Sobald wir in Oranienbaum angekommen waren, bildete der Großfürst aus seinem ganzen Gefolge eine Kompagnie. Die Kammerherren, Kammerkavaliere, Hofchargen, die Adjutanten des Fürsten Repnin, ja sogar dessen Sohn, die Hofbedienten, Jäger, Gärtner, alle, alle mußten sie das Gewehr über die Schulter nehmen. Seine kaiserliche Hoheit exerzierte sie täglich und ließ sie auf die Wache ziehen; der Korridor des Hauses diente ihnen als Wachtstube, wo sie den Tag verbrachten. Zu den Mahlzeiten gingen die Kavaliere hinauf, und abends kamen sie in den Saal, um so, wie sie waren, in Gamaschen, gestiefelt und gespornt, zu tanzen, von Damen waren nur ich, Madame Tschoglokoff, die Fürstin Repnin, meine drei Ehrendamen und meine Kammerfrauen da; folglich waren diese Bälle stets sehr spärlich und schlecht arrangiert, zumal da die Männer von dem fortwährenden Exerzieren, einer Beschäftigung, die dem Geschmack der Hofleute durchaus nicht zusagte, ermüdet und schlechter Laune waren. Nach dem Ball durften sie dann in ihrem Zimmer zu Bett gehen. Im allgemeinen waren ich sowie alle andern des langweiligen Lebens in Oranienbaum, wo wir fünf oder sechs Frauen von früh bis abends allein waren, während die Männer ihrerseits wider Willen exerzierten, herzlich satt. Ich nahm deshalb meine Zuflucht zu den Büchern, die ich mir mitgebracht hatte. Seit meiner Heirat beschäftigte ich mich fast ausschließlich mit Lektüre. Das erste Buch, welches ich nach meiner Vermählung las, war ein Roman, betitelt» Tiran le Blanc«, und ein ganzes Jahr lang las ich nichts als Romane. Diese begannen mich aber bald zu langweilen. Zufällig kamen mir die Briefe von Madame de Sévigné in die Hände, eine Lektüre, die mich sehr amüsierte. Nachdem ich sie förmlich verschlungen hatte, las ich die Werke Voltaires, doch nach diesen suchte ich meine Bücher mit größerer Wahl aus.
Wir kehrten nach Peterhof zurück, und nach zwei oder drei Hin- und Rückreisen zwischen Peterhof und Oranienbaum, wobei es stets bei denselben Zerstreuungen blieb, bezogen wir den Sommerpalast in Petersburg.
Ende des Herbstes siedelte die Kaiserin in den Winterpalast über. Sie bewohnte dort die Gemächer, welche wir den Winter vorher benutzt hatten, während wir in die vor unserer Verheiratung vom Großfürsten bewohnten einquartiert wurden. Diese Gemächer gefielen uns sehr gut und waren in der Tat außerordentlich bequem; sie waren einst von der Kaiserin Anna benutzt worden. Jeden Abend versammelte sich hier unser ganzer Hof, man spielte allerhand unterhaltende Gesellschaftsspiele, oder es fanden Konzerte statt. Zweimal wöchentlich war im großen Theater, das damals der Kasaner Kirche gegenüberstand, Vorstellung. Mit einem Wort, dieser Winter war einer der heitersten und angenehmsten, die ich je verlebt habe. Wir taten wirklich den ganzen Tag nichts als lachen und fröhlich sein.
Ungefähr gegen Mitte des Winters befahl uns die Kaiserin, ihr nach Tischwin, wohin sie sich begab, zu folgen. Diese Reise hatte einen religiösen Zweck, doch gerade, als wir in den Schlitten steigen wollten, erfuhren wir, daß sie aufgeschoben sei. Man flüsterte uns zu, der Oberjägermeister Graf Razumowski sei von der Gicht befallen, und Ihre Majestät wolle nicht ohne ihn reisen. Erst zwei oder drei Wochen später gingen wir nach Tischwin. Die Reise dauerte einschließlich unserer Rückkehr nur fünf Tage. Als wir durch Ribatschia Slobodk kamen und an dem Hause vorbeifuhren, wo sich die Czernitscheffs befanden, suchte ich sie hinter den Fenstern zu erspähen, sah aber nichts. Von Fürst Repnin, der an dieser Reise nicht teilnahm, wurde gesagt, er leide an Blasenstein. Sein Amt vertrat der Gemahl der Tschoglokoff, was allen nicht gerade sehr angenehm war. Er war ein anmaßender, brutaler, dummer Mensch, vor dem alle die größte Furcht hatten, selbst seine eigene Frau. Beide waren aber auch wirklich böswillige Menschen. Dennoch gab es, wie wir später sehen werden, Mittel, nicht allein jene Argusse einzuschläfern, sondern sie sogar zu gewinnen. Damals indes bemühte man sich noch, diese Mittel zu entdecken. Eins der sichersten war, Pharo mit ihnen zu spielen, denn beide waren sehr interessierte Spieler. Diese Schwäche wurden wir zuerst an ihnen gewahr, während wir die andern leider erst viel später entdeckten.
Im Laufe des Winters starb die Ehrendame Fürstin Gagarin an einem hitzigen Fieber, eben als sie im Begriff war, sich mit dem Kammerherrn Fürsten Galitzin, welcher später ihre jüngere Schwester heiratete, zu vermählen. Ich bedauerte ihren Verlust sehr und besuchte sie oft während ihrer Krankheit, trotz der Einwände Madame Tschoglokoffs. Die Kaiserin ließ an ihrer Stelle ihre ältere Schwester aus Moskau kommen, die sich später mit dem Grafen Matjuschkin vermählte.
Im Frühjahr siedelten wir in den Sommerpalast über, und von dort ging es aufs Land. Fürst Repnin erhielt angeblich wegen zerrütteter Gesundheit die Erlaubnis, sich auf seine Besitzung zurückzuziehen, und Tschoglokoff führte ad interim die Geschäfte des Fürsten Repnin bei uns. Das erste, was er tat, war die Verabschiedung unseres Kammerherrn Grafen Devierre, der als Brigadier, und des Kammerkavaliers Villebois, der als Oberst in die Armee versetzt wurde. Beides geschah auf Veranlassung Tschoglokoffs, der sie mit Mißfallen betrachtete, weil der Großfürst und ich ihnen Wohlwollen bewiesen. Eine ähnliche Verabschiedung hatte schon im Jahre 1745 auf die Bitte meiner Mutter den Grafen Zacharias Czernitscheff betroffen, und stets sah man solche Verabschiedungen als Zeichen der Ungnade bei Hofe an, so daß sie für die betreffenden Personen sehr empfindlich waren. Die eben erwähnte war dem Großfürsten und mir besonders unangenehm. Ein anderer Kunstgriff der Tschoglokoffs, die den Großfürsten und mich vollkommen isolieren wollten, war, daß dem Prinzen August, nachdem er alles erhalten, was er wünschte, von der Kaiserin der Befehl erteilt wurde, sich zu entfernen. Sie folgten darin den Weisungen des Grafen Bestuscheff, dem alle ohne Ausnahme verdächtig waren.
Da ich während dieses Sommers nichts Besseres zu tun hatte und die Langeweile bei uns groß wurde, war meine Hauptleidenschaft das Reiten. Den Rest meiner Zeit benutzte ich, alles zu lesen, was mir in die Hände fiel. Was den Großfürsten betraf, so wählte er sich, da man ihm die Leute, die er am meisten liebte, genommen, unter den Hofbedienten neue Günstlinge aus.
In dieser Zeit benachrichtigte mich mein Kammerdiener Nevreinoff eines Morgens, als er mich frisierte, er habe durch einen eigentümlichen Zufall entdeckt, daß Andreas Czernitscheff und seine Brüder in Ribatschia in einem Lusthause der Kaiserin, welches sie von ihrer Mutter geerbt, gefangen säßen. Er hätte es auf folgende Weise erfahren. Während des Karnevals hatte er mit seiner Frau, seiner Schwägerin und seinen beiden Schwägern eine Schlittenfahrt gemacht. Der Gatte der Schwägerin war Magistratssekretär in Petersburg und hatte eine Schwester, welche an einen Untersekretär der geheimen Kanzlei verheiratet war. Sie machten einen Ausflug nach Ribatschia und kehrten bei dem Verwalter dieses Gutes der Kaiserin ein. Da sie sich über den Tag, auf welchen das Osterfest fallen würde, stritten, sagte der Hauswirt, er könne diesen Streit schnell schlichten, denn er brauche nur die Gefangenen um ein Buch zu bitten, welches Swiatzy hieße, und in dem alle Feste und der Kalender für mehrere Jahre aufgeführt seien. Nach einigen Augenblicken brachte man das Buch. Der Schwager Nevreinoffs ergriff es, schlug es auf und das erste, was er darin fand, war der Name Andreas Czernitscheffs und das Datum des Tages, an welchem der Großfürst ihm das Buch geschenkt hatte. Hierauf suchte er nach dem Osterfeste. Der Streit war beendet, das Buch wurde wieder abgegeben und sie kehrten nach Petersburg zurück, wo der Schwager Nevreinoffs ihm einige Tage später diese Entdeckung anvertraute. Er bat mich inständig, nicht mit dem Großfürsten davon zu sprechen, weil man auf seine Verschwiegenheit durchaus nicht bauen könne; ich versprach es und hielt Wort.
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