»Wunderschön bist du.«
Immeke staunte, als die verwandelte Johanna nach einer Weile die Küche betrat.
»Hinterherlaufen wird es dir, das Mannsvolk. Nicht einmal deine verstoßene Vorgängerin Gerda kann dir das Wasser reichen. Und das war ein mehr als ansehnliches Mädchen. Komm näher, ich muss dich nur noch richtig schnüren. Das Mieder darf durchaus ein wenig enger sein.«
»Was werde ich denn nun für die Herrin tun müssen, Immeke?«, flüsterte Johanna, während die Köchin damit beschäftigt war, das von Johanna selbst nur schlecht geschnürte Mieder des neuen Gewandes aufzulösen und wieder fester zusammenzuziehen.
»Innerhalb dieser Mauern bist du fortan ihre Zofe, hilfst ihr beim Ankleiden, richtest ihr Bett, säuberst ihre Kammer und ihre Kleider. Und außerhalb des Hauses musst du nichts machen«, antwortete die Köchin hinter Johannas Rücken. »Du bist nur des Anstands wegen bei ihr. Eine Witwe sollte nicht allein das Haus verlassen, sie benötigt eine Begleitung. Die Base der Herrin, die gute Frau Mechthild, weigert sich, und so geht Frau Margarethe meist allein und ab und an halt mit einer Magd hinaus. Von den Beginen aus der Südstadt haben sich schon einige angeboten, doch das will die Herrin nicht. ›Was soll ich mit so einer grauen Maus an meiner Seite?‹, hat sie geschimpft. Ich habe es genau gehört. Sie mag halt auffallen. Und darum trägst du nun dieses hübsche Kleid. Damit will sie die Ratsherren und auch die Stiftsherren ärgern. Denen gilt sie als hochmütig, und anstatt dem bösen Leumund entgegenzuwirken, bestärkt sie sie in ihrer Meinung. So ist sie nun einmal, unsere Herrin. Wunderbar, nun bist du gut geschnürt. Bekommst du noch genügend Luft?«
»Gerade so«, keuchte Johanna. »Ich fürchte nur, dass mir jetzt bei einer unglücklichen Bewegung hier oben alles herausspringen könnte.« Und damit deutete sie auf ihre zusammengepressten Brüste. Immeke zupfte mit ihren geschickten dicken Fingerchen an Johannas Hemd herum, zog es ein wenig mehr unter dem Mieder hervor und bedeckte somit alle Stellen, die unziemlich hätten ins Auge fallen können.
»Nun kannst du dich sogar tief hinabbücken, ohne dass ungewollte Einblicke gewährt werden.«
Die Köchin ging einige Schritte zurück und begutachtete mit untergeschlagenen Armen zufrieden ihr Werk, dann fragte sie: »Wo soll es denn nach dem Mittagsmahl hingehen?«
»Das weiß ich gar nicht«, antwortete Johanna.
»Ich vermute, sie wird entweder den Stiftsherrn Vestiarius aufsuchen, oder aber sie stattet dem entsetzlichen Apotheker Vinsebeck einen Besuch ab. Die leben beide im südlichen Teil der Stadt. Würde sie hier in der Nähe vom Pferdemarkt Erledigungen machen, dann müsstest du sie nämlich nicht begleiten.«
VIII
Johanna begriff sofort, weshalb Immeke den Apotheker Hans Vinsebeck als »entsetzlich« bezeichnet hatte.
Er lebte in einer namenlosen Gasse, unweit der Stadtmauer, im südöstlichen Teil der Stadt. Sein Haus war klein, krumm und hatte sicherlich schon bessere Zeiten gesehen. Das Dach war sogar mit teuren Schieferplatten anstatt mit Stroh gedeckt, doch der Zahn der Zeit hatte schon gehörig zu nagen begonnen, und es sah ganz danach aus, als ob kein Zimmermann oder Baumeister in den letzten zwanzig Jahren Hand an dieses Fachwerkhäuschen gelegt hatte. Unmittelbar hinter der Eingangstüre, die man erreichte, wenn man von der verschmutzten Gasse aus zwei Stufen hinunterging, begann die Offizin, der Verkaufsraum des Apothekers Vinsebeck. Ein Raum, in welchem die Luft zum Zerschneiden dick war und sich aus den eigentümlichsten, beißenden, aber auch aus angenehmen Gerüchen zusammensetzte.
Vinsebeck selbst war hinter einem großen Tisch voller Tiegel, Körbe, Schalen und irdener Gefäße kaum auszumachen. Geschäftig wirbelte er hin und her, stampfte etwas mit einem Mörser klein, huschte dann flink zu einer Waage, um dort ein Pülverchen zu dosieren, und maß im nächsten Moment einen seltsamen, krummen Zweig aufs genaueste aus, um ihn dann an zwei Stellen zu zerschneiden.
Er hatte nicht einmal hochgeschaut, obwohl eine kleine Glocke erklungen war, als die beiden Frauen die Apotheke betreten hatten. Dennoch sagte er plötzlich, ohne auch jetzt seinen Blick zu heben, mit einer erschreckend hellen Stimme:
»Seid gegrüßt, verehrte Frau Margarethe.«
Diese erwiderte nichts weiter als »Vinsebeck« und schaute sich geduldig im Verkaufsraum um, während der Apotheker weiter herumhantierte. Johanna tat es Margarethe mit großer Neugier gleich, denn nie zuvor hatte sie eine Apotheke von innen gesehen. Staunend begutachtete sie einen bereits braun nachgedunkelten menschlichen Schädel, der sie von einem staubigen Holzregal hohläugig angrinste.
Welch armem Verstorbenen der wohl gehört haben mochte? Sicherlich einem Ehrlosen, einem Verdammten, dem es nicht vergönnt gewesen war, seine Gebeine bis zum Tage des Jüngsten Gerichts in geweihter Erde ruhen lassen zu dürfen.
»Buh«, machte es auf einmal neben ihr, und die in Gedanken versunkene Johanna schrie entsetzt auf.
Sie blickte sich erschrocken um, sah aber niemanden in ihrer unmittelbaren Nähe, von dem dieser Ton hätte kommen können. Erst als sie ihren Kopf ein wenig senkte, schaute sie in das Gesicht des lustigen Meisters Vinsebeck. Bisher war ihr nicht aufgefallen, dass es sich bei dem Apotheker ganz offensichtlich um einen Zwerg handelte, welcher sich soeben einen Scherz mit der neuen Dienstmagd der Witwe Pfeffersack erlaubt hatte.
Die Kaufmannswitwe wiederum stand in einer anderen Ecke des völlig überfüllten Raumes und lachte schallend. Auch Johanna begann zu lachen, weniger über den dummen Scherz als vielmehr über das wahrhaft amüsante Erscheinungsbild des kleinen Mannes.
Unter dem Tisch, an dem er soeben noch hantiert hatte, musste ein Podest angebracht sein, denn auf dem Boden stehend, reichte er Johanna nun nicht einmal bis zur Brust, sah aber ansonsten einem normal gewachsenen Mann sehr ähnlich. Sein Gesicht war faltig, in seinen Augen schien ein Schalk zu hausen, und ob sich noch Haare unter der eng anliegenden ledernen Kappe befanden, deren Seiten wie zwei lange Schlappohren bis über die Schultern hingen, das vermochte Johanna nicht zu sagen.
Flink huschte er zu dem Regal mit dem Schädel, stellte sich auf seine Zehenspitzen und nahm eilig den Totenkopf herunter.
»Gut, dass du mich aufmerksam gemacht hast, Mädchen. Es ist längst Zeit für die Fütterung.« Und mit dem Schädel unter dem Arm verschwand er eiligen Schrittes durch eine schmale Hintertür in einen zweiten Raum.
Schockiert blickte Johanna sich nach ihrer Herrin um, welche belustigt in ihren Handrücken hineinkicherte.
Im Nu war der kleine Mann zurück. Seine Miene war ernst und entschlossen, während er sich wieder seiner Arbeit hinter dem Tisch widmete. Seine Gäste schien er völlig vergessen zu haben.
»Vinsebeck, arbeitest du etwa noch immer an dem Homunculus?«, rief ihm Margarethe mit lauter Stimme zu.
»So ist es, gute Frau. Der Homunculus ist nach wie vor meine große Leidenschaft.«
Homunculus?
Dieses Wort hatte Johanna nie zuvor vernommen.
Was war ein Homunculus?
Das hörte sich nach einer schrecklichen Krankheit an. Nach einem eitrigen Hautausschlag oder gar nach einem wuchernden Geschwür an verborgenen Körperstellen.
»Und was ist mit der Alchemie? Hast du sie gänzlich aufgegeben?«, wollte Margarethe nun wissen.
Jetzt hielt der Zwerg für einen kurzen Moment in seiner Arbeit inne und schaute ein wenig betreten zu der Kaufmannswitwe herüber. Dann sagte er rasch: »Zwecklos.«
»Warum das?«, bohrte Margarethe weiter.
»Was, wenn es gelänge? Dann wäre Gold im Nu nicht mehr wert als eine Handvoll Kieselsteine«, erhielt sie zur Antwort.
»Kaufmännisch gedacht. Das gäbe eine herrliche inflatio, es sei denn, dir würde es glücken, deine Errungenschaft geheim zu halten«, gab Margarethe zurück.
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