und langweilte mich zum Sterben über die Einfältigkeit dieser Maskeraden, die ihm unendliches Vergnügen bereiteten. Uebrigens entfernte man bei Beginn der Fastenzeit noch weitere vier Personen von ihm, unter diesen auch drei Pagen, die er allen übrigen vorzog. Jene häufigen Verabschiedungen waren ihm äußerst unangenehm; trotzdem aber tat er nichts, sie zu verhindern, oder vielmehr, er beschwerte sich auf so linkische Weise, daß er das Uebel nur vermehrte.
Während dieses Winters erfuhren wir, daß Fürst Repnin, krank wie er war, das Truppenkorps kommandieren sollte, das man zur Unterstützung der Kaiserin Maria Theresia nach Böhmen zu schicken beabsichtigte. Dies war ein Zeichen völliger Ungnade für den Fürsten. Er ging und kehrte nicht wieder zurück, sondern starb aus Kummer in Böhmen. Die Fürstin Gagarin, meine Ehrendame, war die erste, die mir, trotz aller Verbote, uns auch nur das geringste von dem, was in der Stadt oder am Hofe vorging, zu melden, diese Nachricht überbrachte. Daraus kann man ersehen, was es mit ähnlichen Verboten auf sich hat: sie werden nie in ihrer ganzen Strenge ausgeführt, weil zu viele Leute ein Interesse haben, sie zu übertreten. Uebrigens bemühte sich unsere ganze Umgebung, selbst die nächsten Verwandten der Tschoglokoffs, die Strenge des politischen Gefängnisses zu mildern, worin man sie und uns einsperren wollte. Sogar der Bruder Madame Tschoglokoffs, Graf Hendrikoff, ließ mir oft die nützlichsten und notwendigsten Ratschläge zugehen, oder andere bedienten sich seiner, sie mir zu übermitteln, wozu er stets mit der Offenheit eines tüchtigen, ehrenhaften Mannes bereit war. Auch moquierte er sich über die Dummheit und Roheit seiner Schwester und seines Schwagers. Alle fühlten sich daher in seiner Gesellschaft wohl, ohne ihm im geringsten zu mißtrauen, weil er nie jemand bloßstellte, noch gegen jemand fehlte. Er war ein rechtschaffener, wenn auch etwas beschränkter Mensch, schlecht erzogen, sehr unwissend, aber fest und ohne Böswilligkeit.
Während dieser Fasten begab ich mich eines Mittags in das Zimmer, wo die Kavaliere und Damen sich aufhielten — die Tschoglokoffs waren noch nicht anwesend. Und während ich bald mit diesem, bald mit jenem sprach, kam ich auch zu der Tür, wo der Kammerherr Ouzin stand. Dieser äußerte sich halblaut über das langweilige Leben, das wir führten, und bemerkte, daß man uns noch obendrein bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht setze. Wenige Tage vorher habe nämlich Ihre Majestät bei Tafel gesagt, daß ich mich mit Schulden überlade, und alles, was ich tue, habe einen Anstrich von Dummheit. Dennoch bilde ich mir ein, ich besäße viel Geist, allein außer mir selbst denke niemand so vorteilhaft von mir, und niemand ließe sich von mir täuschen. Meine unzweifelhafte Dummheit sei allen bekannt, weshalb man weniger auf das achten müsse, was der Großfürst tue, als auf mich. Und traurig fügte er hinzu, er habe Befehl von der Kaiserin, mir das alles wiederzusagen, bat mich jedoch, nicht zu tun, als ob ich das wisse. Ich antwortete ihm, was meine Dummheit angehe, so könne mir die Schuld nicht zugeschrieben werden, da jeder sei, wie ihn Gott geschaffen. Daß ich aber Schulden habe, sei durchaus nicht zu verwundern, weil meine Mutter mir bei einer Einnahme von 30000 Rubel noch 6000 Rubel Schulden, die ich für sie bezahlen mußte, hinterlassen hatte. Außerdem habe mich die Gräfin Rumianzoff zu tausenderlei Ausgaben genötigt, welche sie als unvermeidlich angesehen, und Madame Tschoglokoff allein habe mich in diesem Jahre 17000 Rubel gekostet; denn er kenne ja selbst das Teufelsspiel, welches wir täglich gezwungen waren, mit ihnen zu spielen. Diese Antwort könne er getrost denen geben, die ihn beauftragt; übrigens sei ich sehr böse, zu hören, daß man mich bei Ihrer Majestät in ein schlechtes Licht setze, da ich es doch nie an Respekt, an Gehorsam und Untertänigkeit gegen sie habe fehlen lassen, wovon man sich um so mehr überzeugen könne, je mehr man mich beobachte. Ich versprach ihm, sein Geheimnis, wie er mich gebeten, zu bewahren, und tat es. Ob er meine Aufträge ausgerichtet, weiß ich nicht, aber ich glaube es, obgleich ich nie wieder etwas davon hörte und mich hütete, ein so wenig angenehmes Gespräch zu erneuern.
In der letzten Woche der Fasten bekam ich die Masern. Ich konnte zu Ostern nicht öffentlich erscheinen und nahm daher auch das Abendmahl am Sonnabend in meinem Zimmer. Während dieser Krankheit verließ mich Madame Tschoglokoff, obgleich sie hochschwanger war, kaum einen Augenblick und tat was sie konnte, um mich zu unterhalten. Außer ihr war noch eine kleine kalmückische Dienerin bei mir, die mir sehr angenehm war.
Reise nach dem Gute des Favoriten. — Einsturz des Hauses, das wir bewohnen. — Rückkehr nach dem Sommerpalast. — Ankunft des Malteser Ritters Sakromoso. — Er steckt mir heimlich Briefe von meiner Mutter zu. — Ich antworte ihr auf demselben Wege. — Uebersiedelung nach Peterhof. — Interessantes Verhältnis Tschoglokoffs zu Fräulein Kocheleff. — Ihre Verbannung. — Madame Tschoglokoffs Wut gegen ihren untreuen Gatten. — Die Kaiserin verzeiht ihm. — Mein Leben in Oranienbaum. — Rückkehr nach der Stadt. — Man verabschiedet Madame Kruse und gibt mir Madame Wladislawa. — Madame La Tour l'Annois. — Hochzeit des Grafen Lestocq. — Graf Czernitscheff schreibt mir heimlich.
Nach Ostern bezogen wir wieder den Sommerpalast und von dort begaben wir uns Ende Mai zum Himmelfahrtsfeste in den Palast des Grafen Razumowski nach Gostilitza. Am 23. desselben Monats beschied die Kaiserin den Gesandten des kaiserlichen Hofes, Baron von Breitlack, der nach Wien gesandt wurde, dorthin, und er brachte den Abend beim Souper mit der Kaiserin zu. Dieses Souper verlängerte sich bis tief in die Nacht, so daß wir erst nach Sonnenaufgang in das von uns bewohnte Haus zurückkehrten. Dasselbe war aus Holz und lag auf einer kleinen Anhöhe, nahe bei der Rutschbahn. Seine Lage hatte uns sehr gefallen, als wir im Winter zum Namensfeste des Oberjägermeisters in Gostilitza gewesen waren, und nun hatte man uns die Aufmerksamkeit erwiesen, uns hier einzuquartieren. Es bestand aus zwei Etagen, die durch eine äußere Treppe miteinander verbunden waren. Die obere bestand aus einem Saal und drei kleinen Zimmern, von denen wir das eine als Schlafzimmer benutzten. In dem andern hatte der Großfürst sein Ankleidezimmer, und das dritte bewohnte Madame Kruse. Unten logierten die Tschoglokoffs, meine Ehrendamen und meine Kammerfrauen. Nach der Rückkehr von jenem Souper begaben sich alle zu Bett. Gegen sechs Uhr morgens kam ein Gardeunteroffizier namens Levascheff von Oranienbaum, um mit Tschoglokoff über die dortigen Bauten zu sprechen. Da indes alles noch schlief, setzte er sich zur Schildwache, um zu warten. Plötzlich vernahm er ein eigentümliches Krachen, was ihm verdächtig vorkam. Da die Schildwache sagte, dies Krachen habe sich schon mehrmals wiederholt, seit sie auf Posten sei, sprang Levascheff auf und eilte nach der Außenseite des Hauses, wo er bemerkte, daß sich an der Basis des Hauses große Quadersteine loslösten. Schnell weckte er Tschoglokoff und meldete ihm, daß das Fundament des Hauses einzustürzen drohe und man versuchen müsse, die Bewohner herauszubringen. Tschoglokoff warf eilig seinen Schlafrock über und eilte hinauf, wo er, da er die Glastüren verschlossen fand, die Riegel erbrechen ließ. So gelangte er in das Kabinett, wo wir schliefen, weckte uns, indem er den Vorhang aufzog und forderte uns auf, uns so schnell als möglich anzukleiden und zu fliehen, weil die Grundmauern des Hauses einzubrechen drohten. Der Großfürst sprang aus dem Bett, ergriff seinen Schlafrock und eilte davon. Ich sagte Tschoglokoff, ich würde ihm sogleich folgen, und er ging. Schnell kleidete ich mich an, wobei ich mich erinnerte, daß ja Madame Kruse im andern Kabinett sorglos schlafe. Ich ging hinein, um sie zu wecken. Da sie aber in tiefem Schlummer lag, gelang mir es nur mit großer Mühe, und ebenso schwierig war es, ihr begreiflich zu machen, daß sie das Haus verlassen müsse. Ich half ihr noch beim Anziehen, und als sie fertig war, überschritten wir die Schwelle der Tür und traten in den Saal. Aber im selben Augenblick erfolgte der allgemeine Einsturz, begleitet von einem entsetzlichen Getöse, als wenn man ein Schiff vom Stapel ließe. Madame Kruse und ich fielen zu Boden. In diesem Moment kam Levascheff durch die Treppentür, die uns gegenüberlag; er hob mich auf und trug mich aus dem Zimmer. Zufällig fiel mein Blick auf die Rutschbahn, die sich ungefähr in der Höhe der zweiten Etage befunden hatte; sie war nicht mehr da, sondern wenigstens fünfzehn Fuß weiter unten. Als Levascheff mit mir bei der Treppe anlangte, auf der er hinauf gekommen, war auch diese eingestürzt. Inzwischen aber waren mehrere Personen auf die Trümmer gestiegen, und Levascheff überlieferte mich nun dem nächsten, dieser wieder einem andern, so daß ich von Hand zu Hand endlich bis zum Fuße der Treppe in die Vorhalle kam. Von dort trug man mich auf eine Wiese, wo ich den Großfürsten im Schlafrocke fand. Sobald ich das Haus verlassen, begann ich mein Augenmerk auf das zu richten, was dort vorging. Mehrere Personen sah ich, über und über mit Blut bedeckt, herauskommen, andere wieder mußten hinausgetragen werden. Unter den am schwersten Verwundeten befand sich auch die Fürstin Gagarin, meine Ehrendame. Sie hatte sich wie die andern retten wollen, aber als sie durch ein Zimmer kam, das an das ihrige stieß, stürzte der Ofen ein und schleuderte sie auf ein Bett; mehrere Ziegelsteine fielen ihr auf den Kopf und brachten ihr sowie einem Mädchen, das sich ebenfalls retten wollte, schwere Verletzungen bei. In derselben Etage befand sich eine kleine Küche, in der mehrere Domestiken schliefen, wovon drei durch das Zusammenstürzen eines Herdes getötet wurden. Doch dies war nichts im Vergleich mit dem, was sich zwischen der Grundmauer und dem ersten Stock ereignete. Sechzehn bei der Rutschbahn angestellte Arbeiter, welche dort schliefen, wurden durch den Einsturz zerschmettert. Die Ursache des ganzen Unglücks war, daß man das Haus im Herbste in Eile gebaut und ihm als Grundmauern nur vier Reihen Kalksteine gegeben hatte. In der ersten Etage ließ der Architekt zwölf Balken in Pfeilerform in der Vorhalle aufstellen und sagte, da er in die Ukraine verreisen mußte, dem Verwalter des Gutes Gostilitza, er solle auf keinen Fall erlauben, daß man bis zu seiner Rückkehr die zwölf Balken anrühre. Als indes der Verwalter von unserm beabsichtigten Aufenthalt in dem Hause hörte, hatte er, da die Balken die Vorhalle entstellten, nichts eiligeres zu tun, als sie herausnehmen zu lassen. Beim Eintreten des Tauwetters senkte sich dann das Ganze auf die vier Reihen Kalksteine, die an den Seiten heraustraten, während das Haus selbst einer Anhöhe zuglitt, die es aufhielt. Ich kam glücklicherweise mit einigen blauen Flecken und einem großen Schrecken davon. Alle aber hatten von diesem Ereignis eine so schreckliche Angst bewahrt, daß uns noch vier Monate lang jede etwas laut schließende Tür erzittern ließ. Als an jenem Tage der erste Schreck vorüber war, ließ uns die Kaiserin, die ein anderes Haus bewohnte, zu sich kommen, und da sie wünschte, die Gefahr geringer erscheinen zu lassen als sie in Wirklichkeit war, suchten sie alle als unbedeutend, einige sogar als nicht vorhanden hinzustellen. Mein Schreck mißfiel ihr besonders, und sie schalt mich deshalb. Der Oberjägermeister weinte aus lauter Verzweiflung und sprach davon, sich erschießen zu wollen. Man verhinderte ihn dann zum Scheine daran, denn in Wahrheit beabsichtigte er nichts dergleichen. Am nächsten Tag kehrten wir nach Petersburg, und einige Wochen später in den Sommerpalast zurück.
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