»Heiliger Vater«, hatte Antonio demütig vorgebracht, »die beste und schnellste Möglichkeit wäre, einen Zentralbau zu errichten!«
»Dann errichte ihn, mein Sohn«, hatte der Papst erwidert.
Damit war auch der letzte Schatten des Giacomo Catalano getilgt, der noch auf Antonio gelastet hatte. In seinem Kopf mischten sich Bramantes Ideen mit denen Raffaels und seinen eigenen. Heraus kam eine riesige Kirche als Zentralbau, deren Herz die Vierung mit der Kuppel darstellte. Dazu hatte er einen Vorbau entworfen, der von zwei gotischen Kirchtürmen flankiert wurde, die wie Wächter der Kuppel wirkten.
Vor der Errichtung von Bramantes Kuppel scheute er noch immer zurück. Schließlich kam er auf den rettenden Einfall: Er würde die eigentliche Kuppel verkleinern. Auf die Vierung wollte er einen Umgang mit Säulenreihen setzen und auf diesen einen kleineren Umgang. Dank des doppelgeschossigen Tambours, der sich nach oben verjüngte, gelang es ihm, den Durchmesser der eigentlichen Kuppel merklich zu vermindern. Die große Laterne, die er auf die Kuppel setzen wollte, befreite ihn von der Notwendigkeit, diese ganz zu wölben. Auf diese Weise verringerte er die Fläche der Wölbungen und minderte die Spannung und das Gewicht, eben das, wovor er sich zu Recht fürchtete.
Antonio spürte, wie ihm neue Kräfte wuchsen. Auch Lucrezia und die Kinder, jeder auf der Baustelle beobachtete voller Freude, wie der Gram der letzten Jahre von ihm abfiel und er wieder zu dem fröhlichen, lebenslustigen Burschen wurde, der er früher gewesen war. Arnoldo fragte den Architekten, weshalb die Zeichnungen nicht genügten und was den kleinen Parallelbau nötig mache. Dabei untertrieb Arnoldo mit dem Wörtchen klein, denn von dem Geld, dass das Modell inzwischen kostete, hätte sich bereits eine kleine Kirche bauen lassen können. Freundlich legte Antonio seinen Arm um Arnoldos Schulter. Dabei achtete er darauf, dass auch seine beiden Söhne, Giuliano und Bartolomeo, jedes Wort seiner Antwort verstanden.
»Es ist ganz einfach, Arnoldo. Niemand weiß, wie lange ich noch lebe. Wir alle aber sind uns doch im Klaren darüber, dass der Bau sich noch ein Weilchen hinziehen wird, und er soll ja noch möglichst lange unsere Familien ernähren!«, sagte er schmunzelnd. »Als Donato starb, hatte ich keine Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte. Ihr alle aber könnt nach meinem Tod immer wieder im Modell Belehrung finden, was als Nächstes zu errichten ist und in welcher Art.« Antonio strahlte über das ganze Gesicht, und die kindliche Freude stand in einem seltsamen Gegensatz zu seinem inzwischen ergrauten Haar. »Der Petersdom ist fertig, ihr müsst ihn nur noch Stück für Stück im größeren Maßstab umsetzen – aber hübsch bedächtig.«
Dass selbst der glaubensstrenge Kardinal Carafa das Modell lobte, freute Antonio. Der Neapolitaner kam erst gar nicht darauf, Kritik am Zentralbau zu äußern, denn der gotisch wirkende Vorbau mit den Kathedraltürmen trieb dem nüchternen Kirchenfürsten fast die Tränen der Rührung in die Augen.
»Ja!«, rief Carafa, als er vor dem Modell stand. »Genau so muss unsere Kirche wieder werden: stolz und streng zu Gott in die Höhe strebend!«
Antonio befand sich auf dem Höhepunkt seines Lebens. Die größte Baustelle der Christenheit barg keine Risiken und Schwierigkeiten mehr. Er hatte es geschafft, alles vorauszuplanen; Stein für Stein, Mauer für Mauer wurde nach seinen Plänen gesetzt. Wie ein Mantel wuchs Umgang für Umgang um die Apsiden der Kreuzarme.
Rom, Anno Domini 1542, im Frühjahr
Die Mandelbäume spendeten an diesem sonnendurchfluteten Nachmittag ein wenig Schatten, und die kleinen Brunnen im Klostergarten von San Silvestro al Quirinale schenkten Kühlung. Die kleine Gesellschaft hatte sich auf dem Rasen unter dem grünen Dach der kleinen Bäume niedergelassen und wirkte wie ein Kreis junger und vertrauter Gefährten. Dabei trennten sie Jahre von der süßen Zeit der Jugend, denn mit seinen zweiundvierzig Jahren war der Jüngste in der Runde der englische Kardinal Reginald Pole. In seiner Heimat erwarteten ihn Tod und Folter, seit sein Cousin, König Heinrich VIII., das brünstige Schwein, seine Mutter, Margarete Pole, die achte Countess of Salisbury, knapp ein Jahr zuvor hatte hinrichten lassen.
Auf einem weißen Leinentuch standen ein Korb mit Brot, ein paar Gläser und eine Karaffe mit verdünntem Weißwein. An diesem heiteren Sommernachmittag dachte niemand an Drangsal und Verfolgung. Die Gesellschaft schwelgte im Nachdenken über die Liebe Gottes. Sie beugten sich über eine Skizze Michelangelos mit einer Pietà, die sie begeisterte, weil sie in menschlicher Weise vom Leiden und gleichzeitig von der Überwindung irdischer Pein sprach. Und somit vom Erhabensten, was Gott den Menschen geschenkt hatte, dem Geist, der allein fähig war zur wahren Freiheit, frei von den Zumutungen der Mächtigen und den eigenen Eitelkeiten.
Während alle auf den leidenden Gottessohn blickten, der ohne Pathos gesiegt hatte, sagte Michelangelo mit großem Ernst: »Nach meinem Urteil ist diejenige Malerei die vorzüglichste und gleichsam göttlich, die ein Werk des Ewigen am getreuesten nachbildet, sei es seine Menschengestalt, ein fremdländisches wildes Tier, ein einfacher, leicht darzustellender Fisch, einen der Vögel unter dem Himmel. Und das alles weder mit Gold noch mit Silber oder sehr feinen Farben, sondern einzig und allein mit Feder oder Stift gezeichnet oder mit dem Pinsel schwarz-weiß getuscht. Ein jedes dieser Dinge vollkommen in seiner Art nachzuschaffen, bedeutet in meinen Augen nichts Geringeres, als das Schöpfertum des unsterblichen Gottes zu wiederholen.« Er senkte den Kopf und blickte aus den Augenwinkeln zu Vittoria hinüber, deren Einverständnis ihm viel bedeutete. Er konnte beruhigt sein, sie lächelte feinsinnig.
»Und doch muss es unvollkommen bleiben«, warf Contarini ein, während er bedächtig seinen langen Bart streichelte. Weiter kam er nicht mit seiner Überlegung, denn die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf einen Mann in einem auffällig neuen Kardinalsmantel, der über die Wiese gelaufen kam. Unruhe, mehr noch Ungemach führte er in seinem Gefolge. Michelangelo musste nur die fast eingefrorene Falte des Unwillens in dem langen Gesicht des noch jungen Kardinals sehen. Er zählte noch keine dreiunddreißig Jahre. Der Schalk, der sonst immer in seinen Augen stand, die der liebe Gott ein wenig schief angeordnet hatte, war verschwunden. Gott konnte sich keinen eindrucksvolleren Boten des Unheils aussuchen als diesen immer zu einem Scherz aufgelegten Sanguiniker.
»Ah, der Doktor Morone«, rief Pole spöttisch, um die schlechte Stimmung zu verscheuchen, die von dem erst vor einem Monat zum Kardinal erhobenen Mann ausging.
»Komm zu uns, Giovanni«, lud ihn Contarini ein. Die Aufforderung war absurd, denn es bestand kein Zweifel, dass Morone hierhergekommen war, um sie zu treffen.
Michelangelo entdeckte sofort die Furcht in den Augen des Kardinals. »Was ist geschehen?«, fragte er.
»Was geschehen ist?«, keuchte Morone. Er musste erst ein paar Mal tief durchatmen, um sich zu beruhigen. »Der Heilige Vater hat die Sacra Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis als Kardinalkommission gegründet, an deren Spitze Carafa steht und der alle seine Spießgesellen angehören.«
»Carafa als oberster Glaubenswächter! Das ist, als ob man den Wolf zum Hirten der Schafe einsetzt«, empörte sich Contarini.
»Jetzt haben auch wir einen Heinrich!«, stöhnte Pole.
»Aber warum macht Alessandro das?«, fragte Vittoria Colonna konsterniert, die wie Paul III. aus einem der großen römischen Adelsgeschlechter stammte. Man kannte sich.
»Weil er Angst hat, die Lutheraner würden Italien erobern und die Kirche hinwegfegen«, antwortete Morone.
»Aber wir können uns mit den Protestanten einigen, so viel trennt uns nicht. Im Gegenteil, sie stehen uns in manchem näher als …« Pole machte eine vage Handbewegung, weil er keine Namen nennen wollte.
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