„Natürlich nicht!“ Lucius grinste jetzt auch. „Aber jetzt sage ich mir, hilf mir die Dinge und Menschen zu ertragen, Jupiter Optimus, die ich nicht ändern kann!“
„Genau die richtige Einstellung für einen Legionär!“, lobte Gaius seinen Bruder. „Und wo wir gerade beim Thema sind, Vater hat alle nötigen Papiere, die du in Narbo brauchst, am Hausaltar hinterlegt. Ein Pferd wartet vor dem Haus.“
Lucius sah seinen Bruder an „Ist es erst zwei Jahre her, dass Vater aus dem Osten zurückkehrte und mir verkündete, dass ich zur Legion soll? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor!“
Gaius packte ihn an beiden Schultern. „Das war eine wichtige Zeit für dich, du musstest lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Was jetzt auf dich zukommt, wird nicht weniger hart! Aber wie ich Vater kenne, hat er alles getan, damit du gut vorbereitet bist!“
Lucius stöhnte auf. „Das will ich doch hoffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch härter werden kann!“
„Und wenn doch?“ Gaius sah ihn halb ernst, halb belustigt an.
„Dann habe ich wenigstens kochen gelernt!“ Lachend wandten sich die Brüder dem Ausgang zu und gingen Arm in Arm durch das Atrium.

NARBO
„Lucius Justinius Marcellus, Sohn des Gnaeus Justinius Marcellus, römischer Bürger, geboren im Jahr der Konsuln Marcus Antonius und Scribonius Libo, Tribus Terentia, unverheiratet, Wohnort colonia Arausio“, ratterte Lucius herunter. Der Schreiber notierte hastig mit. „Das römische Bürgerrecht wurde beglaubigt durch die Duoviri von Arausio“, erklärte Lucius und legte die beiden Schriftstücke auf den Tisch. Der Schreiber erbrach die Siegel und begann, die Erklärungen zu überfliegen.
„Hier ist außerdem das Schreiben von meinem Vater, in dem er mir die Erlaubnis gibt, mich als Freiwilliger zu melden!“, führte Lucius weiter aus und legte eine weitere Schriftrolle auf den Tisch.
Der Schreiber runzelte unwillig die Stirn und wies dann stumm auf den Librarius, der schon ungeduldig auf den Fußballen wippte.
„Tunica ausziehen!“, schnarrte der, und Lucius streifte die Wolltunica ab. „Die andere auch, du Tropf!“ Der Stabsgefreite schüttelte den Kopf über so viel Begriffsstutzigkeit. Lucius zog die Leinentunica über den Kopf und warf sie zu Boden.
Der Librarius ging um ihn herum und musterte ihn wie ein Bauer, der eine Kuh kaufen will.
„Keine besonderen Kennzeichen!“, konstatierte er. „Mund auf!“
Lucius öffnete gehorsam den Mund. Der Soldat sah hinein und fasste nach den Zähnen. Zufrieden nickte er und wies dann zur Wand, wo eine Messlatte befestigt war.
„Sechs Fuß neunzehn!“, las er ab und befahl dann kurz: „Lendenschurz!“
Lucius ließ den Lendenschurz fallen und der Librarius betrachtete Lucius’ Gemächt.
„Definitiv männlich!“, sagte er schließlich anzüglich grinsend und wies ihn an, den Lendenschurz wieder anzuziehen.
„Kannst du lesen und schreiben?“, fragte der Schreiber, der jetzt das erste Mal den Mund aufmachte.
„Natürlich!“, sagte Lucius irritiert.
„Natürlich!“, äffte ihn der Schreiber nach und zeigte auf eine Buchrolle vor ihm auf dem Tisch. „Lies vor!“
Lucius zog die Rolle auseinander und begann zu lesen: „ Kein Gebäude kann ohne Ebenmaß und gutes Verhältnis gut eingerichtet sein, wenn es sich nicht genau wie der Körper eines wohl gebildeten Menschen zu seinen Gliedern verhält.“
„Reicht!“, wurde er von dem Librarius unterbrochen. „Hast du das auch verstanden?“ „Irgendetwas aus der Architektur!“, sagte Lucius leichthin.
„Irgendetwas aus der Architektur!“, äffte ihn wieder der Librarius nach. „Hach, wie süß, ein Intellektueller. Hoffentlich haben wir eine Einheit für so ein schlaues Bürschchen!“
Mit diesen Worten schickte er Lucius in den Nebenraum. Arschloch, dachte sich Lucius, und bückte sich, um seine Tunicen aufzuheben. Er riss dem anderen dabei wie unabsichtlich die Wachstafel aus der Hand. Der war doch auch bloß ein Librarius, der wahrscheinlich seit der Grundausbildung kein Schwert mehr in der Hand gehabt hatte und sich jetzt hier als Mustersoldat aufspielte.
Als er den Nebenraum betrat, blieb er wie angewurzelt stehen und sah sich erstaunt um. Der Raum war schmal, aber fast dreißig Fuß lang, auf den Boden war ein dicker, zwanzig Fuß langer schwarzer Strich gemalt, der kurz vor einer weiteren Tür endete. Direkt vor Lucius lehnten ein Scutum und ein Speer an der Wand. Bis auf einen Tisch war der Raum leer. Neben dem Tisch stand ein älterer Mann in einer Militärtunica, der gerade einen Schluck aus einem Becher trank. Als er Lucius hereinkommen sah, stellte er den Becher mit einem Knall auf den Tisch zurück. Lucius sah fasziniert den Helm an, der auf dem Tisch lag. Der Federbusch wies den Träger als Optio aus, konstatierte Lucius, stolz, dass er sich das gemerkt hatte.
„Los, beeile dich und hör auf zu glotzen, du dummer Bauer! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“, schnauzte ihn der Optio an und riss ihm die Wachstafel aus der Hand. „Ohhh!“, sagte er. „Du bist gar kein Bauer, du bist ein Freigelassener!“
„Was?“, begehrte Lucius auf. „Ich bin freier römischer Bürger und meine Vorfahren auch!“ „Natürlich, junger Herr!“, sagte der Optio ironisch. „Da du die tria nomina führst, bist du von Adel und möchtest nur so zum Spaß als Miles anfangen. Tribun ist dir zu langweilig.“
„Dass meine Familie die tria nomina führt, ist eine lange Geschichte!“, begann Lucius eifrig zu erzählen. „Das geht zurück auf die punischen Kriege!“
„Wen interessiert das, du asinus ?“, brüllte ihn der Optio an. „Nimm sofort den Schild und den Speer und lauf auf dem schwarzen Strich zur anderen Seite des Raumes! Dort machst du kehrt und kommst wieder zurück. Das Ganze sechs Mal. Und mach voran, sonst komme ich über dich wie Claudius Nero über Hasdrubal am Metaurus.“
Lucius ließ seine Sachen auf den Boden fallen und nahm Schild und Speer auf. Er rannte auf dem Strich auf die andere Seite des Raumes, dort machte er kehrt und lief wieder zurück. Nach dem sechsten Mal stellte er Schild und Speer wieder ab. Der Optio beobachtete intensiv Lucius’ Brust, offenbar, um seine Atmung zu kontrollieren. Da wird er nichts finden, dachte Lucius bei sich. Nach dem Training der letzten Monate ist das hier ein Kinderspiel.
Der Optio nickte zufrieden: „Du bist in guter Form! Jetzt nimm den Speer mit einer Hand und strecke den Arm aus!“
Lucius tat, wie ihm geheißen war, und hielt den Speer von sich gestreckt. Der Optio wartete einige Herzschläge lang und wies Lucius dann an, die Hand zu drehen, zuerst links herum und dann rechts herum und wieder links und wieder rechts. Lucius wirbelte den Speer von links nach rechts und wieder zurück und wieder hin und wieder zurück.
„Andere Hand!“, kam es kurz von dem Optio und Lucius wechselte zur linken Hand.
„Wozu dient das?“, fragte Lucius, während er die Hand drehte.
Der Optio beobachtete Lucius’ Bewegungen und musterte sein Gesicht. „Festzustellen, ob mit deinen Händen und Armen alles in Ordnung ist, ob du keine Verletzungen oder Beeinträchtigungen hast!“, erklärte der Optio in einem gelangweilten Ton, der erkennen ließ, dass er derartige Fragen nur ungern beantwortete.
„Jetzt stell den Speer beiseite und mach einen Weitsprung!“, kommandierte er.
Lucius versuchte, aus dem Stand so weit wie möglich zu springen.
„Jetzt hoch! Und wieder weit! Und wieder hoch!“
Lucius kam sich vor wie ein Hase, der durchs Feld gejagt wird. Endlich war der Optio zufrieden, machte einige Notizen auf der Wachstafel und reichte sie an Lucius zurück. Wortlos zeigte er auf die andere Tür. Lucius landete erneut in einem Wartezimmer, das allerdings leer war. Er nutzte die Zeit, um sich erst einmal wieder die Tunicen überzustreifen und zu gürten. Kaum war er damit fertig, ging die Tür auf und eine Stimme brüllte: „Der Nächste!“
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