Um die Mitte der Fastenzeit begaben wir uns mit der Kaiserin nach Gostilitza zur Feier des Namensfestes des Oberjägermeisters Razumowski. Man tanzte, war sehr vergnügt und kehrte dann in die Stadt zurück.
Einige Tage nachher meldete man mir das Hinscheiden meines Vaters, eine Nachricht, die mich aufs tiefste betrübte. Acht Tage lang ließ man mich meinen Schmerz ausweinen, doch am Ende dieser acht Tage erklärte mir Madame Tschoglokoff, es sei nun des Weinens genug. Die Kaiserin befehle mir, aufzuhören, da mein Vater kein König gewesen sei. Ich erwiderte, ein König sei er freilich nicht gewesen, worauf sie antwortete, es schicke sich nicht für eine Großfürstin, länger um einen Vater zu weinen, der kein regierender König gewesen sei. Endlich befahl man mir, am nächsten Sonntag auszugehen und nur sechs Wochen Trauer zu tragen.
Als ich zum ersten Male wieder mein Zimmer verließ, fand ich den Grafen Santi, den Oberzeremonienmeister der Kaiserin, im Vorzimmer Ihrer Majestät. Ich richtete einige gleichgültige Worte an ihn und ging weiter. Ein paar Tage später erschien Madame Tschoglokoff, um mir zu sagen, Ihre Majestät habe vom Grafen Bestuscheff, dem Santi es schriftlich gegeben, erfahren, daß ich zu Santi gesagt habe, ich fände es sehr sonderbar, daß mir die Gesandten beim Tode meines Vaters keine Beileidsbesuche abgestattet hätten. Eine solche Bemerkung gegen Santi finde Ihre Majestät sehr unangebracht; ich sei ungemein stolz, müsse mich doch erinnern, daß mein Vater kein König gewesen sei, und daß ich aus diesem Grunde Beileidsbezeigungen seitens der fremden Gesandten weder verlangen könne noch dürfe. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich Madame Tschoglokoff so sprechen hörte, und erwiderte, wenn Graf Santi gesagt oder geschrieben, daß ich ein einziges dem erwähnten auch nur ähnliches Wort über diesen Gegenstand mit ihm gesprochen, so sei er ein absichtlicher Lügner. Nichts von alledem sei mir jemals in den Sinn gekommen, folglich könne ich auch weder an ihn, noch an sonst jemand solche Worte gerichtet haben. Dies war die vollkommenste Wahrheit, denn ich hatte es mir zur strengsten Pflicht gemacht, in keinem Falle irgend welche Ansprüche zu erheben, mich in allen Dingen dem Willen Ihrer kaiserlichen Majestät unterzuordnen und zu tun, was man mir befahl. Augenscheinlich war Madame Tschoglokoff durch die Offenheit, mit welcher ich antwortete, von der Wahrheit überzeugt, denn sie erwiderte, sie werde nicht verfehlen, der Kaiserin zu berichten, daß ich Graf Santi Lügen strafe. In der Tat begab sie sich sofort zu Ihrer Majestät und kam zurück, um mir zu sagen, daß die Kaiserin sehr böse auf Santi sei, weil er sich einer solchen Lüge schuldig gemacht, und sie habe befohlen, ihm einen Verweis zu geben. Einige Tage später schickte Graf Santi verschiedene Personen zu mir, unter andern auch den Kammerherrn Grafen Nikita Panin und den Vizekanzler Woronzow, um mir zu sagen, daß Bestuscheff ihn zu dieser Lüge gezwungen und es ihm sehr schmerzlich sei, deshalb in Ungnade bei mir gefallen zu sein. Ich antwortete ihnen, ein Lügner sei ein Lügner, was er auch für Gründe haben möge, zu lügen; aber aus Besorgnis, er könne mich wieder einmal in seine Lügen verwickeln, werde ich nicht mehr mit ihm sprechen. Meine Ansicht indes war folgende. Santi war ein Italiener; er intrigierte gern und war erfüllt von seinem Amt als Oberzeremonienmeister. Ich hatte mich mit ihm stets so unterhalten, wie ich es mit jedem andern auch tat. Vielleicht aber hatte er gedacht, daß Beileidsbezeigungen für den Tod meines Vaters seitens des diplomatischen Korps zulässig seien, und bei seiner Art, zu denken, scheint es, daß er mir dadurch einen Gefallen zu erweisen glaubte. Er ging also zum Großkanzler Grafen Bestuscheff, seinem Vorgesetzten, und berichtete ihm, ich sei zum ersten Male ausgegangen, und wie es ihm schiene, wäre ich sehr betrübt gewesen; vielleicht hätte die Unterlassung von Beileidsbezeigungen dazu beigetragen, meine traurige Stimmung zu erhöhen. Bestuscheff, der immer zänkisch und geneigt war, mich zu demütigen, ließ sofort aufschreiben, was Santi ihm in bezug auf mich gesagt oder angedeutet hatte und ließ ihn das Protokoll unterzeichnen. Santi, der seinen Vorgesetzten wie das Feuer, vor allem aber den Verlust seiner Stellung fürchtete, zögerte nicht, lieber diese Lüge zu unterschreiben, als seine Existenz zu opfern. Der Großkanzler schickte nun den Bericht an die Kaiserin, die über meine Anmaßung sehr erzürnt war und Madame Tschoglokoff zu mir schickte, wie ich soeben erzählt habe. Nachdem sie aber meine auf strikte Wahrheit beruhende Antwort gehört, hatte die ganze Intrige weiter keine Folge als einen Nasenstüber für den Herrn Oberzeremonienmeister.
Der Großfürst schaffte sich auf dem Lande eine Meute an und begann die Hunde selbst zu dressieren. War er müde, sie zu quälen, dann fing er an, auf der Geige herum zu kratzen. Er kannte nicht eine einzige Note, besaß indes gutes Gehör und glaubte, die Schönheit der Musik bestände in der Stärke und Heftigkeit, mit welcher er die Töne aus seinem Instrument hervorlockte. Seine Zuhörer würden sich manchmal gern die Ohren verstopft haben, wenn sie es gewagt hätten, denn er quälte sie fürchterlich.
Nach unserer Rückkehr in den Sommerpalast bewies Madame Kruse, die nie aufgehört hatte, ihre Argusrolle zu spielen, sich insofern freundlicher gegen uns, als sie sich sehr oft dazu hergab, die Tschoglokoffs zu hintergehen, welche allen sehr zuwider waren. Ja, sie tat mehr, sie verschaffte dem Großfürsten sogar Spielzeug, Puppen und andere Kindereien, die er bis zur Narrheit liebte. Tagsüber verbarg man dieselben in oder unter meinem Bett. Nach dem Abendessen legte sich der Großfürst gewöhnlich zuerst nieder, und wenn wir beide im Bett waren, verschloß Madame Kruse die Tür, und der Großfürst spielte bis ein oder zwei Uhr nachts. Wohl oder übel mußte auch ich an diesen herrlichen Vergnügungen teilnehmen, ebenso Madame Kruse. Manchmal lachte ich darüber, aber oft war es mir unangenehm und zuwider. Bisweilen war das ganze Bett von Puppen und Spielsachen, die ziemlich schwer waren, bedeckt und angefüllt. Ich weiß nicht, ob Madame Tschoglokoff diesen nächtlichen Vergnügungen auf die Spur gekommen war, aber eines Abends gegen Mitternacht klopfte sie plötzlich an die Tür unseres Schlafzimmers. Man öffnete nicht sogleich, weil der Großfürst, Madame Kruse und ich nichts Eiligeres zu tun hatten, als das Bett von den Spielsachen zu säubern und sie zu verbergen, wobei uns die Bettdecke, unter die wir alles stopften, gute Dienste leistete. Dann erst öffnete man. Sie beklagte sich bitter, wie lange wir sie hätten warten lassen und erklärte, die Kaiserin würde sehr unwillig sein, wenn sie erführe, daß wir zu so später Stunde noch nicht schliefen. Darauf zog sie sich brummend zurück, ohne eine weitere Entdeckung gemacht zu haben. Nachdem sie sich entfernt, setzte der Großfürst seine Spielerei fort, bis ihm die Lust zum Schlafe kam.
Bei Eintritt des Herbstes bezogen wir wieder die Gemächer, die wir zuerst nach unserer Verheiratung im Winterpalast bewohnt hatten. Hier ließ Ihre Majestät durch Herrn Tschoglokoff aufs strengste verbieten, daß jemand des Großfürsten und meine Zimmer ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Herrn und der Madame Tschoglokoff betrete. Gleichzeitig erging ein Befehl an die Damen und Herren unseres Hofes, sich im Vorzimmer aufzuhalten und die Schwelle unserer Gemächer nicht zu überschreiten; ferner nur laut mit uns und den Domestiken zu sprechen, andernfalls sie verabschiedet würden. Auf diese Weise auf das Alleinsein mit einander beschränkt, murrten wir beide und teilten uns gegenseitig unsere Gedanken über diese Art von Gefangenschaft mit, die keiner von uns verdient hatte. Um sich aber während des Winters ein wenig Unterhaltung zu schaffen, ließ sich der Großfürst acht oder zehn Jagdhunde vom Lande kommen, die er hinter einem Holzverschlag verbarg, welcher den Alkoven meines Schlafzimmers von einer großen hinter unsern Gemächern liegenden Vorhalle trennte. Da nun der Alkoven nur eine dünne Bretterwand hatte, drang der Geruch des Hundestalles herein, und in diesem Gestank schliefen wir. Beklagte ich mich darüber, so erwiderte er, es sei unmöglich, etwas daran zu ändern, und da der Hundestall so geheim wie möglich gehalten werden mußte, ertrug ich geduldig diese Unannehmlichkeit und bewahrte das Geheimnis Seiner kaiserlichen Hoheit.
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