Während des Essens gab es die üblichen Gespräche: Beamte sprachen über die Belange der colonia , Veteranen tauschten Erinnerungen aus und die weltpolitisch Interessierten erzählten sich die Neuigkeiten aus dem Imperium und aus Rom.
Einer der Veteranen namens Glaucus ergriff das Wort und brachte das Gespräch auf die Unruhen, die überall in Gallien aufgeflackert waren. Angeblich sei es am Rhenus sogar zu Übergriffen durch die Germanen gekommen. Marcus Lollius, der Statthalter, war mit der V Alaudae nach Norden geeilt, um die Eindringlinge zurückzudrängen.
„Offensichtlich wird es Zeit, dass die Germanen eine Lektion bekommen.“
Ein anderer griff den Faden auf: „Zuerst sollten sich die Legionen allerdings die Raeter vornehmen.“
„In der Tat!“, ereiferte sich ein Kaufmann. „Die Routen über die Alpen sind wieder so unsicher. König Coteius hält sich an die Verträge, aber den Weg nach Noricum kann man unbewaffnet und ohne Eskorte nicht antreten.“
Lucius’ Vater mischte sich in die Diskussion ein: „Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass mit der Unterwerfung der Salasser die Alpen befriedet sind. Natürlich ist die Straße bis Vitudurum sicher, aber unmittelbar dahinter beginnt das Gebiet der Briganten. Sie fahren mit ihren Booten über den Lacus Venetus und plündern in der Umgebung von Vindonissa und Vitudurum. Also, bevor die Vindelicer und die Raeter nicht unterworfen sind, wird diese Region nicht sicher sein.“
Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
„Die Publicani in Lugdunum haben bereits zahlreiche Beschwerdebriefe nach Rom geschickt. Außerdem haben sie jedem Senator oder Eques, der die Stadt besucht, jedem Beamten und natürlich auch dem Statthalter in den Ohren gelegen und sie um Hilfe ersucht“, berichtete Onkel Sextus und wischte sich die fettverschmierten Hände sauber. „Vielleicht ändert sich etwas, nachdem Augustus in Lugdunum eingetroffen ist.“
Die Nachricht, dass Augustus nach Gallien und auch nach Arausio kommen würde, war im Vorjahr eingeschlagen wie ein Stein von einem Katapult. Nach Abschluss der Säkularspiele hatte Augustus verkündet, die Statthalterschaft von Gallia Comata für drei Jahre zu übernehmen und endlich die überfällige Neuordnung durchzuführen. Die Adoption seiner beiden Enkelsöhne Gaius und Lucius hatte ebenfalls für Aufsehen gesorgt. Agrippa war der leibliche Vater, aber jetzt trugen sie Augustus’ Namen. Jeder vermutete, dass Gaius Caesar und Lucius Caesar als Erben von Augustus’ riesigem Vermögen und seiner Heerschar von Klienten vorgesehen waren. „Eine perfekte Lösung!“, war die allgemeine Auffassung. „Claudius Marcellus als Erbe hätte keine drei Tage überlebt. Agrippa hätte ihn umgebracht.“
Das Gespräch wandte sich den unvermeidlichen Geschichten von früher zu, den Erzählungen von Feldzügen, Kämpfen und Schlachten. Lucius hatte ihnen bislang immer begeistert zugehört, aber jetzt, da er selbst bald zu den Adlern ziehen würde, zog er dem Trubel ein bisschen Ruhe vor. Er nahm einen Weinbecher, warf seinen Freunden einen Blick zu und ging in den Garten. Sie folgten ihm.
„Lucius, ist das nicht ein bisschen früh im Jahr?“, bibberte Sextus. „Wie kannst du bei der Kälte nur in einer Tunica im Garten stehen?“
Alle hatten das Haus verlassen und zitterten jetzt vor Kälte. „Einem abgehärteten Soldaten wie Lucius macht doch so ein bisschen Kälte nichts!“, stellte Quintus fest.
„Aber mir!“, sagte Titus trocken.
Lucius musste lachen und erzählte von seinem Wintermarsch mit Hektor.
„Verrückt!“ Appius schüttelte den Kopf. „Du musst verrückt sein!“
Auch die anderen starrten ihn mit Mienen an, die durchblicken ließen, dass sie das Gleiche dachten. Lucius zuckte leichthin mit den Achseln. „Wer weiß!“
Er machte eine Pause und setzte sich auf die kalte, steinerne Bank am Brunnen.
„Lucius!“, rief Titus entsetzt. „Bist du wahnsinnig? Du holst dir doch den Tod, wenn du dich auf die kalten Steine setzt!“
Was für Jammerlappen, dachte sich Lucius, überrascht davon, wie verweichlicht ihm seine Freunde nun erschienen. „Wisst ihr, was wirklich merkwürdig ist? Bisher war ich gespannt auf Kriegsgeschichten und Erzählungen von Kämpfen!“ Er beachtete die Blicke, die sich seine Freunde zuwarfen, nicht. „Aber heute ist das anders. Wenn ich die Gäste von einem Feldzug gegen die Germanen oder gegen die Raeter reden höre, muss ich sofort daran denken, dass ich das nächste Mal vielleicht dabei bin!“ Er machte eine Pause. „Und dann wird mir ganz komisch!“ Die anderen schwiegen.
„Ja, es ist immer etwas anderes, ob einen die Sache selbst betrifft oder nicht“, sagte Quintus schließlich. „Man kann es nicht mit einem Feldzug vergleichen, aber als es Probleme in einer Niederlassung meines Vaters gab und ich hingeschickt wurde, die Sache in Ordnung zu bringen, wurde mir anders. Früher, wenn ich hörte, es gibt ein Problem, wusste ich, Vater schickt jemanden, der das Problem lösen soll. Und plötzlich war ich derjenige.“ Jetzt nickten sie alle zustimmend.
„Ich habe mir fast in die Tunica gemacht!“, fügte Quintus unter allgemeinem Gelächter hinzu. „Und nun lasst uns reingehen, bevor mir alles abfriert und ich meinen Pflichten nach dem neuen Ehegesetz nicht mehr nachkommen kann!“
Lucius prustete los und die sentimentale Stimmung, die ihn ergriffen hatte, verflog. Er sprang auf. „Kommt! Gehen wir wieder rein!“
„Einen Moment!“, sagte Quintus. „Wir haben etwas für dich! Komm, gib es ihm, Titus!“
Titus trug ein Paket in der Hand, das er Lucius übergab. Es hatte die Länge eines Unterarms. Lucius wickelte gespannt das Tuch ab und hielt erstaunt inne. Ein Gladius! Seine Freunde hatten ihm einen Gladius geschenkt! Sein erstes eigenes Schwert. Er zog es aus der Scheide und betrachtete verzückt die elegante Waffe. Sie lag perfekt ausbalanciert in seiner Hand. Die zweischneidige Klinge verjüngte sich in der Mitte, wurde dann wieder breiter und lief im vorderen Drittel in einer langgezogenen Spitze aus. Der Gladius an sich war von den Keltiberern übernommen. Doch dieses Exemplar war ein beeindruckendes Beispiel für die römische Handwerkskunst. Lucius ließ das Schwert durch die Luft sausen und steckte es mit einem eleganten Schwung in die Scheide zurück. Diese war der Waffe angemessen: Metallbeschläge mit Goldverzierung bedeckten sie. Als Motive waren eine Kampfszene und eine römische Wölfin zu sehen. Lucius malte sich aus, wie er mit dieser prachtvollen Waffe seine neuen Kameraden beeindrucken würde.
Voller Rührung über dieses großartige Geschenk bedankte er sich überschwänglich. Er wusste, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, für seine Freunde schwer nachvollziehbar war. Und doch respektierten sie ihn dafür.
Als sie ins Atrium zurückgingen, überlegte er kurz, ob er den Gästen und seiner Familie das neue Schwert zeigen sollte. Er kam zu dem Schluss, dass es besser sei, es ohne Aufsehen auf sein Zimmer zu bringen. Sorgfältig wickelte er es wieder in das Tuch, ging eilig die Treppe hinauf und legte den Gladius neben sein gepacktes Bündel.
IM • LAGER • DER • LEGIONEN
LUGDUNUM
Quintus Galarius war über fünfzig, ergraut und mit der typischen kahlen Stelle auf dem Kopf, die ihn als lebenslangen Helmträger auswies. Er hatte eine Reihe von Tapferkeitsauszeichnungen bekommen, Halsringe, Armreife aus Gold und Silber und die Phalerae, die neun Metallscheiben, die auf der Brust getragen wurden.
Wenn er sie nicht trug, waren die Auszeichnungen alle in seinem Büro aufgestellt, so dass jeder sie sehen konnte. Quintus Galarius, der Lagerpräfekt der XIX Legion, war ein erfahrener und ruhmreicher Kämpfer, auch wenn er jetzt ausschließlich für die Verwaltung und Versorgung der Männer zuständig war. „Aber nicht mehr lange!“, dachte er vergnügt bei sich und las das Schreiben seines Agenten. Dieser hatte sich für ihn in Norditalien nach Land umgesehen. Dort wurden schöne Höfe zum Kauf angeboten. Galarius hatte bereits einige gekauft, aber er wollte noch bei weiteren günstigen Angeboten zuschlagen, bevor allgemein bekannt wurde, dass die Unterwerfung der Raeter bevorstand. Publius Silius Nervas’ Feldzug in diesem Jahr war eine Art Aufklärungsmission für das, was im kommenden Jahr folgen sollte, daher musste Galarius seine Transaktionen so schnell wie möglich erledigen, bevor die Grundstückspreise wieder stiegen.
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